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4.2 Kalām und Philosophie

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Die Philosophen aristotelischer Richtung haben den Kalām angegriffen. Sie warfen ihm vor, sich um die Entdeckung der Wahrheit nicht ernsthaft zu kümmern, sondern diejenigen Argumente zu suchen, die schon vorgefasste Meinungen glaubhaft machen können. Etwa im Geiste der heutigen „Ideologiekritik“ versteht al-Fārābī den Kalām als Legitimation bestehender Zustände. Bissig behandelt er ihn unter den politischen Wissenschaften: Das Ziel seiner Vertreter sei es nicht, die Wahrheit zu suchen, sondern die Meinungen zu verteidigen, auf die sich die Gemeinden berufen, in denen sie leben.30 Al-Fārābis Polemik gegen den Kalām wurde von dem christlichen Philosophen Yaḥyā b. ʿAdī und vom Muslim as-Siǧistānī (gestorben um 987) fortgeführt.31 In Andalusien nehmen sie Ibn Bāǧǧa und Averroes wieder auf: Der Kalām beruhe lediglich auf der trägen Gewohnheit seiner Anhänger.32 Al-Fārābīs späterer Bewunderer Maimonides (gestorben 1204) hat seine Kritik am Kalām ins Judentum eingeführt. Er fasste die Lehren des zeitgenössischen ašʿaritischen Systems in Thesen zusammen, die er dann widerlegte.33 Die Vorwürfe der Philosophen gegen die Mutakallimūn betreffen insbesondere die Leugnung der Kausalität: Gott sei die einzige, unmittelbare Ursache allen Geschehens, ferner die Leugnung „natürlicher“ ethischer Werte zugunsten der Willkür des befehlenden und verbietenden Gottes.34

Daneben mag al-Fārābī davon geträumt haben, einen Kalām zu entwickeln, der als Magd der Philosophie die in dieser bewiesenen Wahrheiten dem Volk gemäß dessen Fähigkeiten mitteilen sollte. Auf der anderen Seite hat die ablehnende Haltung der Philosophen den späteren Kalām nicht daran gehindert, sich Elemente aus der Philosophie zu borgen. Kindīs und Avicennas Auffassung der ersten Ursache mag den Okkasionalismus des Kalāms oder Ġazālīs vorbereitet haben, indem sie den Zweitursachen fast keinen Platz in ihrer Ontologie zuweisen. Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gestorben 1209) hat Avicennas al-Išārāt wa-t-tanbīhāt (Hinweise und Erinnerungen) kommentiert und dessen Werk für seinen Kommentar des Korans benutzt. Auch ein profilierter Gegner der Philosophie wie al-Ġazāli, der Avicenna als seine Zielscheibe wählt, hat vom Philosophen viele Begriffe und Gedanken erhalten, vor allem in der Psychologie. Noch radikalere Eiferer haben ihm diesen Kontakt vorgeworfen: Er sei „an der „Genesung“ (Avicennas Kitāb aš-šifāʾ) erkrankt“.35

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