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2.3.2 Die unzerstörbare Seele

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Eine weiterer, als wahr geglaubter und nicht beweisbarer grundsätzlicher Glaubenssatz der Weltreligionen ist das II. religiöse Axiom:

II. Es existiert ein individualisierbares, geistiges Selbst „Seele“, das Teilmengen (Aspekte) der göttlichen Wesenheit in sich trägt.

Die Interpretationen dazu sind vielfältiger Natur. Eine kurze Darstellung der Vorstellungen von der Unsterblichkeit der Seele, in den antiken Kulturen bis hin zu den unserer „westlichen“ Gegenwart, findet man beispielsweise bei Mathias Schreiber [72].

Das geistige Selbst „Seele“ ist unzerstörbar. Sie besitzt einen Daseinssinn. (Da dem Sein kein Zeitbezug innewohnt, sprechen wir von „unzerstörbar“ anstatt von „unsterblich“.)

Da das geistige Selbst „Seele“, entsprechend dem II. religiösen Axiom, Teilaspekte der unzerstörbaren, Seinsinn stiftenden göttlichen Wesenheit beherbergt, kommt ihr ebenfalls eine unzerstörbare, das Dasein ermöglichende Existenz zu.

Entsprechend dem I. religiösen Axiom und den daraus folgenden „Lehr“-Sätzen ist die göttliche Wesenheit eine, das Sein erfassende, Seinsinn stiftende und damit eine unzerstörbare „Weltseele“. Sie ist notwendigerweise höchstmöglich strukturiert, denn ihre Essenz ergibt sich aus dem Zusammenwirken aller informellen und dinglich-materiellen Strukturelemente des Seins. Diese göttliche Wesenheit, besitzt, gemäß dem II. religiösen Axiom, ICH-Bewusstsein entwickelnde, geistige Strukturelemente. Sie verkörpern das geistige Selbst von individualisierbaren Daseinsformen, die als Seelensplitter der alle geistigen Strukturen erfassenden Weltseele, wie aus dem II. religiösen Axiom abgeleitet, ebenfalls unzerstörbar sind. Diese Unzerstörbarkeit wird meist ungenau bzw. sinnwidrig mit Unsterblichkeit gleichgesetzt. Im Hinduismus werden jene Seelensplitter „Atman“ genannt. Im Christentum spricht man vom „Funken“ Gottes in unserem geistigen Selbst „Seele“. In den anderen Weltreligionen wird an die Existenz eines unzerstörbaren geistigen Selbst geglaubt, das mit der Seinsinn spendenden ethischen Essenz der göttlichen Wesenheit verbunden ist.

Das II. religiöse Axiom gilt als ein grundsätzlicher Glaubenssatz in allen Weltreligionen. Die Existenzannahme eines individuellen, unzerstörbaren, geistigen Selbst „Seele“, welches „splitterhafte“ Aspekte der göttlichen Wesenheit enthält, wird, je nach philosophischer Tradition, unterschiedlich interpretiert. Im Buddhismus wird angenommen, dass beispielsweise das Individuum eine flüchtige Ansammlung von geistig-mentalen Zuständen in seinem „Selbst“ trägt. Dieses ist wandelbar, ist kein fixes Selbst. Es kann, in Abhängigkeit von seiner geistigen Entwicklung, Anteil eines übergeordneten, mentalen Bewusstseinssystems, dem Nirwana, werden - und erkennen, dass es integraler Teil eines nicht personalisierbaren, emergenten, jede Zustandsalternative alles Seienden darstellenden Schwarmbewusstseins wurde.

In den mystischen Denkweisen der Weltreligionen werden explizit oder implizit dualistische Konzepte vertreten, die für jedes ICH–Bewusstsein eine Trennung von Körperlichkeit (Gehirn, etc.) und dem Geistigen, dem mental-psychischen Selbst annehmen. Dieses kann man anschaulich darstellen mithilfe der Vorstellung eines, in die Körperlichkeit eingelagerten „Bewusstseinsfeld“ oder geistiges Feld (z.B. vertreten durch Karl Popper und dem Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger John Eccles [19]).

In der mystisch-religiös motivierten Denkweise wird geglaubt, dass ein Wirkungszusammenhang zwischen dem geistigen, psychischen Selbst, dem geistigen Bewusstseinsfeld, und einer metaphysisch-mentalen Identität (Seele) existiert. Wer sich damit nicht anfreunden möchte, der darf dafür gern, im Rahmen einer naturalistischen Sichtweise, für das „geistige Bewusstseinsfeld“ oder das geistige Selbst „Seele“ ein „emergentes, mentales Netzwerk von Informationen“ setzen, das nicht materiell ist, aber immer gemeinsam mit einem materiellen Träger existiert - beispielsweise von physikalisch–chemischen Zuständen in der Körperlichkeit (Gehirn, etc.). Diese Sichtweise berücksichtigt die Tatsache, dass im Dualismus „körperhaftes-geistiges Selbst“, oder allgemeiner im Dualismus „Materie–Information“, zwei nicht vergleichbare, aber zusammengehörende und sich ergänzende Seinsformen auftreten. Das Geistige, gesehen als vernetzte Informationsstrukturen, spielt gegenwärtig in den Neurowissenschaften und in der sogenannten Philosophie des Geistes eine wachsende Rolle. (Es gibt keine einheitliche Verwendung des Begriffs „Geist“. Wir gebrauchen ihn bzw. die „geistige Prozesse“ für jegliche Art von Informationsverarbeitung - nicht nur im Zusammenhang mit dem Wissen und Denken im „Bewusstsein“ oder im spirituellen Sinne, sondern für allgemein alles, was nicht materiell ist.)

Für Naturalisten ist das Geistig–Mentale oder das Geistig-Psychische, also die sogenannte „naturalistische“ Seele, verknüpft mit zumindest im Prinzip fassbaren Naturprozessen, - trotzdem unklar bleibt, auf welche Weise sie auf diese physikalisch–chemischen Gehirnprozesse zurückwirkt bzw. sie kausal beeinflusst oder auch regelt (siehe dazu zum Beispiel in Abschn. 1.2, 1.4 [20]). Jeden Bezug auf einen Wirkungszusammenhang zwischen dem geistig-psychischen Selbst und einer metaphysisch-mentalen Identität „Seele“, so wie es in der mystisch-religiösen Denkweise als Erlebbares geglaubt wird, lehnen die Naturalisten ab. Im Allgemeinen wird allerdings die Ansicht vertreten, dass menschliches Verhalten wohl nicht allein mittels physikalisch–chemische Naturprozesse erklärbar ist.

Anders ist die, aus der mystisch-religiös motivierten Denkweise folgende Sichtweise auf das geistige Selbst „Seele“. Hier wird ein Wirkungszusammenhang, zwischen dem mittels physikalisch–chemischer Gehirnprozesse getragenen „Geistig–Psychischen“ und der metaphysisch-mentalen Identität „Seele“ gesehen - und im Zusammenhang mit der „Unzerstörbarkeit“ des geistigen Selbst als grundsätzlicher Glaubenssatz bewertet. Er ist, wie es scheint, „universell“. Nur die rituelle Kommunikation, die spirituelle Individualisierung schafft hier Trennendes. Die mystisch-religiösen Weltbilder scheinen sich hier nur durch die Sprache zu unterscheiden.

In den abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) bleibt die Verbindung des geistigen Selbst „Seele“, die mentale Identität des Selbst, zur allmächtigen, bewegenden, ethischen Wesenheit „Gott“ eher im Ungefähren. Es wird wenig Konkretes über den Zusammenhang zwischen der individuellen Seele und der Alles erfassenden Weltseele offenbart. Aus den heiligen Schriften und den Überlieferungen lernt man, dass die Seele, das geistige Selbst, mit der göttlichen Wesenheit bewusst oder unbewusst kommuniziert und Empfänger göttlicher Erfahrungen und Offenbarungen ist. Sie kann in der Weltseele aufgehen bzw. in das geistige Reich Gottes gelangen, oder ausgestoßen werden und in einer sogenannten höllischen Situation verdorren. Weiter geht hier das mystische Wissen nicht; die Seele und das Reich Gottes werden selbst nicht so genau erläutert.

In der fernöstlichen Mystik wird dagegen der wechselseitige Zusammenhang zwischen der Weltseele und der individuellen Seele, der mentalen Identität, genauer dargestellt. Es wird dort angenommen, dass unser geistiges Selbst von einer Art „Splitter“ Gottes (im Hinduismus Atman) erfüllt ist, der immer ein Teil der Weltseele ist und bleibt. Die indische Philosophie betrachtet das eigentliche Selbst „Seele“ (Atman) als eine unzerstörbare, individuelle, geistige Identität. Der Buddhismus lehnt eine geistige Identität „Seele“ ab. Er sieht die „Seele“ im Wesentlichen in Form eines, im permanenten Wandel existierenden, nicht fixierbaren Selbst. Er geht von einer Einheit des Selbst in der Selbstlosigkeit aus. Das bedeutet, das gefühlte Selbst, sich in Gestalt eines individuellen Subjekts betrachtend, ist angehalten zu erkennen: Mein dauerhaftes, identitäres ICH ist eine Täuschung. Im Wesentlichen erreicht es die Erleuchtung, wenn es sich als integralen Anteil einer allerfassenden, nicht personalisierbaren, jede Zustandsalternative alles Seienden darstellenden, geistige Wesenheit begreift, in ihm eingeht und damit die letzte Wirklichkeit erkennt, die absolute Wahrheit erfährt. Für den einfach schauenden Betrachter der fernöstlichen Mystik erscheint es nicht verwunderlich, dass der Buddhismus in Indien vom Hinduismus zum Teil nur in Form einer besonderen Art des hinduistischen Glaubens assimiliert wurde.

Dem individuellen, geistigen Selbst „Seele“ bleibt die nicht personalisierbare, jede Zustandsalternative alles Seienden darstellende, geistige Wesenheit im Hinduismus als Weltseele bezeichnet, prinzipiell unverständlich und unvorstellbar, trotz des essenziellen Zusammenhangs zwischen der personalen Seele und der Weltseele. Die göttliche Wesenheit, diese letzte Wirklichkeit des Seienden, offenbart sich dem individuellen, geistigen Selbst „Seele“ zwar in Aspekten ihrer ethischen Essenz, ist aber von ihr prinzipiell nicht zu begreifen. Unsere Seele nimmt nur ein „verschwommenes“ Sein war, erkennt nur eine Reflexion von relativen Wahrheiten über die Realität - und versteht nie die absolute Wahrheit, nie die letzte Wirklichkeit der Gesamtheit des Seins, nie die Weltseele. Somit wird der Seele nur ein individuell erfahrbarer Teil der ethischen Essenz der göttlichen Wesenheit offenbar. Trotzdem wird in dieser Form der Religiosität durchaus eine, das Schicksal des Selbst, beeinflussende Verbindung zur letzten Wahrheit, zur göttlichen Wesenheit, geglaubt.

Im Hinduismus trägt jedes Lebewesen, je nach dem Evolutions- oder Devolutionszustand seines geistigen Selbst „Seele“, sein individuelles, verschwommenes Abbild der absoluten Wirklichkeit Gottes in sich, eine Illusion, die sich im Kreislauf der Wiedergeburten der letzten Wirklichkeit annähern kann.

Im Buddhismus wird das gefühlt fixierbare Selbst „Seele“ schon als eine Täuschung betrachtet. Es gibt kein fixierbares ICH, keinerlei individuell, stabiler geistiger Kern des Selbst „Seele“. Hier wird die menschliche Persönlichkeit in Form eines, sich wandelnden Ensemble von fünf Daseinsgruppen (Skandhas) gesehen. In dieser Sichtweise entspricht die Gruppe der sogenannten „Geistesformationen“, welche die Willenstätigkeiten und bewussten Wahrnehmungen - wie beispielsweise Weisheit, Tatkraft, Begierden usw. - umfassen, am ehesten den traditionellen Begriff der Seele. Da die sich wandelnde Seele unzerstörbar ist, sind es die Geistesformationen ebenfalls. Sie bestimmen das sogenannte Karma, das über Wiedergeburten weitergetragen wird.

Der religiöse Schwarm

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