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Die Lage der Juden im Protektorat Böhmen und Mähren

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Bis zum Beginn der Krise im Sudetenland unterschätzten die Juden in Böhmen und Mähren die Vorkommnisse im Deutschen Reich. Zwar berichteten Emigranten aus Deutschland, die nach 1933 in immer größeren Zahlen in die Tschechoslowakei kamen, über die systematische Entrechtung der deutschen Juden durch den NS-Staat, aber angesichts der bestehenden internationalen Garantien für die Tschechoslowakei glaubte kaum jemand an einen Einmarsch deutscher Truppen. Als sich im Herbst 1938 die Lage der Republik verschärfte und sich die bevorstehende deutsche Besetzung des Sudetenlandes abzuzeichnen begann, flohen zahlreiche Juden aus den gefährdeten Grenzgebieten zum Deutschen Reich in das Landesinnere. Diejenigen, die blieben, hatten hierfür die unterschiedlichsten Gründe. Rudolf M. Wlaschek nennt das Bekenntnis zum Deutschtum, den Austritt aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft, eine Ehe mit einem nichtjüdischen Partner, eine hohe verantwortliche Position in der Wirtschaft, das Bemühen um die Erhaltung von Arbeitsplätzen in der Wirtschaftskrise, die Sorge um den Verlust der Existenz oder des Vermögens sowie militärische Verdienste im Ersten Weltkrieg.4

Auf den „Anschluß“ des Sudetenlandes an das Deutsche Reich im Oktober 1938 folgte am 15. März 1939 die Besetzung der Rest-Tschechoslowakei und die Ausrufung des „Protektorats Böhmen und Mähren“. Besonders gefährdet waren nun die seit 1933 in die Tschechoslowakei geflohenen deutschen Juden und Gegner des NS-Regimes. Es kam zu panik artigen Situationen, als diese versuchten, in Prag noch rechtzeitig ein Ausreisevisum zu erhalten. Nur wenigen gelang die Flucht.

Auch für die in Böhmen und Mähren ansässigen Juden begann nun die systematische Entrechtung, die schließlich in Deportation und Massenmord endete. Jüdischer Besitz wurde enteignet, jüdische Vereinigungen, Verbände und Geschäfte geschlossen, jüdische Ärzte und Rechtsanwälte erhielten Berufsverbot, jüdische Schüler und Studenten wurden aus Schulen und Hochschulen ausgeschlossen. Später wurden auch jüdische Gottesdienste verboten und alle Synagogen geschlossen. Seit September 1942 mußten die Juden des Protektorats den „Judenstern“ tragen.

Unterstützt vom Prager Palästina-Amt, den in dem Dachverband HICEM zusammengeschlossenen amerikanischen und europäischen jüdischen Emigranten-Hilfsorganisationen, der Prager Kultusgemeinde und dem Refugee Committee bei der britischen Gesandtschaft in Prag, verließen zahlreiche Juden das Land. Bis zum Ende des Jahres 1939 konnten etwa 25.000 Personen emigrieren. Im Juli 1940 richtete Adolf Eichmann in Prag nach dem Wiener Muster eine „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ ein, um die Emigration der Juden aus dem Protektorat zu forcieren. Bei der Organisation der Auswanderung sollte die Prager Kultusgemeinde behilflich sein. Als vorbereitende Maßnahme wurde die Verwaltung der noch bis Ende 1941 bestehenden 14 jüdischen Kultusgemeinden des Protektorats durch die Prager Kultusgemeinde sowie die Umsiedlung aller böhmischen und mährischen Juden nach Prag verfügt. Auch wenn sich letzteres als undurchführbar erwies, stellte die Gründung der „Auswanderungs-Zentralstelle“ doch den ersten Schritt zur vollständigen Liquidierung der jüdischen Gemeinschaft in Böhmen und Mähren dar.

Die Abnahme der jüdischen Bevölkerung im Protektorat durch freiwillige und erzwungene Auswanderung sowie durch Deportationen läßt sich an folgender Tabelle ablesen:

Die jüdische Bevölkerung des Protektorat Böhmens und Mährens5


Insgesamt ist zu sagen, daß sich das Schicksal der Juden aus dem Protektorat kaum von dem der übrigen Juden aus Mitteleuropa unterschied; einzig der Anteil jener, die sich mit Hilfe von Nichtjuden verstecken konnten und überlebten, war höher als im Deutschen Reich.

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