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Diagramm

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Mit dem D. (gr. diagramma, für ‚geometrische Figur‘ oder ‚Umriss‘) verbindet sich eine Diskussion um die Erkenntnisfunktion anschaulicher Visualisierungen (↗ Repräsentation) von räumlichen Beziehungsverhältnissen, wie bspw. durch ↗ Karten. D. kann dabei sowohl als gattungstheoretischer Begriff für eine historisch nachzuweisende, materiell realisierte Bild- bzw. Zeichenklasse verstanden werden, als auch als systematischer Begriff für eine kognitiv-mentale Anschauungsform im Rahmen analogischer Schlussfolgerungsprozesse (↗ Logos). In der Philosophie seit Platon (427–347 v. Chr.) eng mit Fragen der ↗ Geometrie verknüpft, wird das D. im Dialog Menon (82b–84c) als Teil eines pädagogischen Experimentes beschrieben, in dem durch die Rekonfiguration von ↗ Relationen eine in der Ausgangskonfiguration nicht angelegte Schlussfolgerung erzielt wird. Aufbauend auf den Begriff des ↗ Schemas, den Immanuel Kant (1724–1814) in der Kritik der reinen Vernunft von 1781 als eine Vermittlungsform zwischen der ↗ Mannigfaltigkeit der Anschauung und der Abstraktionsleistung des Verstandes auffasst, erfährt das D. im 19. Jh. durch Charles S. Peirce (1839–1914) eine semiotische Deutung (↗ Semiotik), die enge Querbezüge zur Mathematik unterhält (Hoffmann 2005) und bis heute die Diskussion prägt (Stjernfelt 2007). Peirce verhandelt das D. im Kontext seiner Theorie der Ikonizität als ein Phänomen struktureller (↗ Struktur) Ähnlichkeit des Zeichens zu seinem Bezugsobjekt (↗ Index). Nach Peirce (1983, 157) sind D.e dadurch ausgezeichnet, dass sie die „Relationen der Teile eines Dings durch analoge Relationen ihrer eigenen Teile darstellen“ und es somit erlauben, zur Grundlage logischer Ableitungen zu werden. Diese Funktion des D.s als Ableitungsschema ergibt sich vorrangig bei mereologischen Verhältnissen, d.h. Teil-Ganzes-Relationen. Dies verweist auf die Mathematik, wo neben der Geometrie v.a. in der Mengenlehre verschiedene Gattungstypen des D.s entstanden sind, von denen die D.e der Mathematiker Leonhard Euler (1707–1783) und John Venn (1834–1923) mit ↗ Graphen bzw. Darstellungen von Mengen die bekanntesten sind. Im Einklang mit der semiotischen Bestimmung wird das D. auch hier zur Veranschaulichung logischer Beziehungen zwischen ↗ Knoten bzw. ↗ Elementen eingesetzt und stellt darin eine Visualisierung abstrakter Schlussprinzipien wie dem Syllogismus dar. Seit dem 20. Jh. rückt zunehmend die Räumlichkeit des D.s selbst in den Fokus der Forschung. Michel Foucault (1926–1984) versteht in seiner Analyse des ↗ Panoptismus unter D. einen auf seine „ideale Gestalt reduzierten Machtmechanismus (↗ Macht)“ (1976, 264), was im Werk von Gilles Deleuze (1925–1995) weitergeführt wird (↗ Heterotopologie). Sybille Krämer (2005) hingegen konzipiert das D. erkenntnistheoretisch als ‚Operationsraum‘ (↗ Operation) anschaulicher Schlussfolgerungsprozesse. Das D. wird dadurch als eine Kategorie greifbar, welche in ↗ Medien und Kulturformen (↗ Kultur) wie der ↗ Schrift, dem Bild (↗ Bildraum), dem Film (↗ Erzählung), dem Spiel (↗ Zauberkreis), dem Entwerfen oder der Prognose immer dann zur Anwendung kommt, wenn Beziehungsverhältnisse in einer zwei- oder dreidimensionalen ↗ Fläche verräumlicht und für ihre praktische Rekonfiguration zugänglich gemacht werden. Möglich ist so eine ‚diagrammatische‘ bzw. ‚diagrammatologische‘ (Krämer 2009) Lesart von medialen Raumphänomenen wie etwa der ↗ Differenz zwischen Spielfeld (↗ Feld) und Spielraum (↗ Raum).

Literatur: Bauer/Ernst 2010; Bogen/Thürlemann 2003; Stjernfelt 2007.

Bauer, Matthias/Ernst, Christoph (2010): Diagrammatik, Bielefeld.

Bogen, Steffen/Thürlemann, Felix (2003): Jenseits der Opposition von Text und Bild, in: Die Bilderwelt der Diagramme Joachims von Fiore, hg. v.A. Patschovsky, Ostfildern, 1–22.

Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen, Frankfurt a.M. [frz. 1975].

Hoffmann, Michael H. (2005): Erkenntnisentwicklung, Frankfurt a. M.

Krämer, Sybille (2005): Operationsraum Schrift, in: Schrift, hg. v. G. Grube, W. Kogge u. ders., München, 23–57.

Dies. (2009): Operative Bildlichkeit, in: Logik des Bildlichen, hg. v. M. Heßler u. D. Mersch, Bielefeld, 94–117.

Peirce, Charles S. (1983): Phänomen und Logik der Zeichen, Frankfurt a. M.

Stjernfelt, Frederik (2007): Diagrammatology, Dordrecht.

Christoph Ernst

Lexikon Raumphilosophie

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