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4. Sprachenrechte in der EUEU und Sprachenrechte von MinderheitenSprachenrechte von Minderheiten

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Den Gründervätern Europas war klar, dass ein Vereintes Europa keine Neuauflage der Vereinigten Staaten von Amerika sein könne. Europa war historisch, ethnisch und kulturell etwas Anderes (↗ Art. 9). Es gab keine (scheinbar) leeren Siedlungsräume, dafür aber eine gemeinsame, 2000 Jahre alte europäische Kultur. Nation building, wie in den USAUSA, war keine Option. Gleichzeitig machten die Regionalkonflikte in Europa deutlich, dass ein monolinguales Europa ein bürgerkriegsanfälliges Europa sein würde. Alle diese Konflikte (etwa: Südtirol, Irland, Kosovo, Bosnien) hatten sprachenpolitische Komponenten. Für das Europa der VaterländerEuropa der Vaterländer de Gaulles war klar, dass die Nationalsprachen – und nur sie – auf dem Papier gleichberechtigt sein sollten, ohne offizielle Leitsprache. (Inoffizielle EU-Leitsprache war damals das Französische.) In den 1960er Jahren argumentierte man im Europa der Sechs, dass die VielsprachigkeitVielsprachigkeit des Kontinents als Reichtum gesehen werden sollte und nicht als Hindernis auf dem Weg zur Einheit. Es sollten plurilinguale Unionsbürger für ein multilinguales Europa herangebildet werden (↗ Art. 12). Nach 1969 propagierte der Europarat die Idee der rezeptiven Mehrsprachigkeit und, damit verbunden, einer sprachenteiligen Gesellschaft. Die Gedanken wurden in Deutschland positiv aufgenommen und an den Universitäten Augsburg (etwa: Finkenstaedt & Schröder 1992), Frankfurt (Main) (Arbeiten von D. Stegmann) und Gießen (etwa: Meißner 1998 und 2004) weiterentwickelt. Die Konsequenzen der europäischen Fremdsprachenpolitik für die deutsche Schule wurden 1980 in den ‚Homburger Empfehlungen für eine sprachenteilige Gesellschaftsprachenteilige GesellschaftHomburger Empfehlungen von H. Christ, K. Schröder, H. Weinrich und F.-J. Zapp programmatisch dargestellt. Demgegenüber waren die mehr als zehn Jahre später von der Europäischen Kommission im Rahmen des Weißbuchs ‚Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft (1996) an den Unionsbürger und die Schulsysteme gerichteten Forderungen in ihrer monolithischen Festlegung auf „drei Gemeinschaftssprachen“ von Anfang an umstritten; sie sind aus heutiger Sicht schon angesichts der Herausforderungen von GlobalisierungGlobalisierung und Migration veraltet (vgl. Schröder 2016: 78).

Immerhin hat der auf gestufte Mehrsprachigkeit gerichtete Ansatz verhindert, dass sich in der Frühzeit der europäischen Einigung ein monolinguales Europa mit (im Regelfall schlechtem) Englisch als Leitsprache bildete, auch wenn Englisch fast überall 1. Fremdsprache wurde oder blieb. Von Anglisten ist die Rolle des Englischen unter dem Stichwort English as a Gateway to LanguagesEnglish as a Gateway to Languages (↗ Art. 97) inzwischen neu definiert und als ein Einstieg in die Mehrsprachigkeitserziehung ausgewiesen worden (Schröder 1999; Schröder 2009)Englisch. Der porte aux langues-Ansatz wird auch in anderen europäischen Ländern gesehen (vgl. Candelier 2004). Er geht auf die 1629 erschienene ‚Janua LinguarumJanua Linguarum des J. A. Comenius zurück.

Die Regelungen zum europäischen SprachenrechtSprachenrechteuropäisches sind erstaunlich übersichtlich: Derzeit sind 24 Sprachen als gleichberechtigte Amts- und ArbeitssprachenAmts- und Arbeitssprachen anerkannt (↗ Art. 117). Unionsbürger haben das Recht, sich in einer dieser Sprachen an die Organe der EUEU zu wenden und eine Antwort in eben dieser Sprache zu erhalten. Schriftstücke, die ein EU-Organ an einen Mitgliedstaat oder eine der Hoheitsgewalt eines solchen Staates unterstehende Person richtet, sind in der Sprache dieses Staates abzufassen (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1958). Luxemburgisch und zypriotisches Türkisch haben, obwohl Amtssprachen, derzeit keinen offiziellen Status in der EU. Die derzeitigen „festen“ Beitrittskandidaten der EU erweitern die Sprachenpalette um weitere vier Sprachen: Albanisch, SerbischSerbisch, Montenegrinisch, Mazedonisch. (Zur Sprachenfrage in ihrer Problematik insgesamt vgl. Sander 2005; Nißl 2011.)

Der Übergang vom Konzept des nationalsprachlichen Europa der Vaterländer zu einem feingliedrigeren Europa der RegionenEuropa der Regionen ist nachvollziehbar: Europa ist seit 1500 Jahren in sprachlicher und kultureller Hinsicht regional gegliedert. Nationalstaatliche Grenzziehungen sind späteren Datums, sie waren nicht selten das Ergebnis von Kriegen, und sie durchschnitten immer wieder gewachsene Regionen. Ein einiges, einträchtiges Europa kann nur auf der Basis befriedeter Regionen verwirklicht werden.

Mit dem Übergang auf ein regionalisiertes Europa wird dessen komplexe regionalsprachliche Gliederung bedeutsam, wobei RegionalsprachenRegionalsprachen durch geschlossene SiedlungsräumeSiedlungsräume definiert sind, die in einem oder mehreren NationalstaatenNationalstaaten (auch grenzüberschreitend) existieren. Regionalsprachen sind gegenüber den Nationalsprachen in der Position von MinderheitensprachenMinderheitensprachen, was ihre Existenz oft negativ beeinflusst hat. Die gleiche Sprache kann in unterschiedlichen Staaten unterschiedlich behandelt werden. Relativ häufig sind RegionalsprachenRegionalsprachen in einem Staat MinderheitensprachenMinderheitensprachen, während sie in einem anderen die Mehrheitssprache stellen (etwa: Dänisch in Deutschland, SchwedischSchwedisch in FinnlandFinnland, Russisch in den baltischen Staaten). Die russischen Minderheiten im Baltikum werden von den betroffenen Staaten nicht anerkannt, da sie auf der Basis einer auf Kulturunterwanderung gerichteten Siedlungspolitik zustande gekommen sind. Ihr Siedlungsraum wird als erzwungen erachtet; die baltischen Staaten haben die Charta des Europarats nicht ratifiziert. Nun spielt aber die Entstehung einer MinderheitMinderheiten im europäischen Rechtskontext keine Rolle.

Geschützt werden die europäischen MinoritätensprachenMinoritätensprachenMinderheitensprachenMinoritätensprachenMinderheitensprachen, wie schon angedeutet, durch die am 5.11.1992 vom Europarat gezeichnete Europäische Charta der Regional- und MinderheitensprachenEuropäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen (Lebsanft & Wingender 2012). Sie wurde von Deutschland 1998 ratifiziert (↗ Art. 120). Ihr Ziel ist die Anerkennung der regionalen Sprachen und Kulturen als einzigartiger Bestandteil des europäischen Erbes. Die Charta zielt auf die grenzüberschreitende Wahrung und Stärkung von regionalen Minderheiten ab. Gefährdete SprachenSprachengefährdete sollen vor dem Aussterben geschützt und ihr Gebrauch im Bereich des Rechts, der Schulen, des öffentlichen Lebens und der Medien intensiviert werden, auch durch Sprachunterricht, Sprachstudium und die Weckung von Lernmotivation bei den Vertretern der MehrheitsspracheMehrheitssprache(n). Damit ist die Charta ein völkerrechtliches Instrument. Der Maßnahmenkatalog ist so gehalten, dass die Staaten nach ihren Möglichkeiten und Bedürfnissen Verpflichtungen eingehen können. Eine Möglichkeit, Sprachrechte auf europäischer Ebene einzuklagen, besteht nicht. Allerdings sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, in regelmäßigen Abständen über ihre Fortschritte in der Förderung ihrer jeweiligen Minoritätensprachen zu berichten (↗ Art. 11). Sanktionen werden nicht verhängt.

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