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Dephasierung

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Von D. spricht man in der Physik, z.B. in der bildgebenden Diagnostik (Kernspintomographie), zur Bezeichnung zeitlicher Verschiebungen auf mikrophysikalischer Ebene. Der Medienphilosoph Vilém Flusser (1920–1991) verwendet den Begriff zur Diagnose vermeintlicher Verschiebungen historischer Entwicklungen zwischen Europa (↗ Okzident) und peripheren (↗ Rand) geographischen (↗ Geographie) ↗ Räumen. Flusser (1994, 63–84) geht davon aus, dass D. als Folge eines Imitationsverhaltens auftritt, das die Herausbildung kultureller Eigenarten verhindert. Vorgebracht wird dies zu Beginn der 1970er Jahre in dem Essay Brasilien oder die Suche nach einem neuen Menschen. Implizit besteht ein Bezug zu den Entwicklungstheorien der 1960er Jahre, insbesondere der Dependenztheorie (↗ Abhängigkeit), die von lateinamerikanischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt wird: Diese erklären auf marxistischer (↗ Kapital) und strukturalistischer (↗ Struktur) Basis den ökonomischen Rückstand der sog. Dritten Welt im Weltsystem anhand von strukturellen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen ↗ Zentrum und ↗ Peripherie. Durch Ausblendung dieser Debatten läuft Flussers Verwendung des D.sbegriffes Gefahr, als essentialistische (↗ Verdinglichung) Zu-Schreibung an eine brasilianische ↗ Kultur, die laut Flusser (ebd., 84) „ihrem Wesen nach außerhalb (↗ Außen) der Geschichte (↗ Nachgeschichte)“ stehe, missverstanden zu werden. Später vermeidet Flusser den Begriff D. und interessiert sich zunehmend für Denkfiguren, die im ausgehenden 20. Jh. als charakteristisch für kulturelle Hybridisierung (↗ Drittraum) gelten, so etwa Abfall, Recycling, Vielheit von ↗ Geschichte, das Nomadische (↗ Nomadismus) etc. Flussers frühere Vorstellung von D. erscheint als gefangen in einem okzidentalen Modernisierungskonzept, das z.B. aus der Perspektive postkolonialer Theorien (↗ Marginalisierung) seit den 1980er Jahren stark kritisiert wird.

Literatur: Cardoso/Faletto 1976; Guldin 2009, 223–224; Quijano 2008.

Cardoso, Fernando H./Faletto, Enzo (1976): Abhängigkeit und Entwicklung in Lateinamerika, Frankfurt a. M. [span. 1969].

Flusser, Vilém (1994): Brasilien, in: ders.: Brasilien, Mannheim, 7–166.

Guldin, Rainer (2009): Ex/zentrische Standpunkte, in: Das Dritte Ufer, hg. v. S. Klengel u. H. Siever, Würzburg, 215–229.

Quijano, Aníbal (2008): Coloniality of Power, in: Coloniality at Large, hg. v. M. Moraña, E. Dussel u. C. A. Jáuregui, Durham, 181–224.

Susanne Klengel

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