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5.1.1 Zur Unterscheidung krankhafter, normaler und optimaler Alternsverläufe
ОглавлениеBei der Beschäftigung mit dem Thema Alter und Altern wird häufig unterschieden nach Phänomenen, Prozessen und Personen, die wechselweise im Fokus der Betrachtung stehen können. So trägt die Enzyklopädie der Gerontologie den Titel »Age, Aging, and the Aged« (Birren 2007). Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen thematisieren zudem eine mittlerweile seit einigen Jahrzehnten übliche differentielle Betrachtung von Alter und Altern, mitunter auch aus interdisziplinärer Perspektive (z. B. Baltes et al. 1994; Kruse und Wahl 2010). Eine Unterscheidung in sogenanntes krankhaftes oder pathologisches Altern und nicht pathologisches, also gesundes Altern, häufig weiter ausdifferenziert in normales und optimales oder auch erfolgreiches Altern ist nach diesen Autoren grundsätzlich als konzeptuell und definitorisch problematisch anzusehen, auch wenn sie als »heuristisch nützlich« gelten kann (Baltes und Baltes 1989; Rowe und Kahn 1987). Insbesondere mit Blick auf Beeinträchtigungen im Alter, Pflegebedarf und soziale Ungleichheit hat der Begriff erfolgreiches Altern in letzter Zeit eine bedeutsame Ausweitung erfahren (Tesch-Römer und Wahl 2017). Zwar ist diese Kategorisierung nicht mit einer simplen Etikettierung (wie z. B. »Best-Ager«, »Oldies«, oder »Silver Surfer«) zu vergleichen, aber man findet wiederholt zumindest zwei kritische Anmerkungen:
• Erstens wird gefragt, ob Altern ohne Krankheit überhaupt denkbar ist, oder als Utopie postuliert werden sollte (Baltes und Baltes 1989).
• Zweitens werden die Kriterien zur Grenzziehung entlang statistischer Verteilungshäufigkeiten kritisch hinterfragt, ebenso wie die sich wandelnden und immer wieder neu zu prüfenden Einflüsse (Normen, Werte, Konventionen) auf eine solche Grenzziehung (z. B. Baltes und Baltes 1989; Gerok und Brandstädter 1994; Jopp 2003, Kap. 59).
An dieser Stelle sei auch auf eine kritische Diskussion zu sich verändernden Wahrnehmungen von postulierten (zeitlich angeordneten) Phasen des Alterns (z. B. junges Alter, altes Alter), damit einhergehender erwartete und tatsächliche Übergänge und sich nur allmählich verändernder Altersbilder verwiesen (Graefe et al. 2011; Kornadt und Rothermund 2011; van Dyk et al. 2010). Auch auf die Entwicklung eines empirischen Forschungsfeldes zur Wahrnehmung spezifischer altersbezogener Veränderungen (»Awareness of Age-related Change«) kann hier nur ganz allgemein verwiesen werden (Diehl und Wahl 2010, 2015).
Folgt man den Spuren der Differenzierung von krankhaftem (pathologischen) und normalem (gesundem) Altern, so stellt man fest, dass die Beschreibung typischer weitgehend gesunder Alternsverläufe in Abgrenzung zu pathologischen Verläufen weit zurückreicht und beispielsweise in der von Palmore 1974 vorgenommenen Definition von normalem Altern (»normal aging«) im Rahmen der Befundpräsentation der Duke Longitudinal Study prominent platziert wird. Er beschreibt die Stichprobe der Studie als normal alternde Personen, die weitgehend gesund und für ihr Alter typisch sind, wobei er mit gesund meint, dass es sich um gehfähige, nicht institutionalisierte, und privat wohnende Personen handelt, die sich durch »typische« Alterserscheinungen, also häufige körperliche Funktionseinbußen und geistige Erkrankungen (»some common forms of mental illness«), sowie durch eine Vielfalt an sozialen Rollen, Selbstkonzepten, Verhaltensweisen etc. auszeichnen (Palmore 1974, S. 3).
Die These, dass eine Unterscheidung von krankhaftem Altern und normalem Altern sinnvoll und möglich ist, wird im weiteren Verlauf hierzulande insbesondere von Baltes und Baltes (1989) im Rahmen des Konzepts erfolgreichen Alterns (s. auch Rowe und Kahn 1987) postuliert. Dabei ist allerdings anzumerken, dass erste Ideen zum Konzept des erfolgreichen Alterns schon früher entwickelt wurden (Havighurst und Albrecht 1953; Williams und Wirths 1965). Nach Baltes und Baltes bedeutet normales Altern, ohne gravierende körperliche und geistige Einbußen älter zu werden, was für die meisten Personen zutrifft, während krankhaftes Altern deutlich mitgeprägt ist durch vorliegende medizinisch relevante Beeinträchtigungen und Krankheitsprozesse (z. B. späte Verläufe der Demenz). Vom normalen Altern unterschieden wird zudem das sogenannte optimale Altern, das eine Utopie bestmöglichen Alterns unter entwicklungsfördernden und altersfreundlichen Bedingungen darstellt (Baltes und Baltes 1989).
Wie aus biomedizinischer Perspektive ausgeführt wird, orientiert sich die Vorstellung einer Unterscheidbarkeit von krankhaften, normalen und optimalen Alternsverläufen insbesondere an statistischen Normen und Verteilungsparametern (Gerok und Brandstädter 1994). Individuelle Lebens- und Entwicklungsumstände, die der Modifikation und dem Gestaltungs- oder Anpassungsspielraum der Person unterliegen können (z. B. Jopp 2003) und die Problematik funktionaler Normbegriffe (s. auch van Dyk et al. 2010) stehen, wie bereits erwähnt, der Unterscheidung eher entgegen. Folgt man aber dieser Differenzierung, so ist krankhaftes Altern »durch das Auftreten von spezifischen Krankheitssymptomen, Leistungseinbußen und Funktionseinschränkungen gekennzeichnet (…), die letztlich zu einer im Vergleich zu repräsentativen Durchschnittswerten verkürzten Lebensspanne bei gleichzeitig eingeschränkter Lebensqualität führen« (Gerok und Brandstädter 1994, S. 357). Normales Altern ist dagegen gekennzeichnet durch das Erreichen der durchschnittlichen Lebensspanne bei Auftreten »alterstypischer« körperlicher und seelischer Einbußen, also »altersgebundener Veränderungen biomedizinischer Parameter« (Gerok und Brandstädter 1994, S. 356), ohne auf Variabilität innerhalb von Altersgruppen oder die Definition von Veränderungsgeschwindigkeiten (s. auch Helmchen und Reischies 1998) einzugehen. Optimales Altern wäre hingegen gegeben, wenn »die erreichte Lebenszeit, die organische Funktionstüchtigkeit [und] die subjektive Lebensqualität gegenüber dem Durchschnitt einer vergleichbaren Population deutlich erhöht sind« (Helmchen und Reischies 1998, S. 358). Hierbei wird insbesondere auf Modifikationsspielräume zur Verbesserung der Lebensbedingungen im Sinne einer Verringerung von Morbidität durch gesundheitsfördernde Maßnahmen, der Anpassung des eigenen Lebensstils, das Ausschalten von Risikofaktoren und den Aufschub von Erkrankungen (Fries 1983) verwiesen ( Kap. 56).
Insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeiten zur Beeinflussung der biomedizinischen, sozialen oder psychischen Bedingungen kann optimales Altern im Sinne der gelingenden Gestaltung eben auch als erfolgreiches Altern verstanden werden. Unterscheidet man optimales oder erfolgreiches Altern von normalem Altern, so ist – anders ausgedrückt – erfolgreiches Altern gekennzeichnet durch hohen funktionalen Status bei geringem Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, im Gegensatz zu normalem, also krankheitsfreiem Altern mit hohem Risikostatus (Jopp 2003, Kap. 45). Dabei ist zu bedenken, dass sich (nach Jopp 2003) erfolgreiches Altern von normalem Altern in drei Aspekten unterscheidet: (1.) die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist geringer, (2.) das körperliche und geistige Funktionsniveau ist höher und (3.) erfolgreich zu altern impliziert eine aktive Lebensgestaltung. Damit ist Alternserfolg nicht allein durch Potenziale der Person (Gesundheit, Funktionalität), sondern auch durch aktives Handeln gekennzeichnet (Jopp 2003). Zur Beschreibung von Verhaltensstrategien und Kompetenzen im Umgang mit den Anforderungen des täglichen Lebens, auf die hier inhaltlich nicht näher eingegangen werden kann, und zur Vermeidung des häufig auch missverstandenen Begriffs erfolgreiches Altern wird mitunter auch von gutem Altern (Aging well) gesprochen (z. B. Rohr und Lang 2009; Vaillant 2002).
Die Unterscheidung pathologischen, gesunden und erfolgreichen Alterns spiegelt sich auch in der medizinischen Terminologie wider. Insbesondere im Zusammenhang mit der Beschreibung kognitiver Leistungsfähigkeit und deren Veränderung oder mit Angaben zu Epidemiologie und Diagnostik von Erkrankungen tauchen diese Kategorien auf (z. B. Grond 2005; Helmchen und Reischies 1998; Kaschel 2001; Schuster et al. 2011; Steinwachs 2004; Wetterling 2001; Weyerer 2005). So sprechen beispielsweise Schuster et al. von »3 Arten der Gehirnalterung« und unterscheiden dabei erfolgreiche, normale und pathologische Alterung angesichts unterschiedlicher morphologischer, funktioneller und biochemischer Veränderungen mit fließendem Übergang zum pathologischen Altern (Schuster et al. 2011., S. 266). Aufgrund der Vielfalt und Heterogenität kognitiver Einbußen sowie häufiger Ko-Morbidität ist allerdings eine einfache Testung pathologischen Alterns nicht möglich, ohne auf Verfahren zur Differentialdiagnostik hier näher einzugehen (z. B. Kasche, 2001; Kap. 14).