Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 58
6.6 Institutionelle Rahmenbedingungen
ОглавлениеDabei geht es nie ausschließlich um die Würde des Patienten, als personales Gegenüber, sondern immer zugleich um die Würde aller handelnden und betroffenen Personen, um ihre Selbstachtung. Die in der antiken und Kantischen Ethik hervorgehobene Verschränkung der Selbstachtung mit der Achtung des Anderen ist auch hier zu beachten. Es geht im Grunde, wie das Beispiel Teresa Steins zeigt, um die Würde aller an der Situation Beteiligten, der Ärzte, der Pflegenden und besonders auch der Angehörigen. Ja, in sozialen Institutionen wie der Medizin steht letztlich auch die Würde oder Anständigkeit (decency) des Staates gegenüber seinen Bürgern [Margalit 1997] auf dem Spiel.
Der Staat muss für institutionelle Rahmenbedingungen – etwa durch angemessene Ausbildung, Bezahlung und Arbeitsbedingungen von Ärzten und Pflegenden – sorgen, ohne die, gerade auch auf Intensivstationen, ein menschenwürdiger Umgang mit Kranken, Sterbenden und Verstorbenen unmöglich ist.
Um auf das Beispiel zurückzukommen: Durch sein Verhalten bringt der Pfleger Ingo – unabhängig von der Frage, was Herr Steins tatsächlich versteht oder spürt – auch sich selbst und der Ehefrau gegenüber zum Ausdruck, dass er Herrn Steins, trotz seiner eingeschränkten Lage im Koma, als personales Gegenüber betrachtet und behandelt, und so seine Würde achtet. Auf diese Weise achtet er nicht nur die Würde von Herrn Steins, sondern auch seine eigene Würde und die Würde der Ehefrau. Dies muss nicht zwingend redend, es kann auch schweigend und durch andere, etwa gestische oder mimische Formen der Zuwendung geschehen. In jedem Fall aber ist sein Verhalten Ausdruck einer inneren Haltung gegenüber dem Patienten, die in diesem Fall als besondere Ausnahme erlebt wird, im Grunde aber für die moralische Kultur auch von Intensivstationen charakteristisch sein sollte.