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3 Übersetzung zwischen Sprachen, Übersetztheit der Sprache

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Anders als von Venuti impliziert, geht es bei solchen verfremdenden, die andere Sprache sichtbar machenden Übersetzungen aber nicht nur um die Anerkennung der Differenz einer anderen Sprache und die vollständige ‚Autonomie‘ des Fremden. Vielmehr geht es auch darum, Differenz und Fremdheit innerhalb der eigenen Sprache sichtbar zu machen und allzu statische Unterscheidungen zwischen der eigenen und der fremden Sprache, wie sie Roman Jakobsons Konzept der interlingualen Übersetzung (1959) unterstellt, durch Hybridisierung und Verflechtung zu verflüssigen (vgl. Berman 1984; Bandia 2008; Young 2016; Neumann 2020). Historisch konkret macht der Komparatist und Historiker Naoki Sakai (1997, 2009) diesen Sachverhalt. Er argumentiert, dass die Einheit und Zählbarkeit von sogenannten ‚Sprachen‘ Übersetzungen keineswegs vorgängig seien; vielmehr wurden entsprechende Vorstellungen auch durch ein bestimmtes ‚Regime der Übersetzung‘ geschaffen, das eng an den sich im 18. Jahrhundert herausbildenden Nationalstaat und das damit verbundene monolinguale Paradigma geknüpft ist: „[T]ranslation is anterior to the unity of language and […] this unity is posited through the specific representation of translation.“ (2009: 71) In anderen Worten: Das dominante Regime der Übersetzung, das Sprache als Nationalsprache konfiguriert und mit einem Territorium und ‚Volkscharakter‘ assoziiert, ist zugleich ein Akt der Grenzziehung, der Differenzen zwischen Sprachen (nicht zuletzt auch in Abgrenzung von sogenannten Dialekten) hypostasiert und damit Relationen zwischen nunmehr als Nationen vorstellbaren Gemeinschaften entscheidend prägt.1 Der interlingualen Übersetzung ist vor diesem Hintergrund eine Ambivalenz zu eigen, denn sie überbrückt nicht nur Grenzen zwischen Sprachen; vielmehr setzt sie diese Grenzen auch in Szene und konstituiert Sprache damit als eine mehr oder weniger in sich geschlossene Entität.

Jacques Derrida greift die Vorstellung der Fremdheit innerhalb der eigenen Sprache in seiner Schrift Le monolinguisme de l’autre (1996) aus philosophischer Perspektive auf. In dieser stark autobiographisch geprägten Schrift reflektiert er seine Erfahrung als Jude in der französischen Kolonie Algerien und später in Frankreich vor dem Hintergrund hegemonialer Sprachpolitiken. Der Herderschen Vorstellung von einer Muttersprache und einem entsprechend genealogisch begründeten Sprachbesitz stellt er die Erfahrung sprachlicher Enteignung entgegen und leitet hieraus die These ab, dass Sprache immer nur angeeignet ist. Sprache, so sein wesentliches Argument, ist niemals Eigentum, weil ein natürlicher Zusammenhang zwischen Sprachen, Identitäten, Territorien und Subjekten nicht besteht. Sie hat immer kulturell multiple bzw. heteronome Herkünfte und ist überdies von anderen Sprachen und ihren Geschichten überlagert. Die scheinbar eigene Sprache ist daher immer auch eine Fremdsprache, die Sprache des Anderen, die, nicht zuletzt aufgrund einer ihr eingelassenen différance, nie mit sich identisch ist: „Ma langue, la seule que je m’entende parler et m’entende à parler, c’est la langue de l’autre.“ (Derrida 1996: 47)2 Gegen die vor allem im Kolonialismus vorherrschende Gewalt kultureller und sprachlicher Usurpation und gegen die Gefahr einer ‚Herrensprache‘ (vgl. 44), die auf monokulturelle Hegemonie und Unterdrückung von Differenz angelegt ist, setzt Derrida das transformative Potential der ‚gastfreundlichen‘ Sprache (vgl. 119) – einer Gastfreundschaft vor jeder Einladung. Diese Sprache bleibt für das Andere und den Anderen und somit auch für ihr eigenes Werden offen: „la langue est à l’autre, venue de l’autre, la venue de l’autre.“ (127) Angesichts dieser Verflechtungen findet Übersetzung, so Derrida, eben nicht nur zwischen Sprachen, sondern vielmehr innerhalb jeder einzelnen Sprache statt. Anders gewendet: Jede Sprache ist bereits eine übersetzte, also eine von kultureller und historischer Übersetzung geprägte Sprache. Anselm Haverkamp fasst diese Erkenntnis zusammen: „Jede der Sprachen, zwischen denen übersetzt, über-gesetzt werden soll, ist bereits eine von Übersetzung tief gezeichnete Sprache: keine ursprünglich natürliche, sondern eine ursprünglich kultivierte, überbaute Sprache.“ (Haverkamp 1997: 9)

Vor dem Hintergrund Derridas philosophischer Reflexion des Monolingualismus lässt sich eine ganze Reihe jüngerer literarischer Texte lesen, die Verflechtungen zwischen scheinbar getrennten Sprachen erproben und in diesem Prozess die Übersetztheit jeder einzelnen sichtbar machen. Oftmals verfasst von Autor:innen, die mehreren Kulturen angehören, die zwischen Welten leben und verschiedene Sprachen sprechen – Feridun Zaimoğlu, Yoko Tawada, Emine Sevgi Özdamar und Philipp Khabo Köpsell stehen dafür ein –, verlagern sie den Akzent auf die Übersetzung innerhalb jeder einzelnen Sprache und machen Übersetzungsprozesse selbst zum zentralen Prinzip poetologischer Kreativität. Die Literaturwissenschaftlerin Rebecca Walkowitz (2015) bezeichnet solche Literaturen treffend als born translated, also als Texte, die in der Übersetzung entstehen und deren Poetik durch sprachliche und kulturelle Übersetztheit geprägt ist. Born translated-Texte unterlaufen die Dichotomie zwischen der vorgängigen Kreativität des Originals und der scheinbar bloß imitierenden Nachträglichkeit der Übersetzung und lassen stattdessen die übersetzerische Dimension der Poiesis zum Vorschein treten. Indem sie unterschiedliche Sprachen miteinander in einen Dialog bringen und in diesem Prozess die Grenzen zwischen Sprachen dynamisieren, unterminieren sie eindeutige und eindimensionale Relationen zwischen Sprache, Kultur, Raum und Identität und machen das monolinguale Paradigma als Grundlage nationaler Gemeinschaft hinterfragbar (vgl. Yildiz 2012). Verfasst in verschiedenen Sprachen, einer „plurality without a number“, wie Helgesson und Kullberg (2018: 137) zurecht betonen, bedeuten sie einen Affront für native readers, die meinen, privilegierten Zugang zum Text zu haben, weil dieser in ‚ihrer‘ Sprache verfasst wurde. Es sind Texte, die die transkulturelle Dimension von Sprache jenseits von Binäroppositionen offenlegen und die gegen die ‚Wut der Aneignung‘ (vgl. Derrida 1996: 46) Mehrfachzugehörigkeit, Austausch und Translingualität stark machen. Der Reiz einer solchen ungezähmten Translingualität liegt darin, dass sie sich eben nicht länger auf eine „pluralisierte Einsprachigkeit“ (Stockhammer 2017: 20) zurückführen lässt: Die aufgerufenen Sprachen werden hier ‚fremdgeschrieben‘ (vgl. Ette 2007: 173) und entgrenzt, dabei aber zugleich in eine neue, dritte Sprache übersetzt, die lokal und translokal zugleich ist und die polyzentrische Formen der Gemeinschaftsbildung konkret werden lässt: „Translinguale Übersetzungsprozesse“, schreibt Ottmar Ette (174), „charakterisieren sich dabei durch ihre spezifische Unabschließbarkeit. Das ihnen Eigene ist die an keinen Fixpunkt gelangende Bewegung.“

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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