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1 Einleitung

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I am an invisible man. No, I am not a spook like those who haunted Edgar Allan Poe; nor am I one of your Hollywood-movie ectoplasms. I am a man of substance, of flesh and bone, fiber and liquids – and I might even be said to possess a mind. I am invisible, understand, simply because people refuse to see me. Like the bodiless heads you see sometimes in circus sideshows, it is as though I have been surrounded by mirrors of hard, distorting glass. When they approach me they see only my surroundings, themselves, or figments of their imagination – indeed, everything and anything except me. (Ellison 1952: 3)

Unsichtbarkeit ist in der Literatur ein immer wiederkehrender Topos. Verknüpft wird diese meist mit Marginalisierung und sozialer Nichtexistenz – aufgrund der Ethnizität, Sexualität oder des Geschlechts. So auch in dem Roman Invisible Man von Ralph Ellison (1952), in dem wir die Geschichte eines namenlosen (schwarzen) Erzählers erfahren, der für seine (weiße) Umwelt unsichtbar ist. Unsichtbarsein bedeutet für den Protagonisten, dass er nur als Projektion wahrgenommen wird; was und wer er wirklich ist, ändert sich, je nachdem, wer durch ihn hindurchschaut. Im Roman sind all seine Versuche, sichtbar zu werden, letztlich zum Scheitern verurteilt und er fristet sein Dasein in einem Kellerloch, wo er seine Geschichte erzählt. Indem Ellison die Unsichtbarkeit sichtbar macht, zeigt er, wie eng beide Begriffe miteinander verwoben sind und man trotz physisch-visueller Sichtbarkeit letztlich sozial unsichtbar bleiben kann.

Der Roman wurde zwei Jahre nach seinem Erscheinen von Georg Goyert unter dem Titel Unsichtbar (Ellison 1954) ins Deutsche übersetzt. In einer Rezension wurde vermerkt, dass der Autor ein „Negerschicksal ganz mit den Mitteln höchster Erzählkunst der weißen Rasse“ erzähle (zit. in: Hettche 1995). Ralph Ellison hat in seinem epochalen Roman jedoch keineswegs nur mit erzählerischen Mitteln von weißen AutorInnen gearbeitet sondern eine Vielzahl von Stilmitteln, wie z.B. Oral History und die musikalische Form des Blues eingesetzt (vgl. Callahan 2004a), die allerdings in der Übersetzung zugunsten eines flüssigen, den Lesegewohnheiten des Zielpublikums entgegenkommenden Stils in den Hintergrund traten. Die Erstübersetzung wurde – mit neuem Titel, nunmehr Der unsichtbare Mann – 1995 neu aufgelegt und schließlich 2019 vom Übersetzer Hans-Christian Oeser stark überarbeitet, wobei dieser sich viel stärker als Goyert an den Stil und sprachlichen Duktus des Originals anlehnte.

Georg Goyert (1884–1966), der Erstübersetzer, arbeitete aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Niederländischen und übersetzte insgesamt 135 Werke von knapp 60 verschiedenen AutorInnen, darunter James Joyce, Virginia Woolf, Aldous Huxley, D.H. Lawrence etc.1 Obwohl er durch seine Übersetzungen zahlreiche AutorInnen erstmals einem deutschen Publikum näherbrachte, blieb er zeitlebens ein diskreter Kulturvermittler, der in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung trat. Hans-Christian Oeser (geb. 1950), der die überarbeitete neue Version schuf, übersetzt aus dem Englischen und ist auch schriftstellerisch tätig. Er ist durch Lesungen aus seinen Übersetzungen und eigenen Texten, durch Vorträge und Interviews, aber auch durch soziale Medien sowie eine eigene Homepage (URL: Oeser Website) öffentlich präsent und sichtbar.

Betrachtet man diese beiden Übersetzungen und Übersetzer, so scheint die Sache – folgt man Lawrence Venutis (1995) Vorstellung von Sichtbarkeit – eindeutig: Eine erste Übersetzung, die nicht so sehr die Eigenheit und damit Fremdheit des Originals in den Blick nimmt, sondern einen eher gut lesbaren Text zum Ziel hat und damit gewissermaßen das Übersetzt-Sein des Textes verschleiert; eine andere Übersetzung, die – auch wenn sie keine völlige Neuübersetzung darstellt – in vielen Fällen versucht, den sprachlichen Duktus des Originals wiederzugeben und somit als Übersetzung sichtbar ist. Ein erster Übersetzer, der trotz seiner Produktivität in der Öffentlichkeit kaum in Erscheinung tritt, während der zweite Übersetzer, Hans-Christian Oeser, medial präsent ist und auch als „respecter of difference“ (Oeser 1997) gewissermaßen das Sichtbarmachen von Fremdem propagiert.

Im Roman von Ralph Ellison hingegen sind die Rollen und Funktionen von Sicht- und Unsichtbarkeit nicht derart eindeutig verteilt. Der namenlose Erzähler nutzt seine Unsichtbarkeit durchaus auch zu seinem Vorteil, da er ungreifbar für sein Gegenüber bleibt und so auch frei sprechen kann. Auch am Ende des Romans, wenn er sich entscheidet, seine Höhle zu verlassen, bleibt unklar, welche Auswirkungen dies auf seine Sichtbarkeit haben wird: „I’m shaking off the old skin and I’ll leave it here in the hole. I’m coming out, no less invisible without it, but coming out nonetheless.“ (Ellison 1952: 581) Es bleibt den LeserInnen überlassen, ob der Erzähler damit seine Unsichtbarkeit resignativ akzeptiert oder sie als einen Raum für eine neue, eigene Handlungsmächtigkeit sieht.

Während im Roman die Vieldeutigkeit und die komplizierten Bedingungen von (Un-)Sichtbarkeit zu Tage treten, wird der Sichtbarkeitsbegriff in der Übersetzungswissenschaft meist sehr eindeutig, um nicht zu sagen eindimensional gesehen. Der folgende Beitrag will daher blinde Flecken in der übersetzungswissenschaftlichen Diskussion von Sichtbarkeit aufzeigen und einen Beitrag zu ihrer Theoretisierung und auch Differenzierung leisten. Hierfür sollen ausgehend von Venutis Forderung nach Sichtbarkeit bzw. Kritik an der Unsichtbarkeit von ÜbersetzerInnen, Erkenntnisse aus anderen Disziplinen, die sich mit Sichtbarkeit beschäftigen, herangezogen und für die Übersetzungswissenschaft nutzbar gemacht werden.

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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