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Cyberspace

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Der C. ist ursprünglich eine 1984 von William Gibson in dem Science-Fiction Roman Neuromancer so benannte Visualisierung von Computerdaten (↗ Daten), ein ↗ Nicht-Ort, in dem der ‚Cybernaut‘ sich mittels räumlicher ↗ Metaphern bewegt. Mittlerweile wird mit C. auch die ganze Palette telekommunikativer (↗ Telepräsenz) technischer ↗ Medien belegt. Erstmals in der Kurzgeschichte Burning Chrome von 1982 erwähnt und dann in der bis 1988 fortgesetzten Roman-Trilogie entwickelt Gibson den C. literarisch weiter zu einem Begegnungsort, einer kollektiven technischen Halluzination. Mit Hilfe eines ‚Decks‘, bestehend aus Tastatur und Schädelelektroden, navigiert (↗ Navigation) der Cybernaut durch den C., auch ↗ Matrix genannt, setzt Kommandos ab und erlebt die Raumsimulation immersiv. Als ‚SimStim‘ bezeichnet Gibson, der nach eigener Auskunft durch die zeitgenössischen Arcade-Videospiele inspiriert wurde (Gibson 2011), seine Vorstellung von einer voll immersiven passiven Mediensimulation eines ↗ virtuellen Raums, aufgezeichnet von Schauspielern, die die Begebenheiten der Narration (↗ Erzählung) für die Konsumenten durchleben, die dann deren ↗ Wahrnehmungen und Gefühlswelt (↗ Emotion) erfahren können, indem sie sich in den C. ‚einstöpseln‘ (engl. jack in). Im letzten Teil der Trilogie, Mona Lisa Overdrive, ist bei körperlichem ↗ Tod in der Realität der Übertritt in den C. möglich. Gibson entwickelt seine Ideen parallel zu den ersten industriell verfügbaren Geräten des virtuellen Raums, den Data Gloves und VR-Goggles. Die Idee eines C. wird bereits 1964 von Stanislaw Lem (1921–2006) beschrieben: Lem (1981, 327) untersucht die Möglichkeiten einer ↗ Simulation, die ununterscheidbar von der Realität ist. Er schlägt, ganz im Geiste der Kybernetik, Rückkopplung als dafür unerlässliche Voraussetzung vor. Oswald Wiener beschreibt 1969 in seinem Roman die verbesserung von mitteleuropa den ‚Bioadapter‘ als die Technologie der Abkopplung des Bewusstseins vom Körper (↗ Leib), vom Ersetzen der Physis der Körperzellen durch eine Konstanz der auf das Bewusstsein einströmenden Information. Seine Vision von Aufbewahrungszellen für einen unwichtigen Körper entspricht genau dem Plot der Filmtrilogie Matrix von 1999 und 2003 der Wachowski-Brüder Larry und Andy, in der, wie bei Lem, die Ununterscheidbarkeit von Simulation und Realität thematisiert wird. Wieners Idee von der Informatisierung des Bewusstseins wird bei Hans Moravec (1990) zur Technik der Übertragung neuronaler ↗ Strukturen in Software, einer Art Wiederauferstehung im C. wie bei Gibson. Steven Lisberger baut diesen Übergang zwischen Realität und C. als wesentliches Handlungskonstituens in seinen Film Tron von 1982 sowie dessen Nachfolger Tron Legacy von 2010 ein. Unübersehbar erscheint ein informatisches Universum im C., der sog. Spielraster (↗ Zauberkreis), der von ‚Programmen‘ bevölkert wird, die äußerlich ihren jeweiligen ‚Usern‘ ähneln, von denen sie programmiert werden. Genauso wie Gegenstände und Lebewesen aus der physischen Realität das ↗ Raster (engl. grid) betreten können, so können auch ‚Programme‘ diesen C. verlassen und in die physische Welt eintreten. Der C. als Begriff für verräumlichte Datenaggregate (↗ Aggregat), etwa von Esther Dyson (et al. 2007) als ein Raum des ↗ Wissens beschrieben, bleibt als informatische Realität bestehen. John P. Barlow (2007, 138) beschreibt in seinem Manifest für den C. von 1996 das Internet als transnationale körper-, materie- und ökonomielose „↗ Heimat des ↗ Geistes“, das von nationalen Regierungen nicht mehr affiziert (↗ Affekt) werde. Neil Stevenson verleiht dem Rückzug des Staates und der Übernahme der Machtfunktionen durch Privatfirmen allerdings schon 1992 in Snow Crash als beängstigende ↗ Utopie literarischen Ausdruck: So erscheint der C. einerseits als der naive Fluchtort (↗ Flucht) eines säkularen ↗ Himmels, in dem ↗ Materie und ↗ Fleisch außer Funktion gesetzt werden, andererseits als die Projektion von ↗ Globalisierung und Ökonomisierung (↗ Konsum) digitaler Kommunikations-↗ Netze in eine düstere Zukunft exzessiver Ungleichheit (↗ Cybersegmentierung).

Literatur: Rheingold 1992; Whittaker 2004.

Barlow, John P. (2007): Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace, in: Neue Medien, hg. v. K. Bruns u. R. Reichert, Bielefeld, 138–140 [amerik. 1996].

Dyson, Esther u.a. (2007): Cyberspace und der amerikanische Traum, in: ebd., 132–137 [amerik. 1994].

Gibson, William (2011): The Art of Fiction, in: The Paris Review 197, www.theparisreview.org/interviews/6089/the-art-of-fiction-no-211-william-gibson.

Lem, Stanislaw (1981): Summa technologiae, Frankfurt a.M. [poln. 1964].

Moravec, Hans (1990): Mind children, Hamburg [amerik. 1988].

Rheingold, Howard (1992): Virtuelle Welten, Reinbek b. Hamburg [amerik. 1991].

Whittaker, Jason (2004): The Cyberspace Handbook, London/New York.

Martin Warnke

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