Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 61

7.1 Blickrichtung Mensch

Оглавление

„Der Patient steht im Mittelpunkt unseres Handelns.“ So heißt es in Klinikleitbildern. Kritiker dieser Aussage behaupten dagegen, dass zwar Krankheiten aufwändig analysiert und therapiert werden, Menschen mit ihren Bedürfnissen aber in den Hintergrund treten. Vorrangig scheinen evidenzbasierte Daten und Checklisten den Umgang mit dem Patienten zu bestimmen. Gerade in der technikgestützten Intensivmedizin gehe es sachlich, faktenorientiert und krankheitsbezogen zu. Das Defizit im psychosozialen Bereich mache sie aber trotz aller Erfolge zur „unmenschlichen Apparatemedizin“ und den Patienten zum „Objekt“, an dem „mechanisch“ gearbeitet wird [Wettreck 1999: 237]. Ebenso drängt sich ökonomisches Denken zunehmend in den Vordergrund und lenkt den Blick weg vom Bedürfnis und Wohl des individuellen Patienten auf Leistungs- und Bilanzdaten. Hier scheint ein Widerspruch zu bestehen zwischen Anspruch und Realisierung von Humanität. Ist Medizin in der heutigen Ausprägung der Intensivmedizin nicht human oder wird Menschlichkeit verschieden verstanden?


Medizin als Dienstleistung am kranken oder von Krankheit bedrohten Menschen ist abhängig vom Menschenbild, aus dem folgt, wie man mit ihm umgeht und was man ihm zukommen lässt oder vorenthält.

Ein Menschenbild hat zwei Elemente. Zum einen geht es darum, wie der Mensch grundsätzlich gesehen wird, in seiner Wesenheit und seinem Bezogensein in der Welt, zum anderen darum, wie das konkrete Gegenüber erlebt wird, mit seinen Stärken, Schwächen, sympathischen und provozierenden Seiten. Menschenbild meint sowohl die generelle philosophisch-anthropologische als auch die individuelle psychologisch-emotionale Sicht.

Die anthropologische Sicht hat sich aufgrund von Sozialisation, Erziehung, kulturellen Einflüsse und konkreten Erfahrungen mit Menschen geformt und ist oft nicht bewusst. Die psychologischen Elemente einer Interaktion basieren auch auf gewachsenen Einstellungen, werden aber durch situationsabhängige Faktoren aktiviert, die beim Behandelnden liegen, aber zum Teil durch den Patienten getriggert werden (s. Tab. 1).

Tab. 1 Einflussfaktoren darauf, wie der konkrete Patient gesehen wird (psychologischemotionales Menschenbild)

Faktoren beim Patienten Faktoren beim Behandelnden/Pflegenden
Erscheinungsbild/(vermutete) Gruppenzugehörigkeit aktuelle Stimmungslage
Verhalten Grad des Ausgeruhtseins/der Erschöpfung
Compliance arbeitsbezogener Stress mit Vorgesetzten/ Mitarbeitenden
(ihm zugeschriebener) Anteil am Krankheitsgeschehen (z. B. Unfallopfer/-verursacher oder Sucht) arbeitsunabhängiger Stress (z. B. Partnerprobleme, finanzielle Krise)
Alter, Geschlecht Assoziationen zu bekannten Personen
Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

Подняться наверх