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2.3.5 Beendigung des Anstellungsvertrages

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Auf der Grundlage der Trennungstheorie ist auch bei der Beendigung zwischen der Abberufung des Vorstands, d.h. der Beendigung des Organverhältnisses und der Beendigung des Anstellungsvertrages zu unterscheiden. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass es Wechselwirkungen zwischen der Abberufung und der Kündigung des Anstellungsvertrages gibt. Häufig wird im Aufsichtsratsbeschluss, der über die Beendigung des Organverhältnisses entscheidet, nicht zwischen der Abberufung und der Beendigung des Anstellungsvertrages unterschieden. In der Praxis ist es dann erforderlich, durch Auslegung des Aufsichtsratsbeschlusses, der dem Vorstand bekannt gegeben wird, zu ermitteln, ob nur der Widerruf der Bestellung oder zugleich auch die Kündigung des Anstellungsvertrages beabsichtigt war.

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Teilweise wird vertreten, dass im Widerruf der Bestellung konkludent immer eine Kündigung des Anstellungsvertrages zu sehen ist, wie auch umgekehrt in der Kündigung des Anstellungsvertrages immer auch ein Widerruf der Bestellung zu sehen ist. Begründet wird dies damit, dass bei vernünftiger Auslegung in der Regel durch die Abberufung ein Vertrauensverlust zum Ausdruck kommt, der die Rechtsbeziehung zu dem Entlassenen in ihrer Gesamtheit belastet und daher beide Rechtsverhältnisse durch die Erklärung des Aufsichtsrats beendet werden sollen.[64]

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Obwohl nicht zu verkennen ist, dass der Widerruf der Bestellung und die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages gem. § 626 BGB in den allermeisten Fällen in einem engen Zusammenhang stehen, muss der wichtige Grund i.S.d. § 84 AktG, insbesondere wenn er lediglich auf Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung beruht, keinen wichtigen Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages darstellen. Da die wichtigen Beendigungsgründe bei der Bestellung und im Anstellungsvertrag somit nicht deckungsgleich sind, muss der Aufsichtsrat jeweils eine Entscheidung über beide Rechtsverhältnisse treffen. Er kann dabei durchaus zu der Entscheidung gelangen, dass die Gründe für eine Abberufung des Vorstands gem. § 84 Abs. 2 S. 1 AktG ausreichen, für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses gem. § 626 Abs. 1 BGB jedoch nicht gewichtig genug sind. Wenn der Aufsichtsrat auf dieser Grundlage somit nur die Abberufung beschließt, ist im Zweifel von einem Fortbestehen des Anstellungsvertrages auszugehen.[65]

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Im umgekehrten Fall, dass der Aufsichtsrat lediglich ausdrücklich über die außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses gem. § 626 BGB beschließt, liegt darin konkludent auch ein Beschluss über den Widerruf der Bestellung. Denn es ist davon auszugehen, dass bei Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes i.S.d. § 626 BGB immer auch ein wichtiger Grund des § 84 Abs. 1 AktG anzunehmen ist. Mit Beendigung des Anstellungsvertrages entfällt auch die Verpflichtung des Vorstands, als Organ für die AG tätig zu werden.[66]

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Für die Kündigung des Anstellungsvertrages ist gem. § 112 AktG ausschließlich das Aufsichtsratsplenum zuständig. Wie bei dem Abschluss des Anstellungsvertrages[67] kann das Aufsichtsratsplenum die Beschlussfassung über die Kündigung dem Personalausschuss übertragen. Die Beschlussfassung des Personalausschusses und die Kündigungserklärung dürfen in jedem Fall nicht vor der Entscheidung des Aufsichtsratsplenums über den Widerruf der Bestellung erfolgen, um keine faktische Bindung herbeizuführen.[68] In formeller Hinsicht ist eine vorherige Abmahnung[69] und auch eine Anhörung[70] des betroffenen Vorstandsmitglieds vor der Kündigungserklärung nicht erforderlich, weil § 626 BGB insofern lex specialis zu § 314 Abs. 2 BGB ist.[71]

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Wie bei der Abberufung ist materielle Kündigungsvoraussetzung gem. § 626 Abs. 1 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Im Zusammenhang mit der Auslegung der Kündigungserklärung wurde bereits dargestellt,[72] dass in den Fällen, in denen ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, in aller Regel auch ein wichtiger Abberufungsgrund gem. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG anzunehmen ist. Nicht jeder Abberufungsgrund i.S.d. § 84 Abs. 3 S. 1 AktG ist jedoch gleichzeitig ein wichtiger Kündigungsgrund für das Anstellungsverhältnis. Dies liegt daran, dass § 626 Abs. 1 BGB auf das pflichtwidrige Verhalten des Vorstands abstellt, während § 84 Abs. 3 S. 1 AktG vorrangig an der Interessenlage der Gesellschaft ausgerichtet ist. Bei § 626 Abs. 1 BGB sind stärker die sozialen Folgen der Beendigung des Anstellungsvertrages für den Vorstand, insbesondere der Fortfall der Vergütungsansprüche mit den Interessen der Gesellschaft abzuwägen.[73]

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Wie bei der Abberufung lässt sich eine allgemeine Definition, wann ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt, nicht geben. Die Entscheidung bedarf jeweils einer einzelfallbezogenen Abwägung der Interessen des Vorstands mit denen der Gesellschaft. Die Prüfung hat dabei zweistufig zu erfolgen. In der ersten Stufe ist zu prüfen, ob das Vorstandsmitglied seine gesetzlichen, satzungsgemäßen oder einzelvertraglich vereinbarten Pflichten gegenüber der Gesellschaft grob verletzt hat. Wenn dies bejaht wird, ist in der zweiten Stufe eine Abwägung zwischen den Interessen der Gesellschaft an einer sofortigen Beendigung des Anstellungsvertrages und den Interessen des Vorstands an einer Fortsetzung seines Anstellungsverhältnisses mit den sich daran anknüpfenden Vergütungsansprüchen vorzunehmen. Bei dieser Interessenabwägung sind die Schwere der persönlichen Verfehlungen des Vorstandsmitglieds, sein individuelles Verschulden, die Auswirkung für die Gesellschaft, die Dauer des Anstellungsverhältnisses, die Verdienste des Vorstands für die Gesellschaft, der für die Gesellschaft etwa entstandene Schaden und die sozialen Folgen für den Vorstand sowie die Möglichkeit der Gesellschaft, dem Vorstand eine andere Tätigkeit anzubieten, gegeneinander abzuwägen.[74] Eine vorsichtige Analogie der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Kündigung leitender Angestellter scheint möglich.[75]

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Eine fristlose Kündigung eines Vorstandsmitglieds kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn der Pflichtverstoß nicht im Ressort des gekündigten Vorstandsmitglieds erfolgt ist. Dann muss es sich aber um eine Pflichtverletzung handeln, die in den Bereich der Gesamtverantwortung des Vorstands fällt. Im Rahmen der Gesamtverantwortung des Vorstands obliegen allen Vorstandsmitgliedern auch Kontroll- und Überwachungsaufgaben für die anderen Ressorts. Wenn die Kontroll- und Überwachungsaufgaben nicht wahrgenommen werden, können auch Pflichtverstöße aus anderen Ressorts zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages eines nicht zuständigen Vorstands führen.[76]

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Liegt ein wichtiger Kündigungsgrund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vor, muss die Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis des wichtigen Kündigungsgrundes erfolgen. Bei der Kündigung eines Vorstandsmitglieds beginnt die Zweiwochenfrist grundsätzlich mit der Kenntnis des Aufsichtsrats von den Tatsachen, die den wichtigen Grund ausmachen. Entscheidend ist die Kenntnis des Gesamtsachverhalts. Die Kenntnis muss grundsätzlich bei allen Mitgliedern des Aufsichtsrats vorliegen, da die Entscheidung durch das Aufsichtsratsplenum zu erfolgen hat. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied jedoch Kenntnis von dem Sachverhalt erlangt, muss es den Aufsichtsratsvorsitzenden ohne schuldhaftes Zögern informieren, der dann dafür zu sorgen hat, dass ohne unangemessene Verzögerung das Aufsichtsratsplenum einberufen wird, um über die fristlose Kündigung zu entscheiden. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB läuft bei Einhaltung dieses Verfahrens ab dem Sitzungstag der Aufsichtsratssitzung. Bei Nichteinhaltung läuft die Frist ab dem Zeitpunkt, in dem bei Einhaltung des Verfahrens die Entscheidung hätte getroffen werden können.[77]

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Wie die Abberufung[78] kann das Anstellungsverhältnis des Vorstands auch durch Eigenkündigung des Vorstands, durch Abschluss eines mit dem Aufsichtsrat (§ 112 AktG) abzuschließenden Aufhebungsvertrages, durch den Tod des Vorstands oder durch Fristablauf beendet werden.

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