Читать книгу Lexikon Raumphilosophie - Группа авторов - Страница 130
Entäußerung
ОглавлениеMit E. (gr. kenosis) wird seit Paulus von Tarsus im 1. Jh. der Bezug einer souveränen Entität (↗ Allsichtigkeit) zu einem ihr angehörigen, aber dennoch veräußerbaren (↗ Außen) Gegenstand benannt. Dabei büßt sie – in einem ↗ Prozess der ‚Entleerung‘ (↗ Leere) – zwar scheinbar Attribute ihrer Souveränität (↗ Überschreitung) ein, gelangt aber letztlich zu einem gesteigerten Selbst. Als Subjekt werden in die dialektische (↗ Dialektik) ↗ Struktur dieses Bezuges je nach Lehre die Hypostase des Vaters, jene des Sohnes, der Weltgeist (↗ Reich) sowie der Mensch als Bewusstsein, Individuum oder Rechtsperson eingesetzt. Paulus beschreibt in seinen Briefen an die Philipper (2,5–11) die Menschwerdung (↗ Fleischwerdung) Jesu als E.: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich (gr. heauton ekenosen) und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“. Verschiedene Strömungen der christlichen Dogmatik gewichten entweder die Menschwerdung Gottes oder die E. der göttlichen Attribute durch den Sohn stärker. Die auf den Gläubigen gespiegelten ↗ Praktiken der E. bedingen eine gesteigerte Empfänglichkeit für das Göttliche, so geschildert nicht nur in der Mystik Meister Eckharts (ca. 1260–1328) in seinem Text Von Abegescheidenheit, sondern auch in den Texten des spätmittelalterlichen Ordens der Hesychasten sowie in der indischen Philosophie und Körperpraxis (↗ Leib), wo der Begriff shunyata verwendet wird. Georg W.F.Hegel (1770–1831) überträgt den Begriff auf den dialektischen Bezug eines Bewusstseins auf ein Selbst und die ↗ Aufhebung der E. im Selbstbewusstsein; in diesem Dreischritt (↗ drei Welten) markiert die E. jedoch nur das zweite Moment als „Bewegung des Selbsts, das sich seiner selbst entäußert und sich in seine Substanz versenkt“ (Hegel 1970, 578). In jüngster Zeit nutzt Gianni Vattimo (1997) den Begriff der kenosis, um noch in der Schwächung des Subjektes wie in der Säkularisierung der Metaphysik eine konsequente Verlängerung der göttlichen E. zu erblicken.
Literatur: Althaus 1959; Schmitz 1965, 178–194; Zijlstra 2002.
Althaus, Paul (31959): Kenosis, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 3, Tübingen, 1243–1246.
Eliade, Mircea (2004): Yoga, Frankfurt a. M. [frz. 1954].
Hegel, Georg W. F. (1970): Phänomeologie des Geistes, Frankfurt a. M. [1807].
Schmitz, Hermann (1965): Der Leib, Bonn.
Vattimo, Gianni (1997): Glauben – Philosophieren, Stuttgart [ital. 1996].
Zijlstra, Onno [Hg.] (2002): Rethinking Kenosis, Bern.
Christian Reidenbach