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4 Vom Misstrauen zur Unsichtbarkeit

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Redensarten über das Übersetzen speichern, tradieren und vermitteln viel Skepsis und Vorbehalt, reichlich Herabwürdigung, ein wenig Lobpreis. Soweit der Befund. Doch was steht hinter diesen Aussagen? Denn „ganz allgemein gesprochen wären Sprichwörter als Medium zu verstehen, in dem die Sprecher auf einen spezifischen Reiz reagieren, dem sie eine im Sprichwort formulierte Haltung ausdrücken, als Ausdruck eines spezifischen Bewusstseins“, so Werner Krauss (1988: 27). Wenn es einen Begriff für die Haltung gibt, die hinter der Mehrzahl der Aussagen steht, dann ist es der des Misstrauens. Misstrauen steckt in allen Aussagen der ersten Gruppe, der sich die weitaus meisten Belege zuordnen lassen. Dem Übersetzer und der Übersetzung wird grundsätzlich misstraut. Die beiden anderen Rubriken der hier vorgeschlagenen Sortierung wären demgegenüber zu verstehen einerseits als Zuspitzung (wenn aus Misstrauen Verachtung wird), andererseits als Gegenrede. Letztere, mit der dem Misstrauen demonstrativ eine Geste des Vertrauens entgegengesetzt wird, findet sich v.a. seit dem 20. Jahrhundert.

Wie aber passt dieser schlechte Leumund zusammen mit dem unbestreitbaren kulturellen Nutzen des Übersetzens? Wie lässt sich erklären, dass Übersetzen für die Entwicklung unserer Kulturen zentral und allgegenwärtig ist, dass es aber zugleich keine Wertschätzung erfährt, die dieser Relevanz annähernd angemessen wäre? Mehr noch, wie erklärt sich die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Misstrauen von Generation zu Generation im Archiv der Sprache weitergetragen wird?

Wie auch immer die Ursprünge und Gründe für das Misstrauen kulturgeschichtlich zu erklären wären – fest steht, dass es unserer Sprach- und Diskursgeschichte so tief eingeschrieben ist, dass es ganz und gar selbstverständlich und wie naturalisiert daherkommt. Als ob hier ein Naturgesetz Geltung beanspruchen würde: Wasser kocht bei 100 Grad, auf den Sommer folgt der Herbst, Übersetzen ist verdächtig und den Übersetzern ist zu misstrauen. Wenn dem so ist, erklärt sich immerhin die lange selbstverständliche Sortierung der Bibliothek nach Grundregeln, die Übersetzungen unauffindbar macht. Denn wer so einen schlechten Ruf hat wie die Übersetzer, für den muss man keinen Platz auf der Karteikarte freiräumen. Er kann ruhig unauffindbar bleiben und in der Folge kulturell unsichtbar.

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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