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dunkle Kammer

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Das Prinzip der d. K. (lat. camera obscura) als optischem (↗ Optik) Gerät (↗ Gestell) basiert auf der Tatsache, dass Licht, das durch ein bestimmtes Loch in (↗ Innen) einen dunklen ↗ Raum fällt, auf der gegenüberliegenden Wand eine ↗ Projektion erzeugt, die als seitenverkehrtes (↗ Seiten) ↗ Bild beschrieben werden kann. Zwischen den beiden örtlichen (↗ Ort) Markierungen – dem Punkt der Öffnung und der ↗ Fläche für die Projektion – eröffnet sich nach Jonathan Crary (1996) ein ausgedehnter (↗ Ausdehnung) Raum, der es ermöglicht, sich an jeweils verschiedenen Stellen (↗ Fleck) dem optisch erzeugten Bild zuzuwenden. Entscheidend für die Beziehung des Beobachtenden zur beobachteten ↗ Welt ist, dass der Beobachter zwar – und dies ist bedingt durch den Apparat (↗ Apparatus) – nur einen eng begrenzten Ausschnitt (↗ Schnitt) der Außenwelt (↗ Außen) betrachten kann, zugleich aber auch mit den unbegrenzten Geschehnissen (↗ Ereignis) der Außenwelt konfrontiert bleibt, weil diese weiterhin und unbeeindruckt von der Apparatur ablaufen können. Diese ‚begrenzte Unbegrenztheit‘ kann sogar dazu führen, dass die Projektionen für einige Betrachter lebensechter wirken als die Objekte selbst. Als Instrument ist die d. K. sowohl für die Beobachtung empirischer Phänomene als auch als Zeichenhilfe – und hier insbesondere im 17. und 18. Jh. – zum Einsatz gekommen: Ein Betrachter wendet sich dabei dem im dunklen Raum (↗ Nacht) erscheinenden Bild zu und fasst es als objektives Abbild der äußeren Welt auf. Im Zuge dessen ist nach Crary ein Individuationsprozess zu beobachten, wonach ein autonomer Betrachter sich in einem quasi-domestischen (↗ Haus) Raum die Außenwelt erschließt. Historisch betrachtet wird die d. K. dabei sowohl als ‚Apparat der ↗ Wahrheit‘ (von Descartes, Newton und Locke) im Sinne der ↗ Möglichkeit der objektiven Beobachtung der Welt wie auch als ‚Apparat der Täuschung (↗ Illusion)‘ (von Bergson, Freud und Marx) im Sinne der Unmöglichkeit einer derartigen Beobachtung verhandelt. Als Modell (↗ Dispositiv) wird die d. K. zur Beschreibung der Funktionsweise der sinnlichen ↗ Wahrnehmung verwendet. Diese Verwendung basiert auf der Unterstellung, die d. K. als Analogon zum menschlichen (↗ Mensch) Auge (↗ Blick) gleichsam als Mittel (↗ Medium) zur räumlichen Veranschaulichung des Sehens auffassen zu können (durch da Vinci, Descartes, Kepler und Locke). Durch den Vergleich kommt es zu der Meinung, dass die äußere Welt nicht direkt wahrgenommen werden kann, sondern dass es Abbilder der äußeren Welt sind, die im Inneren eines dunklen Raums betrachtet werden können. Nicht die Außenwelt wird demnach wahrgenommen, sondern erst Projektionen im Inneren des optischen Gerätes bzw. im Inneren des Subjektes sind einer Quasibeobachtung zugänglich. Die Annahme eines solchen Raums, in dem Bilder der äußeren Welt wahrgenommen werden können, ist aber nur dann plausibel, wenn es eine Instanz gibt, die diese Abbilder wahrnehmen kann: Es muss demnach ein zusätzliches Subjekt unterstellt werden, dass die Abbilder der äußeren Welt wahrzunehmen in der Lage ist (so bei Descartes und Locke). Hierfür hat sich der Begriff des Homunculus (lat. für ‚künstliches Menschlein‘) eingebürgert. Problematisch ist nun – weswegen von einem ‚Homunculus-Problem‘ (Wiesing 2002) gesprochen wird –, wie diese Figur die Bilder wahrnehmen kann, ohne dass dabei ein neuer Homunculus unterstellt werden müsste bzw. warum, wenn bei dessen Wahrnehmung kein innerer Raum mehr unterstellt werden muss, nicht insgesamt auf die Idee eines solchen Raums mit inneren Abbildern verzichtet werden kann. In den Neurowissenschaften hat sich seit den 1950er Jahren ein metaphorischer Gebrauch des Begriffes bewahrt. In anatomischen Darstellungen des Hirns werden benachbarte Körperregionen auf benachbarten Regionen des Hirns abgebildet – die Abbildungen im Hirn entsprechen insofern der eines ‚kleinen Menschleins‘ –, wodurch die neuronale Beziehung zwischen bestimmten Hirnregionen einerseits und Skelettmuskeln oder sensorischen Feldern andererseits visualisiert ist. Man spricht hier vom sensorischen bzw. motorischen Homunculus.

Literatur: Alpers 1998; Crary 2002; Hammond 1981; Kittler 2002; Kofman 1998; Kunert 1978; Rohr 1925.

Alpers, Svetlana (1998): Die Kunst als Beschreibung, Köln [amerik. 1983].

Crary, Jonathan (1996): Techniken des Betrachters, Dresden/Basel [amerik. 990].

Ders. (2002): Die Modernisierung des Sehens, in: Paradigma Fotografie, hg. v. H.Wolf, Frankfurt a.M., 67–82 [amerik. 1988].

Hammond, John H. (1981): The Camera Obscura, Bristol.

Kittler, Friedrich (2002): Optische Medien, Berlin.

Kofman, Sarah (1998): Camera Obscura, London.

Kunert, Günter (1978): Camera obscura, München.

Rohr, Moritz von (1925): Zur Entwicklung der dunklen Kammer, Berlin.

Wiesing, Lambert (2002): Philosophie der Wahrnehmung, in: Philosophie der Wahrnehmung, hg. v. dems., Frankfurt a.M., 9–64.

Silke Müller

Lexikon Raumphilosophie

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