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Probleme und Symptome als »Quasi-Trance-Prozesse«

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Daraus resultiert eine Sicht auf Symptome als bedingt durch die Dominanz (allerdings ungewünschter) unwillkürlicher Prozesse. Ihnen wird hypnosystemisch »Trancequalität« zugeschrieben, welche zu einer »Problemtrance« führt, die immer mit dem Erleben des Verlusts von Wahlmöglichkeiten einhergeht. Das bewusste Ich erlebt sich dabei als ausgeliefertes Opfer des unwillkürlichen »Es geschieht gegen meinen Willen«. Diese unwillkürlichen Muster drücken aber Reaktionen, Lösungsversuche und Regelungsprozesse aus, die menschlichen Grundbedürfnissen dienen (z. B. Überleben, Autonomie und gleichzeitig Zugehörigkeit, Wachsen und Entwicklung, Sinnerleben und Orientierung, Wertschätzung). Sie wurden gelernt in Kontexten, in denen den Betroffenen (oft unter bedrohlichen, traumatischen Bedingungen) nur diese Muster verfügbar waren.

Jede Erlebnisepisode, die emotional »geladen« wird (mit welchen Emotionen auch immer), wird als eigenständiges Erlebnisnetzwerk in uns gespeichert und ist wieder aktivierbar (implizites bzw. episodisches Gedächtnis; G. Roth 1994, 2009).

Die Netzwerke zeigen sich als spezifische »Ego-States« (Watkins u. Watkins 2008; Phillips u. Frederick 2007) oder bestimmte »Seiten« einer Person, mit denen sich die Betroffenen identifizieren und bei denen es ihnen so vorkommt, als ob sie das als ganze Person (»Das bin ich …«) seien. Alle Menschen haben aber viele »Ego-States« in sich gespeichert und sind in diesem Sinne gewissermaßen »multiple Persönlichkeiten«. Durch spezifische Reize in gegenwärtigen Kontexten, die unbewusst als ähnlich erlebt werden, werden diese States wie automatisiert wieder abgerufen, selbst wenn sich die betreffende Person bewusst nicht an ein betreffendes Ereignis erinnert. Flashbacks bei früheren Traumatisierungen laufen z. B. so ab.

Wenn der relevante Kontext nicht mehr zugeordnet werden kann und die Erfahrung dann als »unbegründet«, als Störung und Defizit bewertet wird, werten die Betroffenen ihre gegenwärtige Reaktion oft ab. Dies kann zu massiven Inkongruenzen bzw. Inkonsistenzen zwischen verschiedenen synchron ablaufenden Teilbereichen der psychischen Prozesse und zu psychischen und somatischen Symptomen führen.

Dann kommt es im psychischen System zu ähnlichen Spaltungsmustern wie in sozialen Systemen, in denen antagonistische Positionen zu Kämpfen oder Abwertungen führen und das Gesamtsystem wertvolle Energien und Kompetenzen vergeudet.

Aus dieser Perspektive kann dann jedes Ereignis oder Erlebnis als Auslösereiz der mit ihm vernetzten Muster bzw. als wirksamer Akt des Primings bzw. der Aufmerksamkeitsfokussierung verstanden werden. Auch typische Glaubenshaltungen, Wertesysteme, Loyalitäten in Systemen können dann unwillkürlich ähnlich wie effektive hypnotische Tranceinduktionen wirken. Dabei wird auch die Frage wichtig, durch welche Muster oder Feedbackprozesse bestimmte »Dauer-Primings« in Systemen aufrechterhalten werden.

Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch

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