Читать книгу Lexikon Raumphilosophie - Группа авторов - Страница 117
Durchlaufbarkeit
ОглавлениеHinsichtlich der D. ist zwischen Uni- und Multikursalität, d.h. zwischen linearen (↗ Linie) und verzweigten, verschiedenen möglichen ↗ Wegen zu differenzieren. In der ↗ Topologie wird speziell nach der D. von ↗ Netzen und ↗ Graphen entlang von deren Kanten und ↗ Knoten gefragt. Unikursalität zählt zu den bei topologischen Abbildungen invarianten Eigenschaften geometrischer Konfigurationen (↗ Geometrie). Eine bekannte ↗ topologische Figur, das unikursale Netz, entwickelt Leonhard Euler (1707–1783) im Jahr 1736 anhand der Königsberger ↗ Brücken, die das Problem eines Weges durch alle Ecken, der jede Kante genau einmal durchlaufen soll, theoretisch formulieren helfen (Euler 2009). Kernfragen der Graphentheorie, wie die nach D. oder kreuzungsfreien Wegen, kehren in der Verkehrsregelung sowie in Experimentalanordnungen der Verhaltensforschung und Psychologie wieder. Denn sie betreffen effiziente Wegeführung bzw. Raumerschließung (↗ Hodologie) und operieren mit der Einschränkung von Wahlmöglichkeiten. Strukturell verwandt erscheinen bauliche Einwegsysteme wie Autobahnen (↗ Straße) oder die schon im antiken Rom bekannten, dann besonders in Amerika propagierten Einbahnstraßen (Lay 1994), aber auch die mit innerstädtischen Parks im 19. Jh. entstehenden, Kreuzung vermeidenden Unterführungen sowie die in den 1880er Jahren patentierten Drehtüren, die Ein- und Austretende separieren (Buzard 2009). Vor allem aber kristallisiert sich im ↗ Labyrinth, das neben dem heute vorrangig gemeinten multikursalen Irrgarten einen unikursalen, verzweigungsfreien Typus kennt, die Relevanz von D. Sie besteht über jede architektonische Konkretisierung hinaus in den mit dieser Raumfigur verbundenen Möglichkeiten des Entscheidens, ↗ Handelns und Erzählens (↗ Erzählung): Wie in der Labyrinthforschung sind Uni- und Multikursalität, die einander nicht einfach ausschließen, sondern als Zeichen für komplexe Gestaltung und Verwirrung (↗ Irrfahrt) auch ineinandergreifen, für eine neue Narratologie fruchtbar: Topologisch wird Text jenseits der Dichotomie linear/nonlinear beschreibbar und der Leser zum Spieler (↗ Zauberkreis) erweitert; anstelle von mehrdeutigen Interpretationsspielräumen sind nach entscheidenden Wegeverzweigungen tatsächlich unzugängliche Varianten konstitutiv (Aarseth 2008). Zu durchlaufende bzw. zu erarbeitende Wege (↗ ergodischer Raum) zeigen sich in Shooterspielen mit ihren oft ↗ Korridoren vergleichbaren Wegesystemen (Günzel 2008). In der D. ist die spielbestimmende ↗ Intentionalität hier präformiert und anschaulich.
Literatur: Arnold 1964, 36–45; Reed Doob 1990, 39–63.
Aarseth, Espen J. (2008): Cybertext, in: Reader Neue Medien, hg. v. K. Bruns u. R. Reichert, Bielefeld, 203–211 [engl. 1997].
Arnold, Bradford H. (1964): Elementare Topologie, Göttingen [amerik. 1962].
Buzard, James (2009): Drehtür, in: Arch+ 41/191–192, 39–44.
Euler, Leonhard (2009): Lösung eines Problems, das zum Bereich der Geometrie der Lage gehört, in: Die Geburt der Graphentheorie, hg. v. W. Velminski, Berlin, 11–28 [lat. 1741].
Günzel, Stephan (2008): Raum, Karte und Weg im Computerspiel, in: Perspektiven des Computerspiels, hg. v. J. Distelmeyer, Ch. Hanke u. D. Mersch, Bielefeld, 113–132.
Lay, Maxwell G. (1994): Die Geschichte der Straße, Frankfurt a. M./New York.
Reed Doob, Penelope (1990): The Idea of the Labyrinth, Ithaca/London.
Annette Urban