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3.3 Der scharfe Blick

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Kommen wir zur dritten Gruppe von Aussagen, bei denen zur Skepsis in der Sache eine bittere Note tritt, ein schärferer Ton, eine manchmal sogar ins Aggressive kippende Haltung. Übersetzer werden hier beispielsweise als ‚Diener zweier Herrn‘ bezeichnet, und anders als in Carlo Goldonis gleichnamiger Komödie (1746) ist das nicht lustig gemeint. Ein solches Diktum bezieht sich zunächst einmal auf die schlichte Evidenz, dass Übersetzer sowohl der Ausgangs- wie der Zielsprache verpflichtet sind, also einer doppelten Verpflichtung unterliegen, die Entscheidungen zwischen mehreren möglichen sprachlichen Lösungen erfordert. Doch nicht die dafür benötigte Erfahrung oder Kreativität wird thematisiert, sondern eine (servile, erduldete) Abhängigkeit beleuchtet; mehr noch, in der Verdoppelung der Herren steckt nicht nur eine Verstärkung, sondern auch ein unauflösbares moralisches Dilemma: weil zwei Herren gleichzeitig zu dienen gemäß der herbeizitierten aristokratischen Ordnung unmöglich ist, denn eine Seite muss dabei zwingend zu kurz kommen. Im Dienen steckt die Pflicht zur Loyalität, zwei Herren zu dienen heißt illoyal zu sein. Ergo: Übersetzer sind illoyal.

Auch der erotische Echoraum wird gern genutzt. Etwa von Johann Wolfgang von Goethe: Er bezeichnet die Übersetzer als „geschäftige Kuppler, die uns eine halb verschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen“ (Goethe 1967b: 499). Damit rückt er das Metier in die Nähe der Zuhälterei, was immerhin noch nicht ganz so verächtlich klingt wie jene Redensart, Übersetzen sei ‚das zweitälteste Gewerbe der Welt‘, Übersetzer also gleichzusetzen mit Prostituierten.

Nicht vertrauenswürdige Dienstboten, zwielichtiges Gewerbe, käufliche Sexarbeiter – gibt es noch eine Steigerung? Zwei Worte genügen und fertig ist die wohl am häufigsten zitierte moralische Herabsetzung der Übersetzer: „traduttore traditore“ lautet die kürzeste und zugleich schlagend herabwürdigend formulierte Gleichung zwischen Übersetzer und Verräter. Dank des Gleichklangs der beiden Worte im Italienischen ist sie unmittelbar eingängig, wenn auch selten weiter begründet. Die Homophonie tritt an die Stelle des Arguments, was der Verbreitung offensichtlich zuträglich war und ist.1

Ähnlich wie Goethe imaginiert Miguel de Cervantes das, was zwischen Ausgangs- und Zieltext steht, in einer optischen Metapher. An die Stelle des verführerischen Schleiers tritt bei ihm die Webart eines Teppichs, wenn er seinem Protagonisten Don Quijote folgendes Urteil in den Mund legt:

Dennoch bin ich der Ansicht, das Übersetzen von der einen Sprache in eine andere, […], so ist, als betrachtete man die flämischen Wandteppiche von der Rückseite her, wo man die Figuren zwar erkennt, doch nur unter allerlei Fäden, die sie verschleiern, so dass sie nicht in der Klarheit und dem Farbenglanz hervortreten wie auf der Vorderseite. (Cervantes 2008: 545)

Der Ritter kommentiert hier wohlgemerkt eine Übersetzung aus dem Italienischen ins Spanische: Das Bild des Teppichs, dessen kunstvolle Muster auf der Rückseite nur schemenhaft erkennbar seien, bezieht sich bei Cervantes konkret auf eine Übersetzung zwischen eng verwandten Sprachen und vor allem auf jenen Sonderfall, bei dem jemand Ausgangs- und Zielsprache gut beherrscht. Nur dann kann man beim ersten Blick auf die Übersetzung eine Ahnung von der sprachlichen Formung des Originals bekommen. Beide Einschränkungen aber haben die weite Verbreitung dieses Bildes über 400 Jahre hinweg nicht bremsen können. Noch im 20. Jahrhundert sekundiert der italienische Schriftsteller Leonardo Sciascia: „Am besten hat es Cervantes ausgedrückt: Übersetzung ist wie die Rückseite eines Teppichs“ (Cervantes 2008: 545). Gut zu erkennen ist hier, wie sich in der Überlieferungstradition das Bild (der Teppich und seine Webart) von den beiden höchst spezifischen Voraussetzungen der Aussage (verwandte und vom Sprecher beherrschte Sprachen) gelöst hat. Zudem suggeriert es bildhaft konkret und folglich sehr überzeugend, dass Literaturübersetzen nur eine Ahnung von dem vermitteln kann, was ursprünglich gesagt wurde; die Vorderseite des Teppichs, ihre dicht gewebte Schönheit ohne Brechung sowie die darauf beruhende ästhetische Wirkung des Originals bleiben für die Übersetzung unerreichbar. Kurz gesagt: Gutes Übersetzen ist unmöglich.

Die Unmöglichkeit guten Übersetzens: Diesen Gaul reiten zahlreiche Redensarten, mal schneidend („Poesie ist das, was in der Übersetzung verloren geht“, Robert Frost), mal pointiert („Das Original ist der Übersetzung nicht treu“, Jorge Luis Borges), mal die Metapher der Schifffahrt aufnehmend, die zwangsläufig im Schiffbruch endet. So Wilhelm von Humboldt:

Alles Übersetzen scheint mir schlechterdings ein Versuch zur Auflösung einer unmöglichen Aufgabe. Denn jeder Übersetzer muss an einer der beiden Klippen scheitern, sich entweder auf Kosten des Geschmacks und der Sprache seiner Nation zu genau an sein Original oder auf Kosten seines Originals zu sehr an Eigentümlichkeiten seiner Nation halten. Das Mittel hierzwischen ist nicht bloß schwer, sondern geradezu unmöglich. (Humboldt 1963: 78)

Der preußische Sprachwissenschaftler, der als Kenner europäischer, orientalischer und asiatischer Sprachen wusste wovon er sprach, ist eine der vielen Stimmen im Chor, die in solchen Entweder-Oder-Sätzen das Übersetzen als unmöglich markieren. Dessen Gesang ist so reich, dass er einen Unmöglichkeits-Topos erschaffen hat, der sich in Hunderten von Aufsatz- und Buchtiteln niederschlägt, die vom Übersetzen einzig und allein als ‚Problem‘ sprechen können.2

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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