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5.4 Verharmloste Probleme
ОглавлениеDahingegen brauchten sich die Denker des Islam nicht mit paradoxen Dogmen auseinanderzusetzen wie diejenigen des Christentums: die Menschwerdung, die Dreifaltigkeit, die reale Gegenwart des auferstandenen Leibes Christi im Heiligen Messopfer und so weiter. Ihnen obliegt es ebenso wenig, gewisse dem ersten Anschein nach sinnlose Gebote zu begründen, wie es die Suche nach den taʿamey ham-miṣwōt im Judentum mit den biblischen ḥuqqim („Zeremonialgesetz“ im scholastisch-christlichen Wortschatz) tun muss.46 Die Rechtsverordnungen des Koran und des Hadith sind im Großen und Ganzen für die Vernunft annehmbar und waren es im Kontext der mittelalterlichen Sitten noch mehr als heutzutage.
Ferner braucht der Islam nicht zu erklären, wie zwei Schriftgruppen koexistieren können, wie im Christentum das Alte und das Neue Testament. Nach der christlichen Lehre seien zwar beide wahr, aber ihre Harmonie ist keine Selbstverständlichkeit. Dafür braucht man eine komplizierte, ab und zu an den Haaren herbeigezogene allegorische Auslegungsmethode. Der Islam kann sich dieser Aufgabe entledigen: Er behauptet nämlich, dass der Sinn, ja der Wortlaut der früheren heiligen Bücher von ihren jeweiligen jüdischen oder christlichen Besitzern verfälscht (taḥrīf) wurde. Folglich haben diese Texte jeden Anspruch auf Autorität verloren und stellen keine Gefahr dar.47