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6.2 Menschenwürde in Grenzsituationen

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Im Bereich der Intensivmedizin wird die Menschenwürde meist im Zusammenhang mit besonderen Ausnahmesituationen am Ende des Lebens zum Thema, wenn es etwa um Organtransplantation oder Sterbehilfe geht. Es wird zum Teil für sehr unterschiedliche, ja gegensätzliche Positionen mit der Menschenwürde argumentiert. Die fast beliebig erscheinende Bedeutung und Verwendung des Begriffs nährt den oft zu hörenden Vorwurf, er sei im Grunde eine allzu vieldeutige pathetisch-rhetorische Floskel, um überhaupt für eine rationale Beurteilung konkreter ethischer Probleme geeignet zu sein [Hilgendorf 1999: 137 ff.]. Verwendbar sei er allenfalls als Sammelbezeichnung für Grundrechte, ohne eigene moralische Substanz, oder als Grundlage für die Begründung dieser Rechte [Birnbacher 2004: 250; Wetz 2004: 227; Werner 2000: 260 f.]. Bei dem Vorwurf mangelnder Eindeutigkeit des Würdebegriffs im Feld der Medizinethik wird jedoch meist übersehen, dass durch die neuen intensivmedizinischen Errungenschaften, wie künstliche Beatmung oder Ernährung, besonders neuartige „Grenzsituationen“ [vgl. Rehbock 2005 a, Kap. I.2], wie etwa Hirntod oder Wachkoma, überhaupt erst erzeugt wurden. In diesen Grenzbereichen liegt es nicht mehr klar und eindeutig auf der Hand, ob der Mensch noch lebt oder schon tot ist, ob der Abbruch künstlicher Ernähung ihn „verhungern“ und „verdursten“ und ihn somit leiden lässt oder im Gegenteil eine Wohltat für ihn bedeutet, also Leiden lindert. Insbesondere ist oft nicht eindeutig herauszufinden, was der nicht oder kaum ansprechbare Patient will oder vielleicht nicht will. Es liegt also in diesen Situationen nicht so eindeutig auf der Hand, was es bedeutet, die Würde zu achten bzw. zu missachten. Umso mehr bedarf es einer genauen und differenzierten Beurteilung der individuellen Situation mittels praktischer Urteilskraft [vgl. Rehbock 2005 b] und eingehender, auch berufsübergreifender Beratung im Betreuungsteam sowie mit den Angehörigen.

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

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