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2 Übersetzung im Zeichen des Cultural Turn

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Kulturtheoretisch und -wissenschaftlich ausgerichtete Ansätze deuten die bei Übersetzungen zur Verhandlung stehende sprachliche Differenz bekanntlich metonymisch, nämlich als Evokation kultureller Alterität im Geflecht eines hierarchischen Verhältnisses zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen (vgl. z.B. Bassnett/Trivedi 1999; Bachmann-Medick 2006; Bandia 2008). Übersetzungen, so Sandra Richter, bilden Knotenpunkte des „Literaturkontaktes“ (2017: 23) und des Kulturtransfers. Der Übersetzungsprozess stellt sich dementsprechend als interkultureller Akt der Kommunikation dar, der nach Formen der „thick translation“ (Appiah 1993), also kultur- und kontextsensitiven Deutungen verlangt. Dabei geht es um eine sprachlich vermittelte Annäherung an kulturelle Alterität, die – und das ist eine der Aporien der Übersetzung – erst in der Relation zu einer als eigen gesetzten Sprache und entsprechenden Wissensordnungen Kontur gewinnt (vgl. Neumann 2020). Kategorien wie kulturelle Differenz, Fremdheit und Eigenheit, Repräsentation und Transformation verdrängen oder überlagern damit das Interesse an sprachlicher Äquivalenz und sensibilisieren für die Machtrelationen, die Übersetzungen zugrunde liegen und denen sie umgekehrt zur Geltung verhelfen (vgl. Bachmann-Medick 2011: 449). Vittoria Borsò (2006: 9) etwa konstatiert: „Die Praktiken des Übersetzens sind seit der Moderne, besonders deutlich jedoch in der jetzigen Phase der Globalisierung, ein Laboratorium der Fragen, die das Verhältnis der Kulturen untereinander betreffen.“ Dies ist zweifelsohne richtig; gleichwohl wäre es gerade im Kontext der Übersetzung ästhetisch vieldeutiger Literatur verkürzt, eine glatte, funktionsorientierte Korrelation von Text und Kultur bzw. sprachlicher und kultureller Differenz vorzunehmen. Die Vorstellung, dass das sprachliche Zeichen als Träger fixierbarer kultureller Alterität fungiert, läuft Gefahr, ein Referentialitätsmodell zu perpetuieren, das die Instabilität und Mehrsinnigkeit von Sprache unterschätzt und essentialisierenden Zeichen- und Kulturkonzepten in die Hand spielt. Hinzu kommt, dass homologe Verbindungen zwischen Sprache und Kultur im Zeichen zunehmender Diversität innerhalb von Gesellschaften sowie entsprechender multi- und translingualer Konfigurationen, die Mehrfachzuordnungen, Zwischenräume und hybride Konstellationen implizieren, an Plausibilität verlieren (vgl. Ette 2006). Welche kulturelle Alterität etwa steht in der deutschen Übersetzung des Erfolgsromans Open City (2011) zur Disposition, verfasst von Teju Cole, einem Autor, der zugleich amerikanisch, nigerianisch, amerikanisch-nigerianisch und postnational ist und dessen Roman einen in New York lebendenden nigerianisch-deutschen Protagonisten ins Zentrum stellt? Eine Übersetzungskritik, die sprachliche, kulturtheoretische und ideologiekritische Aspekte zusammendenkt, sollte sprachliche Differenz auch als Moment einer ästhetisch ermöglichten Selbstreflexion und kommunikativen Friktion verstehen, das zwar kulturelle Wissensordnungen anklingen lässt, sich aber eindeutigen Funktionszuschreibungen widersetzt.

Die sozio-politische und ethische Bedeutung von Übersetzungen erwächst aus der ihnen eingelassenen Dynamik von Eigenem und Fremden, eine Dynamik, die, und das ist zentral, Übersetzungen einerseits implizieren und andererseits in ihrer Performativität mitgestalten. Übersetzung, so Anselm Haverkamp (1997: 7), „ist die Agentur der Differenz, welche die trügerische Identität von Kulturen sowohl schafft, als auch sie im Zwiespalt ihrer ursprünglichen Nicht-Identität erneuert und vertieft“. Übersetzungen können gleichermaßen identitätsstabilisierende wie -destabilisierende Effekte haben. Sie führen zum einen differentielle Kategorien und Irritationen in Sprache und Kultur ein und öffnen das Eigene für das Andere;1 zum anderen können sie den Monolingualismus insbesondere von hegemonialen Sprachgemeinschaften fördern und performativ durch die Markierung als ‚eigen‘ und ‚fremd‘ homogenisierende Vorstellungen von Sprache und Gemeinschaft festigen. Es sind diese letzteren, auf Identitätsstabilisierung angelegten Übersetzungen, die Venuti von der epistemischen ‚Gewalt der Übersetzung‘ sprechen lassen:

[T]he violence […] resides in the very purpose and activity of translation: the reconstitution of the foreign text in accordance with values, beliefs and representations that preexist it in the target language, always configured in hierarchies of dominance and marginality, always determining the production, circulation and reception of texts. […] Translation is the forcible replacement of the linguistic and cultural differences of the foreign text with a text that is intelligible to the translating-language reader. […] The aim of translation is to bring back a cultural other as the recognizable, the familiar, even the same; and this aim always risks a wholesale domestication of the foreign text (Venuti 2008: 14).

Man muss den übergeneralisierenden Charakter der Aussage nicht mittragen, aber auch die Geschichte der Übersetzung zeigt, dass Übersetzungen, die Alterität tilgen bzw. domestizieren und an die Ordnungen der ‚eigenen‘ Sprache anpassen, zumeist dann Konjunktur haben, wenn es darum geht, das Monopol einer Kultur zu stärken bzw. durchzusetzen. Domestizierende Übersetzungen, wie Venuti sie in Rückgriff auf die romantische Übersetzungstheorie von Friedrich Schleiermacher (1813) nennt, sind auf Glättung von Differenz im Dienste eines scheinbar reibungslosen Transfers von einer literarischen Kultur in eine andere und auf Bestätigung bestehender Ordnungen angelegt.2 Anstatt die Fremdheit des Textes zu kuratieren und für Momente ästhetischer und kultureller Brechung, Neuerung und Irritation produktiv zu machen, schmelzen domestizierende Übersetzungen Fremdes ein und setzen an dessen Stelle das Eigene. Ein Blick auf die Übersetzungsgeschichte zeigt aber auch, dass es oftmals domestizierende Übersetzungen sind, die neuen, scheinbar fremden Autor:innen zur Geltung verhelfen und die (wahrgenommene) historische und kulturelle Distanzen überbrücken. Dies zeigt die Geschichte der deutschen Shakespeare-Übersetzungen ebenso wie zahlreiche Übersetzungen von anglo-afrikanischen Literaturen. Anders gesagt: Domestizierende Übersetzungen können zumindest für eine größere Wahrnehmung, bisweilen sogar Akzeptanz von bislang unbekannten fremdsprachigen Autor:innen sorgen. Häufig sind es dann, wie etwa im Fall von Chinua Achebes Klassiker Things Fall Apart (1958), Neuübersetzungen, die verfremdende Strategien einführen und Leser:innen mit der Differenz anderer literarischer Gemeinschaften konfrontieren.

Gegen die Gefahr einer auf Tilgung von Differenz angelegten Übersetzungspraxis setzt Venuti – wie viele andere Übersetzungstheoretiker:innen – das widerständige ‚verfremdende‘ Übersetzen, das sich für sprachliche und kulturelle Andersheit öffnet.3 Verfremdendes Übersetzen ist für Venuti ‚sichtbares‘ Übersetzen, denn es bringt die Spuren anderer Sprachen zum Vorschein und widersetzt sich monologischen Strukturen und universalisierender Aneignung. Venutis Prämisse ist, dass sichtbares und verfremdendes Übersetzen die Grenzen eigener Sprach- und Wissensordnungen anzeigt und nicht-assimilierbare Partikularitäten gegen totalisierende Kulturansprüche stark macht. Verfremdende Übersetzungen, so Venuti in The Scandals of Translation: Towards an Ethics of Difference (1998), erkennen die Eigenwilligkeit des fremden Textes an: „This translation ethics does not so much prevent the assimilation of the foreign text as aim to signify the autonomous existence of that text behind (yet by means of) the assimilative process of the translation.“ (Venuti 1998: 11) Das ethisch relevante Spannungsverhältnis zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Übersetzung impliziert mithin auch „eine Spannung zwischen dargestellter Identität und Nicht-Identität der Kulturen“ (Sepp 2017: 60).

Natürlich – dies ist oben angedeutet und darauf haben Kritiker:innen verschiedentlich hingewiesen (vgl. Grutman 1998; Pym 1995) – ist Venutis Unterscheidung zwischen domestizierenden und verfremdenden Übersetzungen zu dichotom konzipiert. Zwischen domestizierenden und verfremdenden Übersetzungen liegen etliche Zwischenformen, die sich eindeutigen Zuordnungen entziehen. Anthony Pym (1995) zufolge blendet die Unterscheidung die vermittelnden, transitorischen Räume des Dazwischen aus, wobei es aber gerade diese sind, in denen sich ständig in Bewegung befindliche Übersetzer:innen befinden, die Verbindungen zwischen Sprachen, Texten und Gemeinschaften allererst ausloten und knüpfen. Auch Venutis Korrelation zwischen verfremdend, sichtbar und widerständig greift zu kurz, denn letztlich kann jedwede Übersetzung zum Instrument von ethnozentrischer Selbstbehauptung werden (vgl. Tymoczko 2000; Boyden 2006). Wie u.a. Pym (1995) in seiner Kritik an Schleiermacher und Venuti darlegt, zeigt nicht zuletzt die deutsche Geschichte, dass das verfremdende Übersetzen oftmals in den Dienst des Nationalen gestellt und für die Profilierung der Nationalsprache sowie des Nationalbewusstseins vereinnahmt wurde. Um zu einer differenzierten Einschätzung des Wirkungspotentials von domestizierenden und verfremdenden Übersetzungen zu gelangen, gilt es darüber hinaus auch, Hierarchien zwischen Sprachen zu berücksichtigen. Wie übersetzungssoziologische Ansätze zeigen (vgl. Sapiro 2015; Casanova 2015), werden etwa Texte, die in einer auf dem internationalen Buchmarkt als prestigeträchtig angesehenen Sprache verfasst sind, häufiger verfremdend übersetzt als Texte aus weniger prestigeträchtigen Sprachen. Anders gewendet: Hegemoniale Alterität, allen voran diejenige von englischsprachigen Texten, wird seltener getilgt als die von minoritären oder peripheren Sprachen, wobei es aber gerade letztere sind, die, wie Gayatri Spivak betont, besonderen Schutzes bedürfen (vgl. Spivak 1993). Venutis Korrelation greift aber auch angesichts historisch und kulturell variabler Literaturverständnisse und Translationspraktiken (vgl. Coldiron 2012), verschiedener Rezeptionsweisen und Veränderungen des internationalen Buchmarktes zu kurz. Der gegenwärtige Buchmarkt beispielsweise setzt im Lichte einer regelrechten „alterity industry“ (Huggan 2001: x) verstärkt auf die Vermarktung von ‚Identität‘ und ‚Differenz‘. Gerade in rezenten Übersetzungen von postkolonialen Literaturen ist (selektive) Sichtbarkeit, etwa in Form der Integration fremdsprachlicher Begriffe, zu einer erwartbaren Strategie geworden: Sie dürfte sich im Lektüreprozess problemlos als Chiffre für eine nicht näher zu bestimmende, allenfalls noch exotisierend wirkende Fremdheit naturalisieren lassen (dies gilt umso mehr, wenn entsprechende Begriffe, wie häufig üblich, kursiviert sind); verdichtet sich aber wohl kaum zu einer Ethik der Differenz.

Kreative und eigenwillige Übersetzungen, Übersetzungen, die die Spuren anderer Sprachen, eingeschlossen ihrer semantischen Kategorisierungen, Formgebungen und konkreten Materialitäten, sichtbar und auch hörbar werden lassen, die der Versuchung entgehen, bestehende und eingeschliffene Sprachmuster im Sinne der Transparenz und Leserfreundlichkeit zu reproduzieren, sind nicht an und für sich ethisch. Sie bieten aber eine Möglichkeit, identitätsstabilisierende Homogenitätsfantasien zu unterlaufen und festgezurrte sprachliche Kategorien an ihre Grenzen stoßen zu lassen (vgl. Gerling/Santana López 2018). Sie schreiben der Zielsprache die Eigenwilligkeiten anderer Sprachen, Denkordnungen und Kulturen ein; sie versehen das scheinbar allzu Vertraute mit dem ‚Stachel der Fremdheit‘ (vgl. Waldenfels 1990) und sorgen damit zugleich für eine ständige Fortschreibung und unvorhersehbare Erweiterung der Zielsprache. Dabei sind sie zugleich eine Chance, die Besonderheiten einzelner Sprachen und die durch sie ermöglichten epistemischen und affektiven Welterfahrungen zum Vorschein zu bringen. ‚Sichtbare‘ Übersetzungen schaffen einen Raum, um Neukonfigurationen von Sprache jenseits einer unterstellten Universalität zu erproben und sprachliche Entscheidungen reflexiv werden zu lassen.4

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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