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Diskurs

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Das »Gewebe«, aus dem wir unsere Selbstgeschichten gestalten, besteht aus dem Bereich der »master stories« (Polkinghorne 1998), in die wir hineingeboren sind und die uns die verschiedenen möglichen Handlungsverläufe und Sinngebungen unserer Selbstgeschichten nahelegen. Es sind die vorherrschenden Vorstellungen vom »möglichen Leben«, die J. Bruner nach W. L. Randall (1995, S. 151) als Teil einer jeweiligen Kultur sieht und die festlegen, was als eine akzeptable, erzählbare Geschichte angesehen werden kann.

Madigan versteht unter Diskurs das, »was gesagt und gedacht werden kann, wer es sagen kann, mit welcher Autorität und warum« (2011). Gemeint ist damit jenes Feld der Beschreibungen bzw. Unterscheidungen, ihrer Produktion, Verknüpfung und Verbreitung, das eine bestimmte Kultur in einer bestimmten Zeit ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt, um sozialen und persönlichen Ereignissen Sinn und Bedeutung zu geben. Es sind die Bedeutungskontexte, innerhalb deren jemand sein Leben erzählt (Weingarten 1995, S. 10 ff.).

Diskurse und ihre »Archive« (Foucault 2008) stecken den Bereich möglichen Wissens über etwas, den dazugehörigen Gültigkeitsbereich dieses Wissens und den Inhalt dessen ab, was über etwas gewusst werden kann. Sie werden durch diskursive Praktiken aufrechterhalten und unterstützt. Letztere fördern nicht nur die jeweiligen Diskurse, sondern dienen auch dazu, andere, konkurrierende Diskurse zu marginalisieren.

Narrative Therapie sieht die Kultur der Psychotherapie in das Machtfeld westlicher Kultur eingebettet. Sie nimmt keinen privilegierten Platz außerhalb dieses Feldes von Wissen und Macht ein, ist damit auch nicht abgetrennt von den vorherrschenden Ideologien und Strukturen. Narrative Therapeutinnen stehen deswegen immer wieder vor der Aufgabe, ihr eigenes Expertentum kritisch zu hinterfragen:

»Diese Art von Expertentum macht ihre Motive und Absichten undeutlich, löscht jeden Bezug zu den persönlichen Erfahrungen, mittels deren die Wissensbehauptungen erzeugt wurden, schließt Informationen über die persönlichen und interpersonellen Widersprüche, die mit der Konstruktion des erzählten Wissens verbunden waren, aus und lenkt die Aufmerksamkeit weg von allen persönlichen Interessen in Verbindung mit dem jeweiligen Platz dieses Wissens in der sozialen Welt von Klasse, Ethnie, Geschlecht, Kultur, hierarchischer Position in einer Institution und tilgt jeden Bezug zur Geschichte der kontroversen und davon abweichenden Meinungen, die alle globalen Wissensbehauptungen begleiten« (White 1997, S. 119 f.; Übers.: R. K.).

Limitierende Sichtweisen, die die Möglichkeiten und Grenzen von Selbsterzählungen festlegen, können dekonstruiert werden (White 1993), indem sie mit den ihnen zugrunde liegenden Annahmen, Perspektiven und dominanten gesellschaftlichen Vorstellungen in Verbindung gebracht werden. Das erscheint z. B. dort nützlich, wo der psychiatrische bzw. psychologische bzw. psychotherapeutische Diskurs bestimmte Ideen als selbstverständliche Wahrheiten »naturalisieren« konnte. Die Autoritätsquellen für diese Annahmen können dann ins Blickfeld gerückt und einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

In der Therapie kann dann überprüft werden:

•ob Klientinnen jene Perspektiven auf das Problem unterstützen möchten, die die Produktion von alternativen Kenntnissen und von abweichenden Meinungen und Unterschieden einschränken, oder ob sie Perspektiven unterstützen möchten, die neue Kenntnisse und Unterschiede ermöglichen

•wie bestimmte Ideen bezüglich Personen und ihrer Beziehungen Autorität erlangt und aufrechterhalten haben

•inwiefern diese Ideen den besten Intentionen der Klienten für ihr Leben entsprechen.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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