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Das Ghetto Theresienstadt
ОглавлениеAuf dem Gebiet des Protektorats gab es zwischen 1939 und 1945 nur ein einziges selbständiges Konzentrationslager, das Anfang 1942 als „Sammel- und Durchgangslager“ für die Deportation der böhmischen und mährischen Juden geschaffene Ghetto Theresienstadt, das einige Monate später in ein „geschlossenes Siedlungsgebiet“ für arbeitsfähige Juden aus dem Protektorat und gleichzeitig in ein „Altersghetto“ für deutsche Juden umgewandelt wurde. Hierher kamen seit Mitte 1942 alle über 65 Jahre alten Juden, mit Orden ausgezeichnete oder kriegsbeschädigte Frontkämpfer sowie „Prominente“ aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“. Zu den in Theresienstadt Inhaftierten gehörte auch Leo Baeck, der führende rabbinische Repräsentant des deutschen Judentums, der zuletzt Vorsitzender der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ gewesen war. Weiter befanden sich unter den Gefangenen die bekannten tschechischen Schriftsteller Norbert Fryd und Karel Poláček, die Maler Bedřich Fritta, Otto Ungar und Lev Haas, der Architekt František Zelenka, der Bildhauer Rudolf Saudek, Komponisten, Dirigenten und Sänger wie Jan Krása, Karel Ančrl, Karel Berman sowie zahlreiche bedeutende Wissenschaftler, Politiker, Ärzte und Lehrer.
Trotz der im Ghetto herrschenden Enge – bis April 1945 waren hier in den Räumlichkeiten von zwölf Kasernen und einigen wenigen Häusern und Baracken jeweils bis zu 50.000 Menschen zusammengepfercht – und trotz der daraus resultierenden unerträglichen hygienischen Bedingungen, die das Auftreten von Epidemien begünstigten und denen insgesamt über 30.000 Menschen zum Opfer fielen, erschien den Häftlingen, die aus anderen Lagern hierher gebracht wurde, Theresienstadt oft wie ein unwirkliches Paradies. Das Ghetto befand sich weitgehender als andere Lager in jüdischer Selbstverwaltung, Kinder erhielten Unterricht von ausgebildeten Erziehern, und Hilfspakete aus dem Protektorat und dem neutralen Ausland verbesserten die Ernährungslage. Es gab sogar zahlreiche kulturelle und wissenschaftliche Aktivitäten, bei denen hochbegabte Künstler und Wissenschaftler, namhafte tschechische und deutsche Persönlichkeiten, Vorträge sowie Theater- und Musikveranstaltungen organisierten. Von dem Zynismus der Nationalsozialisten zeugen die Besuche von Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes, bei denen das Ghetto als ein „deutsches Auswahllager für die Umerziehung jüdischer Bürger“ präsentiert wurde.
Die trügerische Idylle, die den internationalen Hilfsorganisationen präsentiert wurde und von der sich auch die im Lager Inhaftierten nicht selten in Sicherheit wiegen ließen, muß vor dem Hintergrund der Tatsache gesehen werden, daß Theresienstadt fast während der gesamten Zeit seiner Existenz als Durchgangslager für Transporte nach Auschwitz diente. Von den etwa 75.000 böhmischen und mährischen Juden, die in das Ghetto eingeliefert wurden, wurden 60.500 nach kürzerem oder längerem Aufenthalt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Gleiches gilt für 24.000 der knapp 42.000 deutschen und 15.000 österreichischen Juden, die nach Theresienstadt gebracht wurden. Insgesamt wurden über 140.000 Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Nur 16.800 von den längere Zeit hier Inhaftierten erlebten die Befreiung des Lagers.