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5.3 Die Prophetie

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Die Idee einer durch Propheten mitgeteilten Erkenntnis des Göttlichen, möglicherweise einer Teilhabe an göttlichem Wissen, die etwa die Sicht der künftigen Ereignisse, mithin deren Vorhersage ermöglichen könnte, spielte im Judentum eine sehr wichtige Rolle. Im Christentum wurde die Lehre der Prophetie zwar beibehalten, geriet jedoch in eine gewisse Vergessenheit, als das Dogma der Menschwerdung, das einen engeren Kontakt Gottes mit der menschlichen Natur ermöglichte, ins Zentrum rückte. Dabei wurde die Prophetie zu einem Phänomen der Geschichte: Die Propheten des Alten Bundes seien nur Vorläufer und Verkünder Christi gewesen.

Mit dem Islam erlebte die Prophetie in der Wirklichkeit der Botschaft Muḥammads eine Rückkehr und wurde folglich auch Gegenstand der Reflexion. Der Islam befand sich in einer umso gefährlicheren Lage, da er aus rein geographischen Gründen, und zwar wegen seiner Nähe zu Indien und China, schon früh mit Völkern in Verbindung kam, bei denen die Prophetie unbekannt war. Die Chinesen besitzen kein ʿirn, schrieb mit Erstaunen 851 ein Reisender.42 Damit meint er nicht, dass sie keine Wissenschaft besitzen, sondern dass sie keine religiösen Richtlinien des Verhaltens von Gott in Form eines heiligen Buchs bekommen haben. So müssen die Mutakallimūn als ersten Schritt die Möglichkeit, dann die Wirklichkeit der Prophetie beweisen, was sie oft in Form einer Diskussion mit den sogenannten Barāhima (Brahmanen) tun, ab und zu auch mit den „Sabiern“ (Ṣābiʾa), wie etwa in einem vom Häresiographen aš-Šahrastānī (gestorben 1153) inszenierten Gespräch zwischen jenen und offenbarungsgläubigen Monotheisten (ḥiunafāʿ).43

Über die Prophetie hatte die griechische Philosophie so gut wie nichts zu sagen. Sie war aber mit ähnlichen Phänomenen vertraut, vor allem mit der Wahrsagerei und mit den Träumen. Aristoteles hatte ihnen eine kleine Abhandlung gewidmet.44 Diese bisher am Rande gebliebenen Abhandlungen bekamen eine neue Relevanz.

Die Philosophen des Islam interpretierten die prophetische Tätigkeit im Lichte der aristotelischen Psychologie. Der Philosoph hatte eine Lehre der Einbildungskraft entworfen. Er hatte auch eine Erkenntnislehre, nach der der Erkenntnisvorgang als Übergang des potentiellen zum aktuellen Wissen von einer Beeinflussung des passiven Intellekts vom tätigen Intellekt (später nous poiêtikos, al-ʿaql al-faʿʿāl, intellectus agens) herrührt. Der sich damit befassende kurze und dunkle Abschnitt, der sowieso schon zu den meistkommentierten im ganzen Corpus gehörte, wurde noch brisanter.45

Ferner war der Hauptgegenstand der Prophetie nicht die Offenbarung der Seinsgeheimnisse, geschweige denn der künftigen Ereignisse. Der Inhalt der prophetischen Botschaft war eher eine Ordnung der menschlichen Verhältnisse, daher so etwas wie ein Gesetz. Folglich nahm die Prophetie eine politische Dimension an. Der Prophet wurde als der Gründer des vortrefflichen Staats gedeutet. Der Traum der griechischen Philosophen, Platons Kallipolis, sei in die Tat umgesetzt worden. So eine Vorstellung befindet sich bei al-Fārābī, obwohl dieser den Namen des Propheten und dieses Staats nie verrät. Unklar bleibt, ob die vortreffliche Staatsleitung schon existiere, etwa in einer bestimmten Form der islamischen Politie, oder ob sie noch zu erwarten sei. Wenn dies der Fall wäre, bliebe die Aufgabe, die vortreffliche Polis zustande zu bringen, Aufgabe des Philosophen.

Islamische Philosophie im Mittelalter

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