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a) Sanktionsinstrumentarium

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Die Befürworter eines Verbandsstrafrechts führen an, dass das vorhandene Sanktionsinstrumentarium unzureichend sei und ein Präventionsdefizit bestehe.[342] Im Ausland würden neben Verbandsgeldstrafen weitere, z.T. sehr scharfe Sanktionen und Maßnahmen drohen, die in Deutschland bislang nicht bzw. nicht im Rahmen der Verbandsgeldbuße angeordnet werden können:[343] Eintragung der Verurteilung in ein Strafregister; Ausschluss von öffentlichen Aufträgen oder Zuwendungen; zeitweise oder dauerhafte Betriebsbeschränkung und Betriebsschließung; Betriebsauflösung; Zwangsaufsicht bzw. Kuratel durch einen Treuhänder oder ein Gremium; Entlassung von Mitarbeitern; Änderung der Inhaberverhältnisse und Ausschluss von Gesellschaftern; Anteilsverwässerung; öffentliche Bekanntgabe der Verurteilung; staatliche Warnhinweise; Werbeverbote; Auflagen, Anordnungen und Weisungen. Daher könne das geltende Recht „nicht die Anreize setzen, die erforderlich wären, um auf die Unternehmenskultur in Deutschland flächendeckend Einfluss auszuüben“.[344]

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Die Gegner eines Verbandsstrafrechts halten dem entgegen, dass das Sanktionsinstrumentarium ausreichend und ein Präventionsdefizit nicht erkennbar sei.[345] Bereits heute könne mit der Verbandsgeldbuße eine Hauptsanktion verhängt und das Ziel erreicht werden, dass sich die Begehung von Straftaten unter Kosten-Nutzen-Aspekten ökonomisch nicht lohnt; außerdem seien weitere Sanktionen und Maßnahmen möglich. Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen bestünden keine echten Defizite. Die Freiheitsstrafe als schärfste Sanktion stünde – sofern nicht Tätigkeitsbeschränkungen als „Unternehmensfreiheitsstrafe“[346] begriffen werden – ohnehin nicht zur Verfügung.[347] Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sich das bestehende Instrumentarium nicht bewährt habe.[348] Ein signifikanter Anstieg der Unternehmenskriminalität sei nicht erkennbar.[349] Nach Beobachtungen der BRAK[350] haben viele Unternehmen infolge der Intensivierung der Strafverfolgung ihre internen Präventionsmechanismen, insb. Compliance-Strukturen, erheblich aufgewertet; die Behauptung, das geltende Recht könne keine Anreize setzen, sei „bisher unbelegt und bestenfalls gefühlt“.

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Die Bewertung dieses Disputs ist dadurch erschwert, dass umfassende rechtstatsächliche Erkenntnisse fehlen, da empirische Daten zur Unternehmenskriminalität mit Anspruch auf Vollständigkeit von den Bundesländern statistisch nicht erhoben werden. Aus den „Bundeslagebildern zur Wirtschaftskriminalität“ geht jedenfalls hervor, dass die Fallzahlen in den letzten Jahren kontinuierlich, wenn auch unter Schwankungen, zurückgegangen sind, und zwar von 63 194 Fällen im Jahr 2014 auf nur noch 50 550 Fälle im Jahr 2018, wobei der Anteil der Wirtschaftskriminalität an allen polizeilich registrierten Straftaten 0,9 % betrug.[351] Ebenso ist der registrierte Gesamtschaden deutlich zurückgegangen (2014: 4645 Mio. Euro; 2018: 3356 Mio. Euro).[352] Im Jahr 2010 waren demgegenüber noch 102 813 Fälle mit einem Gesamtschaden von 4655 Mio. Euro registriert worden. Selbst wenn das Bundeslagebild das tatsächliche Ausmaß der Wirtschaftskriminalität insb. in Anbetracht des traditionell hohen Dunkelfeldes nur sehr eingeschränkt erfassen kann, spricht viel dafür, dass die Wirtschaftskriminalität in den letzten Jahren insgesamt zurückgegangen ist. Ein Präventionsdefizit, jedenfalls ein „flächendeckendes“, ist daher aktuell nicht erkennbar (zu partiellen Anwendungs- und Vollzugsdefiziten Rn. 109). Weiter ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland bereits ein Unternehmensstrafrecht im weiteren Sinne existiert (Rn. 26). Auch darüber, ob präventive Maßnahmen effektiver sind, wenn sie von den Strafgerichten angeordnet werden, lässt sich streiten, da die Überwachung von Unternehmen eine typische Aufgabe der Verwaltung ist, die schneller, flexibler und effektiver auf Fehlentwicklungen reagieren kann.[353]

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Soweit Defizite bei den Sanktionen und Maßnahmen bestehen, spricht dies nicht zwingend für die Schaffung eines Verbandsstrafrechts, weil das bestehende System entsprechend ausgebaut[354] werden kann. So bevorzugt die bisherige Ausgestaltung der Verbandsgeldbuße Großunternehmen „strukturell“:[355] Zwar sind bereits Geldbußen im drei- und vierstelligen Millionenbereich verhängt worden, diese dienten aber nahezu ausschließlich der Gewinnabschöpfung, der Ahndungsanteil war verschwindend gering (Rn. 33); wenn im Wesentlichen nur die Wiederherstellung des status quo ante droht, ist die Begehung von Straftaten für finanzkräftige Großunternehmen ein geringes, gut kalkulierbares Risiko. Entgegengesteuert werden könnte bei der Verbandsgeldbuße zum einen (im Ahndungsteil) durch eine umsatz- oder ertragsbezogene (Rn. 44 f.) Sanktionierung, und zum anderen (im Abschöpfungsteil) durch das (abgemilderte) Bruttoprinzip (Rn. 38). Ob freilich höhere Geldsanktionen opportun sind, da sie im Ergebnis die Arbeitnehmer und Verbraucher treffen können, ist eine Grundsatzfrage.[356] Auch weitere Maßnahmen, wie der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge und von Subventionen, sind schon möglich, wie die landesrechtlichen Korruptions- und Vergaberegister und jetzt die Eintragungen in das bundesweite Wettbewerbsregister (Rn. 54) zeigen. Ebenso ist die Einführung einer Kuratel oder der Möglichkeit, Auflagen und Weisungen zu erteilen, denkbar.[357]

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Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sowohl interne als auch externe Präventionsmaßnahmen der Unternehmenskriminalität sehr effektiv entgegenwirken können. So deutet die kriminologische Forschung darauf hin, dass die Unternehmenskriminalität insb. von der ethischen Einstellung in einem Unternehmen, der Organisationskultur und der Normakzeptanz abhängig ist.[358] Der Rückgang der Wirtschaftskriminalität in den letzten Jahren (Rn. 96) dürfte vor allem auf den Ausbau interner Präventionsmechanismen zurückzuführen sein. Diesbezüglich könnten Compliance-Programme gezielt gefördert werden,[359] etwa durch entsprechende Reduktion von Verbandsgeldbußen. Weiter könnten Hinweisgeber stärker geschützt, Hotlines eingerichtet, die Kontrollen durch Wirtschaftsprüfer verstärkt, Selbstgesetzgebungsprozesse und Binnenverfassungen gefördert werden.[360] Und nicht zuletzt könnten die Anreize zur Begehung von Straftaten etwa durch die Abschaffung von Subventionen oder die Stärkung des Selbstschutzes der Verbraucher weiter reduziert werden.[361]

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