Читать книгу Lexikon Raumphilosophie - Группа авторов - Страница 110

Dissymmetrie

Оглавление

Der Begriff D. ist ein Neologismus, den Louis Pasteur (1822–1895) im Zusammenhang mit seinen frühen Untersuchungen der Weinsäure prägt, um den invers asymmetrischen (↗ Symmetrie) Aufbau (↗ Tektonik) einander zugeordneter Kristallstrukturen (↗ Struktur) zu bezeichnen. Pasteur (1848) weist dabei erstmals die Existenz von organischen Verbindungen nach, die gleiche chemische und physikalische Eigen-Schaften besitzen, deren entgegengesetzt orientierte Isomere (sog. Enantiomere) jedoch dissymmetrische Paare (↗ Seite) bilden. D. liegt vor, wenn sich aus einer chemischen Verbindung sowohl links- als auch rechtsdrehende hemiëdrische ↗ Kristalle gewinnen lassen, die sich zueinander wie ↗ Bild und Spiegelbild verhalten und jeweils unterschiedliche optische (↗ Optik) und physiologische Wirkungen (↗ Kausalität) entfalten (Rechts- bzw. Linksdrehung der Polarisationsebene des Lichtes, Verträglichkeit bzw. Unverträglichkeit der Substanzen). Pasteurs Vermutung, kristalline D. beruhe auf molekularer D., wird 1874 von Joseph Le Bel (1847–1930) und Jacobus H. van’t Hoff (1852–1911), den Wegbereitern der Stereochemie (↗ Stereo), bestätigt. Deren räumliche, tetraedische Darstellung des Molekülaufbaues von Kohlenstoffverbindungen bringt die Erklärung für die optische Aktivität organischer Verbindungen. Molekulare D. ist ein Kennzeichen organischer Verbindungen, anorganische Verbindungen kennen nur molekulare Symmetrie. Die in der ↗ Natur häufig vorkommenden (+)-Enantiomere sind rechtsdrehend, die entsprechenden linksdrehenden (–)-Enantiomere sind, falls vorhanden, Produkte künstlicher Synthese. An diese Eigentümlichkeit knüpft Pasteur (1891) weitreichende naturphilosophische Spekulationen über das ‚Leben‘ als ‚Funktion der D. des Universums‘ an und führt damit die alte Diskussion um die Händigkeit, die Chiralität (↗ Auge-Hand-Feld) alles Lebendigen, fort. Pasteurs eigene Versuche, die molekulare ↗ Orientierung von Körpern und Substanzen experimentell umzukehren, bleiben erfolglos. Seine Hoffnung, durch vergleichbare Eingriffe zu einer Modifikation der Tier- und Pflanzenarten zu gelangen, erfüllt sich erst in den Labors der heutigen Genforschung. Der Begriff der D. kann sich außerhalb Frankreichs nicht durchsetzen, da er in den Übersetzungen des 19. Jh.s durchgängig mit Asymmetrie wiedergegeben wird.

Literatur: Caillois 1973; Nicolle 1954, 103–160, u. 1959.

Caillois, Roger (1973): La dissymétrie, Paris.

Nicolle, Jacques (1954): Die Symmetrie und ihre Anwendungen, Berlin [frz. 1950].

Ders. (1959): Louis Pasteur, Berlin [frz. 1953].

Pasteur, Louis (1848): Mémoire sur la relation qui peut exister entre la forme cristalline, in: Comptes rendus de l’Académie des sciences 26, 535–538.

Pasteur, Louis (1891): Über die Asymmetrie bei natürlich vorkommenden organischen Verbindungen, Leipzig [frz. 1861].

Peter Geble

Lexikon Raumphilosophie

Подняться наверх