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4 Sichtbarkeit im Spannungsfeld von Text und literarischem Feld

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Die Praktiken des Übersetzens bieten ein Laboratorium für den Umgang mit sprachlicher Differenz. Dieses Laboratorium wird von verschiedenen, nicht immer gleichberechtigten Akteur:innen bespielt, nämlich von Übersetzer:innen, Lektor:innen, Verlagen, Rezensent:innen, etc. Dies bedeutet auch, dass Sichtbarkeit nicht nur ein textuelles Phänomen ist, sondern auch ein institutionelles und institutionell generiertes, das aufs Engste mit dem literarischen Feld verbunden ist. Das literarische Feld ist, wie u.a. Pierre Bourdieu und Wissenschaftler:innen aus dem Bereich der Übersetzungssoziologie zeigen (vgl. Sapiro 2015; Neumann/Stedman 2020), von nationalen Besonderheiten geprägt; es ist aber auch zunehmend eingebunden in einen transnational operierenden Buchmarkt, der auf globale Distribution bei gleichzeitiger Berücksichtigung lokal disparater Leserschaften ausgerichtet ist. Die Sichtbarkeit der Übersetzung, so eine zentrale Prämisse des Bandes, entsteht im Spannungsfeld zwischen Text und den literaturrelevanten Institutionen bzw. Agent:innen, also Verlagen, Lektor:innen, Kritiker:innen, Rezensionsorganen, Literaturpreisen, Kanonisierungsprozessen etc. Wie sichtbar Übersetzungen sein können und sein dürfen, hängt etwa maßgeblich von verlagspolitischen Entscheidungen und (tatsächlichen oder unterstellten) Rezeptionserwartungen ab. Die Übersetzungssoziologin Gisèle Sapiro (2015, 2016) hat gezeigt, dass gerade große, vornehmlich nach marktökonomischen Prinzipien operierende Verlage bzw. Verlagskonglomerate glättende Übersetzungen prämieren und dazu tendieren, Übersetzer:innen – z.B. auf Buchcovern oder Verlagsseiten – unsichtbar zu machen. Ihr Name wird zumeist nur auf dem Innenumschlag genannt. Dies gilt verstärkt im Fall der Übersetzung von sogenannter Mainstream-Literatur bzw. ‚airport fiction‘, die oftmals auf alt bewährte Plotmuster, Topoi und Erzählverfahren setzt. Der Akt der Übersetzung wird hier kaum als eigene, kreative Leistung anerkannt, sondern zu einem Instrument der Maximierung von Zirkulation herabgesetzt. Institutionell produzierte Unsichtbarkeit wird von dem Übersetzer, Literaturkritiker und Schriftsteller Jan Wilm in diesem Band auch auf kapitalistische Gewinnsteigerung zurückgeführt: „Durchs Unsichtbarmachen der Übersetzer*innen ergeben sich für Verlage tatsächlich kapitalistische Vorteile, da die Werbekampagne ausschließlich auf die schreibende Person konzentriert werden kann. Es ist in vielen Fällen gar nicht gewünscht, dass man als Übersetzer*in selbst als Fürsprecher*in eines übersetzten Werkes auftritt.“ Hingegen ist bei kleineren, unabhängigen Verlagen oder aber auch im Falle der Übersetzung von klassischer, kanonischer oder international bereits konsekrierter Literatur zumindest eine Tendenz zu erkennen, die kreativen Eigenleistungen von Übersetzungen zu würdigen und Übersetzer:innen in ihrer transformativen Agentialität ins Rampenlicht zu rücken. Bei groß angelegten Übersetzungsprojekten finden sich oftmals Porträts der Übersetzer:innen oder Erläuterungen zum Übersetzungsprozess auf den Verlagsseiten, so etwa bei der Übersetzung von Olga Tokarczuks Księgi Jakubowe (2014) / Die Jakobsbücher (2019; Kampa Verlag) durch Lisa Palmes und Lothar Quinkenstein oder im Falle von Sam Selvons Klassiker The Lonely Londoners (1956) / Die Taugenichtse (2017; dtv), übersetzt von Miriam Mandelkow. Die Übersetztheit wird hier als eigener, symbolischer Wert anerkannt, der der Originalität keinen Abbruch tut, sondern sie im Gegenteil steigert. Mit dieser Anerkennung einher geht ein verändertes Verständnis von übersetzter Literatur, die nunmehr als kollaboratives Projekt erscheint und ohnehin überkommene Vorstellungen vom geschlossenen Werk und der Autonomie von Autor:innen unterläuft.

Auch auf anderen Ebenen sind kleinere Veränderungen zu erkennen, die von einem gesteigerten Bewusstsein für den Wert der Übersetzung zeugen. Insbesondere wurden mehr Übersetzer:innenpreise und -stipendien eingerichtet, so etwa die Radial-Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds, der Deutsch-Hebräische Übersetzerpreis oder der Nerval-Goethe-Preis. Und natürlich: Auch die Forschung wendet sich verstärkt der Rolle von Übersetzungen zu, holt diese aus ihrem vermeintlichen Schattendasein heraus und leistet damit einen kleinen Beitrag, die Bedingungen, Möglichkeiten und Folgen von Literaturkontakten zu reflektieren.1 Diesem Ziel ist auch der vorliegende Band verpflichtet, der die Sichtbarkeit der Übersetzung aus dem Spannungsfeld zwischen Text und literarischem Feld heraus begreift und exemplarisch konkretisiert. Um dies zu leisten, werden in dem Teil I „Theorien der Übersetzung“ Formen und Strategien der Un/Sichtbarkeit von Übersetzungen thematisiert und kritisch kommentiert. Klaus Kaindl problematisiert in seinem Beitrag auch unter Rückgriff auf Ralph Ellisons Roman Invisible Man (1952) und dessen (Neu-)Übersetzung allzu eindimensionale Konzepte von Sichtbarkeit. In seiner theoretischen Fundierung zeigt er in kritischer Auseinandersetzung mit Venutis Thesen, dass flüssige Übersetzungen keineswegs gleichzusetzen sind mit der Unsichtbarkeit von Übersetzer:innen. Sichtbarkeit, so eines seiner zentralen Argumente, ist keine textuell gegebene Kategorie, sondern wird durch verschiedene Akteur:innen generiert und ist damit als ‚multifaktoriell‘ zu konzipieren. In seinem Beitrag über „Dienstboten, Kuppler, Verräter“ setzt sich Albrecht Buschmann aus begriffsgeschichtlicher und kulturtheoretischer Perspektive mit dem Phänomen der Sichtbarkeit auseinander und gelangt dabei zu einer Unterscheidung zwischen einer philologisch objektivierbaren Sichtbarkeit und der kulturellen Wahrnehmung derselben. Um dieser Wahrnehmbarkeit auf die Spur zu kommen, stellt er zwei bislang wenig beachtete Bereiche ins Zentrum, nämlich zum einen die Thematisierung des Übersetzens in Sprichworten und Redensarten, zum anderen die Sichtbarkeit von Übersetzungen in Bibliotheken bzw. Bibliothekskatalogen.

Teil II des Bandes „Praktiken der Übersetzung – Zielsprache Deutsch“ setzt sich zum Ziel, interlinguale Übersetzungen ins Deutsche zu analysieren und einige der Voraussetzungen und Effekte translatorischer Entscheidungen zu reflektieren. Berücksichtigt werden nicht nur die Rolle von Übersetzer:innen, sondern auch die Anforderungen des Buchmarktes. Die Analyse sprachlicher Spezifika wird hier ergänzt durch soziologisch orientierte Ansätze zum literarischen Feld, auch in der Absicht, starre Grenzen zwischen dem sogenannten Innen und Außen des Textes zu dynamisieren. Der Beitrag von Ursula Reutner und Philipp Heidepeter untersucht translatorische Sichtbarkeit aus vergleichender Perspektive: Es geht um die Übersetzung sowie Neuübersetzung von Raymond Queneaus Klassiker Zazie dans le métro (1959), vorgelegt von Eugen Helmlé (1960) bzw. Frank Heibert (2019). Dabei steht der unterschiedliche Umgang mit Namen und Kulturspezifika, die als Kristallisationspunkte für die Vermittlung sprachlicher und kultureller Alterität verstanden werden, im Vordergrund. Um Fragen nach translatorischer Sichtbarkeit zu beantworten, entwickelt der Beitrag aus sprachwissenschaftlicher Perspektive Kategorien, die das Maß der sprachlichen Akzentuierung von französischen Partikularitäten im Zieltext beschreibbar machen. Es geht weiter mit einem Beitrag von Helena Küster zur „Allgegenwart und Unsichtbarkeit des Englischen in der Zielsprache Deutsch“, der sich wiederum auf grundlegendere Weise mit Venutis Unterscheidung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit befasst und zugleich die Rolle von Anglizismen in deutschsprachigen Übersetzungen beleuchtet. Der Beitrag problematisiert die kulturspezifische Prägung von Venutis Thesen, die sich, so die grundlegende Einsicht, gerade auch aufgrund symbolischer Hierarchien zwischen Sprachen kaum auf andere Kontexte übertragen lassen. Die Integration von Anglizismen in deutschsprachigen Übersetzungen ist eben nicht primär als Strategie der Verfremdung zu verstehen, die auf Akzentuierung von sprachlicher und kultureller Differenz ausgerichtet ist. Vielmehr unterstellt sie eine oftmals trügerische Nähe und Verstehbarkeit anglo-amerikanischer Kulturen. Der Beitrag von Eva Ulrike Pirker nimmt sich den übersetzerischen Herausforderungen an, die „Figur(ation)en des Übersetzens“ in literarischen Texten mit sich bringen. Konkret geht es um die deutsche Übersetzung von Petina Gappahs Roman Out of Darkness, Shining Light (2019), die von Anette Grube (2018) angefertigt wurde. Übersetzungsfigurationen in der Literatur machen häufig gerade auf die Unübersetzbarkeit – von Wertvorstellungen und Weltzugängen in unterschiedliche Kontexte, Medien und Sprachen – aufmerksam. Sie erfordern daher ein besonderes Maß von Reflexion über die in der Übersetzung getroffenen Setzungen. Der Artikel zeigt in einer kontextsensiblen und rezeptionsorientierten Analyse von Grubes Übersetzung Gewinne und Verluste entsprechender Setzungen. Der darauffolgende Artikel von Rike Bolte beleuchtet die Herausforderungen von Übersetzungen aus indigenen Sprachen in hegemoniale Literatursprachen – ein Thema, das trotz seiner Brisanz bislang kaum Beachtung gefunden hat. Ihr geht es vor allem um ethische Fragen, die die Übersetzung von in Wayuunaiki verfasster Literatur – konkret die Dichtung von Vito Apüshana – aufwirft. Wie lassen sich, so fragt die Wissenschaftlerin und Übersetzerin, die sozialen, politischen, kulturellen und kosmologischen Besonderheiten der südamerikanischen Wayuu-Kultur – und ihrer Sprache, Wayuunaiki –, überhaupt angemessen ins Deutsche übersetzen? Die Herausforderung, die entsprechende Übersetzungen ins Deutsche bedeuten, gründet nicht zuletzt in dem Umstand, dass diese immer medialisiert sind, also von einer bereits vorliegenden spanischen Übersetzung ausgehen. Christine Ivanovics Beitrag „Die radikale Übersetzung“ bildet schließlich den Abschluss von Teil II und schlägt bereits einen Bogen zu Teil III. Ivanovic fragt nach dem Stellenwert von sichtbaren und verfremdenden Übersetzungen, die trotz aller übersetzungstheoretischer Argumente bis heute eine untergeordnete Rolle auf dem Buchmarkt spielen. Sind radikalere Formen des Übersetzens, die Mehrdeutigkeiten und Leerstellen generieren, allein die Domäne einer übersetzerischen Avantgarde? Vor diesem Hintergrund lenkt Ivanovic den Blick auf das mehrsprachige und vielschichtige Werk von Yoko Tawada. Tawada ist eine der – im deutschsprachigen Raum stark wahrgenommenen – transkulturellen Autor:innen, die übersetzen und schreiben und das historisch belastete Verhältnis von Original und Übersetzung neu definieren.

Teil III „Poetologien der Übersetzung – Übersetzung und Multilingualität innerhalb deutschsprachiger Literaturen“ verlagert den Akzent von der Übersetzung zwischen den Sprachen auf die Übersetztheit innerhalb der Sprache. Er verfolgt das Ziel, jene literarischen Texte, zumeist Beispiele der transkulturellen und exophonen Literatur, zu analysieren, die auf inszenierte Mehr- und Zwischensprachigkeit setzen, um die inhärente Übersetztheit der deutschsprachigen Literatur und Sprache zum Vorschein zu bringen. Vorstellungen von Sprachen als geschlossenen Gebilden werden hier ebenso in Frage gestellt wie die Herdersche Korrelierung von Territorium, Sprache und Gemeinschaft. Mit diesen zwischensprachlichen Konstellationen und translatorischen Poetiken verbinden sich weiterreichende sozio-politische Fragestellungen nach Formen der Sozialität jenseits von identitären Homogenitätskonstruktionen, wie sie etwa durch ‚Nationalsprache‘, aber auch ‚Nationalliteratur‘ perpetuiert werden. Arvi Sepp untersucht in seinem Beitrag Übersetzung als hermeneutische Denkfigur in der Prosa von Yoko Tawada und Emine Sevgi Özdamar und zeigt den engen Zusammenhang zwischen Sprachreflexivität und einer Ethik des Kulturtransfers auf. Er analysiert die Texte der transkulturellen Autorinnen hinsichtlich der metaphorischen Ausgestaltung sprachlicher und kultureller Dislokation und illustriert, wie der Topos der ‚Zunge‘ zum Ausgangspunkt wird, um eine radikale multikulturelle Erfahrung von Körperlichkeit zwischen Sprachen und Kulturen zu modellieren. Gerade die Sichtbarkeit der Materialität von Sprache und Text dient hier der Profilierung einer transkulturellen Poetik, die sich aus grenzüberschreitenden Literatur- und Kulturpraktiken speist. Der Beitrag von Volker Dörr nähert sich den Erzähltexten von Emine Sevgi Özdamar aus anderer Perspektive, einer Perspektive, die Interferenzen zwischen den beteiligten Sprachen Türkisch, der ‚Muttersprache‘ der Autorin, Arabisch, der Sprache u.a. des Islam, und Deutsch, der vorherrschenden Sprache der Texte, in den Vordergrund rückt. Die translatorische bzw. transkulturelle Poetik Özdamars integriert unübersetzte Wörter, markierte Übersetzungen und unmarkierte wörtliche Übersetzungen, um das Verhältnis zwischen Sprachen auszuloten. Deutlich wird dabei, dass solche translatorischen Poetiken eben nicht nur grenzüberschreitende und subversive Akte sind; vielmehr implizieren sie auch performative Sprechakte, die Differenzen zwischen Sprachen allererst herstellen. Vor dem Hintergrund einer solchen Dynamik von Konstruktion und anschließender Dekonstruktion stellt sich die Frage nach dem politischen Potential sprachlicher Hybridität in der Tat neu. Es folgt ein Beitrag von Vera Elisabeth Gerling, der den Blick auf María Cecilia Barbettas Roman Nachtleuchten (2018) lenkt und damit einen Roman erforscht, der sprachliche Vernetzungen zum Ausgangspunkt transkultureller Formen der Erinnerung nimmt. Die in Argentinien geborene, in Berlin lebende Autorin erinnert in ihrer Zweitsprache Deutsch an die Geschichte der argentinischen Militärdiktatur. Übersetzerische Verfahren, so zeigt Gerling, werden in diesem exophonen Werk vor allem genutzt, um kulturelle, nationale und territoriale Grenzen zu überschreiten und einen hybriden Raum des Erinnerns zu schaffen, der sich nationalkultureller Vereinnahmung widersetzt. Teil III schließt mit einem Beitrag von Monika Schmitz-Emans, der literarisch-graphische Inszenierungen sprachlicher Übergänge und Zwischenräume in ausgewählten Texten von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Yoko Tawada, Ann Cotten, Theresa Hak Kyung Cha und Uljana Wolf untersucht. Akte der Übersetzung zwischen und innerhalb von Sprachen werden in diesen Texten nicht nur durch vielschichtige multilinguale und zwischensprachliche Poetiken sichtbar; vielmehr werden sie auch durch Brüche mit orthographischen Konventionen sowie die Mischung von Schriftsystemen sinnfällig gemacht. Sogenannte fremdschriftliche Texte, dies zeigt der Beitrag eingängig, weisen Leser:innen zumeist beharrlicher ab als fremdsprachliche Texte, denn sie entziehen sich selbst einer Oberflächenlektüre. Zugleich haben fremdschriftliche Zeichen, Zeichenketten und Arrangements eine starke ‚Fremdheitsanmutung‘, die zu leserseitigen Auseinandersetzungen mit Fremdheit einlädt, die sie aber auch zu Impulsgebern innovativer Schreibverfahren macht. Der Aufsatz illustriert deutlich, welch vielschichtige Formen die Auseinandersetzung mit Übersetzung in der Literatur annehmen kann und welch unterschiedliche Effekte diese translatorischen Poetiken auszulösen vermögen.

Der Band schließt mit Beiträgen der Übersetzer:innen Jan Wilm, Reinhild Böhnke, Susanne Lange und Miriam Mandelkow und übergibt damit das letzte Wort denjenigen, um die es hier zentral geht. In ihren in Teil IV versammelten Beiträgen thematisieren Wilm, Böhnke, Lange und Mandelkow die Herausforderungen und Freiheiten von Übersetzungen, deren Kreativität und Eigensinn im Spannungsfeld zwischen der Agentialität von Übersetzer:innen und den Anforderungen des Buchmarktes. Dabei formulieren sie zugleich weiterreichende Ideen, wie Übersetzungen zu größerer Sichtbarkeit verholfen werden kann. Einmal mehr zeigen diese Beiträge, welch immenses Innovationspotential Übersetzungen als kreative Interventionen in bestehende Sprach-, Literatur- und Denkordnungen bieten; dieses sichtbarer zu machen und auszuschöpfen bleibt auch weiterhin ein zentrales Desiderat.

Die Sichtbarkeit der Übersetzung

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