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drei Welten
ОглавлениеDie Lehre der d. W. ist auf Gottlob Frege (1848–1925) zurückzuführen, der, neben einer äußeren materiellen (↗ Materie) ↗ Welt und einer Welt der Vorstellungen, eine dritte Welt der Gedanken – als „dritte[m] ↗ Reich“ (Frege 1986, 43) – postuliert, vergleichbar mit der semiotischen Triade von Ikon (↗ Bild), ↗ Index und Symbol nach Charles S. Peirce (1839–1914). Diese These greift der österreichisch-britische Philosoph Karl R.Popper (1902–1994) auf und beschreibt drei in sich eigenständige, sich jedoch gegenseitig beeinflussende Welten. Popper (1980) argumentiert somit gegen eine seiner Ansicht nach unvollständige, monistische (materielle) oder auch duale Weltsicht (↗ Anschauung), die den geistigen oder kulturellen Gehalt (↗ Kultur) lediglich dem Erlebnis, dem menschlichen Empfinden (↗ Emotion), zuschreibt und diesen folglich für fiktiv bzw. nicht existent hält. Die Existenz der d.W. sei auf kausale Wechselwirkungen (↗ Kausalität) zurückzuführen, wobei die zweite Welt als Mittler (↗ Aufhebung) zwischen der dritten und ersten Welt auftrete. Nach Popper ist die erste Welt die physische (↗ Physik), die zweite Welt die der individuellen, mentalen ↗ Wahrnehmung, während die dritte Welt den Gehalt des menschlichen Denkens (↗ Logos) beschreibt. Die physische Welt umfasst Inhalte, welche sowohl lebendig als auch leblos (Steine, Bäume, Tiere), sowohl physisch greifbar als auch mit dem menschlichen Auge (↗ Blick) nicht sichtbar (Atome) sind (↗ Strahlung). Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Entscheidungen und subjektive Erlebnisse bilden die zweite Welt. Sie beinhaltet bewusste und unbewusste Erfahrungen. Die dritte Welt ist konstruiert durch Produkte menschlichen Denkens: Formeln, ↗ Theorien, ↗ Kunst, ↗ Sprachen. Häufig sind diese Produkte in physischen Objekten der ersten Welt realisiert, wie z.B. eine Symphonie oder eine mathematische Formel auf Papier niedergeschrieben ist, Lyrik in einem Gedichteband festgehalten ist, oder eine Vorstellung in einer Skulptur (↗ Tektonik) zum ↗ Ausdruck kommt. Christian Schmid (2005, 234) weist Parallelen zwischen Poppers Annahme von d. W. und Henri Lefebvres (1901–1991) Raumtheorie auf, wonach drei ↗ Räume existieren, die jedoch im Gegensatz zu Poppers These keine ontologische Trennung zulassen. Lefebvre beschreibt Raum als ein soziales Produkt (↗ Handeln) und unterscheidet zwischen physischem, mentalem (↗ Repräsentationsraum) und sozialem Raum (↗ Sozialraum), die als eine dialektische (↗ Dialektik) ↗ Einheit existieren.
Literatur: Popper 1984.
Frege, Gottlob (31986): Der Gedanke, in: ders.: Logische Untersuchungen, Göttingen, 30–53 [1918].
Popper, Karl R. (1980): Three Worlds, in: The Tanner Lectures on Human Values, hg. v. S. M. MacMurrin, Salt Lake City, 141–167.
Ders.: (41984): Objektive Erkenntnis, Hamburg [engl. 1972].
Schmid, Christian (2005): Stadt; Raum und Gesellschaft, Stuttgart.
Marleen Schulte