Читать книгу Lexikon Raumphilosophie - Группа авторов - Страница 111

Distanz

Оглавление

In der ↗ Metrik wird durch Angabe der D. der Abstand zwischen zwei Punkten als die Länge der kürzesten Verbindungslinie (↗ Linie) im Sinne der ↗ Euklidik beschrieben. In vielen kulturtheoretischen und soziologischen ↗ Diskursen wird D. dagegen als zentraler Terminus dafür verwendet, Entstehung und Funktionsweise von Zivilisation, ↗ Kultur und Gesellschaft zu erklären. Friedrich Nietzsche (1844–1900) bezeichnet in seiner Schrift Zur Genealogie der Moral von 1887 das „Pathos der D.“ als „dauerndes und dominirendes Gesammt- und Grundgefühl einer höheren herrschenden Art im Verhältnis zu einer niederen Art, zu einem ‚Unten‘“ sowie als den „Ursprung des Gegensatzes ‚gut‘ und ‚schlecht‘“ (1,1). Für Nietzsche ist D.setzung zum einen Basis (↗ Boden) jeder kulturellen Entwicklung, zum anderen Privileg der Eliten, durch welches diese sich gegen die egalitären, nivellierenden Tendenzen der Massengesellschaft (↗ Masse) behaupten können. Bei Georg Simmel (1858–1918) wird D. zu einem zentralen Begriff der soziologischen Theorie: D. wird dabei als Gegenpart zur Nähe (↗ Ferne) gebraucht, die zusammen das dualistische Regulativ für sämtliche zwischenmenschliche Beziehungen bilden. D. wird von Simmel einerseits als räumliche Bedingung für soziales Verhalten, andererseits (im Sinne von ‚Distanziertheit‘) als notwendige Reaktion der Großstadtbewohner (↗ Stadt) auf die komplexen städtischen Verhältnisse konzipiert. Allerdings wendet sich Simmel dabei entschieden gegen jegliche Form raumdeterministischer (↗ Determinismus) Kausalitätsinterpretation (↗ Kausalität). In der Chicago School rückt mit Robert E.Park (1864–1944) und Emory S.Bogardus (1882–1973) der von Simmel (1992, 13) eher beiläufig eingeführte Ausdruck „soziale D.“ in den Mittelpunkt des Interesses: Die soziale D. wird als der gesellschaftliche Abstand zwischen zwei Individuen bestimmt und als Gradmesser für sozialen Status und soziale Ungleichheit konzipiert (Burgess 1926). Darauf aufbauend wird mit dem ‚Bogardus Social Distance Scale‘ ein Instrument entwickelt, mit dem solche Unterschiede empirisch messbar gemacht werden sollen (Bogardus 1933). Als eine theoriegeleitete Weiterentwicklung kann dagegen das Konzept der ‚feinen Unterschiede‘ (↗ Differenz) nach Pierre Bourdieu (1982) betrachtet werden, in welchem mit dem Begriff ‚Distinktionsgewinn‘ auf die klassenspezifischen D.verhältnisse und D.setzungen gezielt wird. Eine wichtige Rolle spielt D. auch in der ↗ Proxemik, in der versucht wird, ein theoretisches Modell von nonverbalen Verhaltensweisen zu erstellen. Aufbauend auf der Beobachtung kulturell unterschiedlichen D.verhaltens, unterscheidet Edward T.Hall (1914–2009) intime, personale, soziale und öffentliche ↗ Zone (Hall 1976). Ähnlich wie ↗ Dichte ist D. damit ein Begriff mit physikalischem bzw. metrischem Ursprung, der in sozialwissenschaftlichen Theorien (↗ Sozialraum) als zentrale Instanz für die Aushandlung des jeweilig zugrunde liegenden Verständnisses von ↗ Raum gesehen werden kann. Auch bei der D. ist das konstruierte Verhältnis zwischen der ‚räumlichen‘ und der ‚sozialen‘ Ausprägung (konstruiert als Bedingung, Entsprechung oder Kausalität) oftmals der entscheidende Punkt für die dem Begriff zugewiesene Bedeutung und Bewertung.

Literatur: Asendorf 2005; Friedrichs 1977.

Asendorf, Christoph (2005): Entgrenzung und Allgegenwart, München.

Bogardus, Emory S. (1933): A Social Distance Scale, in: Sociology and Social Research 17, 265–271.

Burgess, Ernest W. [Hg.] (1926): The Urban Community, Chicago.

Bourdieu, Pierre (1982): Die feinen Unterschiede, Frankfurt a.M. [frz. 1979].

Friedrichs, Jürgen (1977): Stadtanalyse, Reinbek b. Hamburg.

Hall, Edward T. (1976): Die Sprache des Raums, Düsseldorf [amerik. 1966].

Simmel, Georg (1992): Soziologie, Frankfurt a. M. [1908].

Nikolai Roskamm

Lexikon Raumphilosophie

Подняться наверх