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3.3.1 Emotionen als Gegenstand fachspezifischer Forschung

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Forschungen zu der Frage »Was sind Emotionen?« gibt es aktuell vor allem in drei Disziplinen: Psychologie, Biologie und Philosophie.

In der Psychologie sind Emotionen seit einigen Jahrzehnten in besonders systematischer und intensiver Weise theoretisch und empirisch erforscht worden ( Kap. 2). Die fachdidaktischen Implikationen psychologischer Emotionsforschung in Bezug auf die Subjektseite fachlichen Lehrens und Lernens sind im vorangegangenen Kapitel reflektiert worden. Aber auch als Objekt fachlichen Lehrens und Lernens können psychologische Forschungserkenntnisse zu Emotionen schulisch relevant werden. Zu denken ist an das Unterrichtsfach Psychologie sowie an viele andere Fächer und Fachdidaktiken, in denen auf psychologische Emotionstheorien bzw. -forschungen rekurriert werden kann. Aus fachdidaktischer Perspektive ist es aber noch sinnvoller, auch andere fachliche Modellierungen und Forschungen zu Emotionen als Bestandteile einer genuin fachdidaktischen Theorie der Emotionen einzubeziehen.

Die Biologie bietet sich hier insofern an, als z. B. in der Neurobiologie in den letzten Jahrzehnten sehr wertvolle empirische Forschungsergebnisse zu Emotionen gewonnen wurden und die Bedeutung des limbischen Systems für die Auslösung und Verarbeitung von Emotionen z. B. mit Blick auf die Amygdala deutlich geworden ist (vgl. z. B. Roth, 2001; 2011).

Obschon bislang wenig berücksichtigt, erweist sich aber auch die Philosophie als sehr interessanter Bezugspunkt fachdidaktischer Emotionsforschung, weil sie einen ganz eigenen Beitrag zum Verständnis von Emotionen leistet – und dies seit Jahrtausenden. Tatsächlich ist die erste systematische Aufarbeitung von Emotionen nämlich weder im Bereich der Psychologie noch der Biologie erfolgt, sondern vor zwei Jahrtausenden in der Philosophie. Aus diesem Grund soll ihr Beitrag nachfolgend exemplarisch detaillierter betrachtet werden.

Als Besonderheit ist zunächst zu vermerken, dass die Philosophie (von griech. philos (= Liebe) und sophia (= Weisheit)) mit der »Liebe« zur Weisheit sogar eine Emotion und ihren fachspezifischen Zielpunkt im Namen trägt – und dies als Wissenschaft, die wie kaum eine andere Vernunft und Rationalität als ihren disziplinären Kern versteht. Dabei werden personal-(selbst-)reflexive und funktional-erkenntnisorientierte Aspekte gleichermaßen adressiert. Es geht um Selbsterkenntnis des die Weisheit Liebenden ebenso wie um Erkenntnis auf Gebieten wie Anthropologie, Ethik, Natur-, Religions- oder Erkenntnistheorie. Allerdings war in der Philosophie bis zum 19. Jahrhundert nicht der Emotionsbegriff leitend. In der griechischen Antike waren vielmehr hedoné und ponos (= Lust und Unlust) und das Wort páthos (= Leiden, Leidenschaft) verbreitet; dieses wurde später mit dem lateinischen Begriff affectus (Affekt, Leidenschaft) übersetzt. An den Positionen von Aristoteles und Spinoza lassen sich Besonderheiten des damit verbundenen klassischen philosophischen Verständnisses verdeutlichen.

Nach Aristoteles ist der Mensch durch Leidenschaften in seiner Freiheit bedroht und zwischen den beiden Polen ›Lust‹ und ›Unlust‹ (hedoné und ponos) hin- und hergerissen – eine Polarität, die auch in modernen psychologischen Ansätzen fortwirkt. Sittliches Leben hat nach Aristoteles die Überwindung dieses Zwiespalts zur Voraussetzung. Nur in der »Erhabenheit über die Begierden und die zügellose Genußsucht« (Aristoteles, 335–323 v. Chr., S. 152) kann das oberste Ziel menschlichen Lebens erreicht werden, »das glückselige Leben […] [als] Zustand der Freude« (ebd., S. 164). Voraussetzung von Glückseligkeit ist eine Ausbalancierung der Affekte durch die Orientierung an Tugenden. Glückseligkeit definiert Aristoteles entsprechend als »eine der vollendeten Tugend gemäße Tätigkeit der Seele« (ebd., S. 22). Tugend basiert auf der Überwindung der Herrschaft der Affekte durch eine ausbalancierte Mitte zwischen affektiven Extremen:

»Die Tugend ist ein Habitus des Wählens, der die […] Mitte hält und durch die Vernunft bestimmt wird […] [und] in den Affekten und Handlungen das Mittlere findet und wählt. Deshalb ist die Tugend nach ihrer Substanz und ihrem Wesensbegriff Mitte.« (ebd., S. 36)

Diese ethische Verortung der Affekte und die damit verbundenen Empfehlungen für eine affektive Balance als Grundlage eines glücklichen Lebens enthält für eine Theorie fachlich-emotionaler Bildung gerade in personal-selbstreflexiver Hinsicht wichtige Anknüpfungspunkte.

Gleiches gilt für die Ethik Baruch de Spinozas, in der die Aristotelische Sicht ausdifferenziert worden ist. Wertete Thomas Hobbes (1642–58, S. 32) Affekte noch als »Störungen des Geistes«, hat Spinoza (1677) einen dem Rationalismus verpflichteten, aber gleichwohl die Affekte als »Leidenschaften« ernst nehmenden Versuch unternommen, zu einem differenzierteren Verständnis zu gelangen. Dabei unterschied er in der Aristotelischen Tradition drei Grundtypen: Begierde, Lust oder Unlust. Diese haben unmittelbare ethische Implikationen: »Die Erkenntnis des Guten und Schlechten« entspricht dem Wissen über die Affekte ›Lust‹ oder ›Unlust‹ (ebd., S. 266). Diesen ordnete er 50 weitere Affekte, affektive Reaktionen bzw. affektive Haltungen zu und erläuterte ihre jeweiligen Besonderheiten: u. a. Bewunderung, Verachtung, Liebe, Hass, Zuneigung, Abneigung, Ergebenheit, Verhöhnung (Spott), Hoffnung, Furcht, Zuversicht, Verzweiflung, Freude, Gewissensbiss, Mitleid, Gunst, Entrüstung, Überschätzung, Unterschätzung, Missgunst, Mitgefühl (Barmherzigkeit), Selbstzufriedenheit, Niedergeschlagenheit, Reue, Hochmut (Stolz), Kleinmut, Ehre (Ehrfreude), Scham, Sehnsucht, Wetteifer, Dankbarkeit, Wohlwollen, Zorn, Rachsucht, Wut, Scheu, Kühnheit, Ängstlichkeit, Bestürzung, Leutseligkeit, Ehrgeiz, Schwelgerei, Trunksucht, Habsucht (Geiz), Lüsternheit (ebd., S. 155 ff.).

Mit der Affektlehre Spinozas ist ein Differenzierungsgrad innerhalb der abendländischen Philosophie zu Affekten bzw. Emotionen erreicht worden, der seinesgleichen sucht und vorwegnimmt, was moderne psychologische Forschungen anstreben – eine Systematik von Affekten bzw. Emotionen. Noch bedeutsamer ist aus fachdidaktischer Sicht aber die ethische Rahmung. Nicht die Expression der Affekte ist nach Spinoza nämlich oberstes Ziel, sondern der richtige Umgang mit ihnen. Wie bei Aristoteles führen negative Affekte nach Spinoza zur Unfreiheit (ebd., S. 254 ff.), sie können den Menschen versklaven, nur die Vernunft führt den Menschen zu Freiheit (ebd., S. 352 ff.). Zusammen mit der Liebe, in der alle Affekte als höchste ›Lust‹ ihren Ziel- und Bezugspunkt finden (ebd., S. 234), ist ein ausbalancierter Umgang mit den Affekten möglich. In Spinozas Systematik finden sich mithin Ansätze zu einer Ethik der Emotionen (vgl. Renz, 2008, S. 311 f.), in der eine fachdidaktische Theorie emotionalen Gleichgewichts als ein Kernelement fachlicher Bildung mit personalem wie funktionalem Fokus wichtige Anregungen und Orientierungspunkte finden kann.

Gleiches gilt für neuzeitliche Positionen wie Blaise Pascals Idee einer Vernunft des Herzens (1669), Schellings Bestimmung der Liebe als höchster Kraft (1809), Arthur Schopenhauers Ethik des Mitleids (1839), Erich Fromms (1956) Kunst des Liebens oder Max Schelers (1955) Verbindung von Liebe und Erkenntnis. Während diese Ansätze allerdings eher Ausnahmen im rational geprägten Gesamtspektrum der Philosophiegeschichte der Neuzeit darstellen, finden sich in der Ende des 20. Jahrhunderts einsetzenden intensivierten philosophischen Auseinandersetzung mit Affekten, Gefühlen bzw. Emotionen weitere interessante und aktuelle Anknüpfungspunkte für eine fachdidaktische Emotionstheorie. Wenn Peter Bieri (1994) Emotionen als Bewusstseinsphänomene ausweist, Jon Elster den Zusammenhang von ›rationality and the emotions‹ (1996) untersucht, Peter Goldie Emotionen philosophisch analysiert (2002), Martha Nussbaum »the intelligence of emotions« (2003) reflektiert, Rainer Schilling (2004) Liebe als Erkenntnisweise ausweist, Christoph Demmerling und Hilge Landweer (2007) sowie Sabine Döring (2009) Besonderheiten einer Philosophie der Gefühle konturieren, Ernst Tugendhat (2006) Grundlagen einer Ethik des Wohlwollens und der Herzensgüte erarbeitet oder Julian Nida-Rümelin (2012) die Bedeutung von Emotionen im Rahmen einer Philosophie der Bildung betont, zeigen sich darin jeweils beachtenswerte Ansätze, die Ausblendung der Emotionen in der Philosophie der Neuzeit zu überwinden und emotionale Grundlagen allgemeiner wie fachbezogener Bildungsprozesse philosophisch neu zu reflektieren. Eine philosophisch fundierte Ethik der Emotionen und des emotionalen Gleichgewichts kann ein zentraler Baustein für eine Theorie fachlicher Bildung und fachdidaktischer Bildungsforschung sein.

Emotionen im Unterricht

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