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Dauer

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D. vom Verb ‚dauern‘ bedeutet wörtlich ‚währen‘ oder ‚bestehen bleiben‘. Die heutige Form geht zurück auf mhd. turen oder duren, das auch die weitere Bedeutung von ‚aushalten‘ hat, und das im 12. Jh. aus mnd. und mniederl. duren übernommen wird, was wiederum auch ‚sich ausstrecken‘ heißen kann. Dieses ist wie frz. durer im 11. Jh. aus lat. durare entlehnt. Das Verb ‚dauern‘ löst seit dem 12. Jh. das dt. wern, für ‚währen‘, ab. Aus diesem Bedeutungswandel heraus entsteht die Redensart: ‚Was lange währt, wird endlich gut‘. Der Begriff ‚währen‘ enthält den Moment der ↗ Nachhaltigkeit, die weiter und länger wirkt als die lineare Vorstellung eines Dazwischen (↗ Intervall) der ↗ Zeit zwischen ↗ Anfang und ↗ Ende. Nach Henri Bergsons (1859–1941) Essai sur les données immediates de la conscience von 1889 ist der moderne Zeitbegriff, der sich in Stunden und Minuten gliedert, zu einfach gedacht, weil er die inneren Zeitebenen nicht einbezieht. Zeit wird hier verstanden als ein komplexes ↗ Feld aus ↗ Wahrnehmung, ↗ Erinnerung und ↗ Ereignis. Bergson (2006) entwickelt ein Modell, mit dem Zeit räumlich gedacht wird: Wie bei einem Trichter werde die Zeit auf das Wesentliche – die D. (frz. durée) – destilliert; dieses sei, was unsere Wahrnehmung ausmacht. D. beschreibt ein komplexes Gebilde aus ↗ Raum, Zeit, ↗ Tiefe und Größe. Gilles Deleuze (1925–1995) überträgt den Begriff der D. auf den ↗ Schnitt im Film als das, was als gezielt eingesetzte Konstruktion erzeugt wird, um eine bestimmte Realität (↗ Erzählung) zu erzeugen. Der Begriff der D. wird von Deleuze (1997a, 22ff.) in einen mehrdimensionalen Kontext gesetzt und als Maßeinheit für ↗ Dichte – auch im übertragenen Sinn (↗ Metapher) – verwendet: Die Zeit ist das Gestaltungselement im Film, mit welchem ↗ Prozesse beschleunigt oder verlangsamt, für das Auge sichtbar oder unkenntlich gemacht werden. Kino wird als Abstraktionsprozess verstanden, in dem ↗ Emotionen durch die Gestaltung der D. ausgelöst werden. Die D. bestimmt einen Raum des ↗ Zwischen, den Jacques Lacan (1901–1981) als Interface, als Schnittstelle verschiedener Modi beschreibt: Zwischen den Bildereignissen ist niemals ↗ Leere, sondern der Zwischenraum besteht aus dem Realen, Symbolischen und ↗ Imaginären. Lacan nutzt erstmalig in der Psychoanalyse variable Sitzungsd.n, die er nach inhaltlichen Kriterien bemisst, wofür er stark kritisiert wird (Langlitz 2005). In der kapitalistischen Ära wird der Zeitbegriff vorwiegend als Wirtschaftsfaktor eingesetzt. Mauricio Lazzarato (2002) untersucht, wie bestimmte Technologien (↗ Gestell) die Wahrnehmung von D. beeinflussen: Mittels digitaler oder elektronischer Impulse kann Zeit verkürzt oder gedehnt werden. Im Zentrum seiner Betrachtung steht der Einfluss der Maschine auf die Lebenswelten. Durch die Entwicklung synthetischer Räume mittels neuer Technologien wie Rapid Prototyping entstehen neue Raumgefüge, die eine noch nie dagewesene Detailgröße ermöglichen. Die zunehmende Fusion von filmischen und digital erzeugten Bildern führt zu dreidimensionalen Bildwelten, die für Anwendungen im Nanoraum verwendet werden. Physikalisch kleinste Teilchen (↗ Teilbarkeit) beschleunigen chemische und biomolekulare Prozesse. Die Nanotechnologie arbeitet mit extrem komplexen ↗ Miniaturen an der Optimierungtechnischer Anwendungen. In kurzer D. können langwierige Prozesse initiiert werden. Diese Vorgänge unterliegen nach Elmar Altvater (2005) einem Höchstmaß an wirtschaftlich orientierter Maximierung (↗ Kapital), die auf einen neuen, in noch kleinere Zeiteinheiten destillierten Prozess im Umgang mit Zeit hindeuten.

Literatur: Deleuze 1997; Volland 2009.

Altvater, Elma (2005): Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen, Münster.

Bergson, Henri (2006): Zeit und Freiheit, Hamburg [frz. 1889].

Deleuze, Gilles (1997): Henri Bergson, Hamburg [frz. 1966].

Ders. (1997a): Das Bewegungsbild, Frankfurt a. M. [frz. 1983].

Langlitz, Nicolas (2005): Die Zeit der Psychoanalyse, Frankfurt a. M.

Lazzarato, Mauricio (2002): Videophilosophie, Berlin.

Volland, Kerstin (2009): Zeitspieler, Wiesbaden.

Sandra Becker

Lexikon Raumphilosophie

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