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3.1.1 Abraham, Stammvater der Juden, Christen und Moslems
ОглавлениеAbraham stammt aus der sumerischen Handels- und Hafenstadt „Ur“. Die Stadt Ur, nahe dem persischen Golf, im heutigen Irak, am Euphrat gelegen, war zu dieser Zeit (ca. 2000 bis 1800 v. Chr.) Zentrum einer mächtigen und reichen Zivilisation. (Die Zeitangaben sind umstritten und liegen zwischen 2100 v. Chr. - 1100 v. Chr. - je nachdem ob überliefertes Schriftgut oder Interpretationen von Bibeltexten als Basisquellen betrachtet werden.) Diese Stadt Ur, in einem fruchtbaren Umland gelegen, wäre am ehesten mit dem mittelalterlichen Venedig zu vergleichen. Sie beherbergte vielerlei Handwerk und war das wichtigste Handelszentrum im mesopotamischen Kulturraum. Ihre Handelswege führten nach Ägypten, Persien (dem heutigen Iran), Syrien, Afghanistan (Zentralasien), Israel, in die Türkei und wahrscheinlich bis in die größte Kulturregion der Bronze-Zeit, der Induskultur des Industals (2800 – 1800 v. Chr. im jetzigen Pakistan). Damit verband die Stadt Ur mutmaßlich fast alle bronzezeitlichen Kulturen in dieser Frühzeit der menschlichen Zivilisation. Kein Wunder, dass ein breites Gedankenkonglomerat von Vorstellungen und Ritualen sich in der mesopotamischen Götterwelt widerspiegelten. Abraham wuchs somit in einem Schmelztiegel bronzezeitlicher Leitkulturen auf. Darum ist es nicht verwunderlich, dass die auf ihn, als spirituellen Urvater, zurückgreifenden Religionen hier und da Aspekte aus all diesen Kulturen aufweisen. Da damals wenige Menschen Lesen und Schreiben konnten, wir aber Abraham ein großes Wissen unterstellen müssen, wuchs er vermutlich in einer wohlhabenden und gebildeten Familie bzw. Sippe auf. Womöglich betete er sogar noch zu dem Mondgott Sin, der in der sumerischen Götterwelt zu den Wichtigsten gehörte.
Diese Bronzezeit war eine grausame, ungerechte und unsichere Zeit. Es war eine Epoche der Sklaverei, der plündernden Bereicherung selbst ernannter Eliten, der Herrschaft selbstherrlicher „Priesterkönige“ und häufiger Raubkriege.
Das Mesopotamien beherrschende Großreich von Akkad (ca. 2340 - 2200 v. Chr.), das in seiner Blütezeit bis nach Ägypten vordrang und deren Könige sich als Herren der Welt betrachteten, war gerade in einem kriegerischen Bruderzwist zugrunde gegangen. In dem entstandenen Machtvakuum bildeten sich kleine Stadtdynastien. Von außen wurde das südliche Sumer von den Elamitern bedroht, die, aus dem Südosten Persiens stammend, seit Jahrhunderten immer wieder plündernd in das Zweistromland Mesopotamien einfielen. Auch zu Abrahams Zeiten bestand diese kriegerische Bedrohung von Ur und war sicher einer der Gründe für seinen Auszug aus Ur. Man muss sich vorstellen, dass die machtgierigen Herrscher dieser Zeit sich göttliche Bestimmung anmaßten und fast haustierhafte Unterwerfung ihrer Untertanen einforderten. Sie trieben tausende Leichtbewaffnete in kriegerische Auseinandersetzungen, die den Vergleich mit Massenschlachtungen nicht scheuen brauchten. Siege endeten oft genug mit Plünderungen und Massaker an der Zivilbevölkerung. Dass Abrahams Sippe diesem ungewissen und schrecklichen Schicksal entfliehen wollte, scheint naheliegend. Juden, Christen und Moslems glauben gleichermaßen, dass Abraham von Gott aufgefordert wurde, Ur zu verlassen. Er, dem eine gerechte und friedfertige Gesinnung nachgesagt wurde, sollte mit seiner Sippe Stammvater und Begründer einer neuen, ethischen Werten verpflichtet fühlenden, Zivilisation werden.
Abraham flieht aus der prosperierenden Stadt Ur in Mesopotamien. Es bleibt im Dunkel der Vergangenheit, auf welche Weise er mit seinen Glauben an die Vielgötterei seiner sumerischen Herkunft brach. Er folgte der Eingebung des einzig allmächtigen Gottes und kehrte dem Glauben an die vielen Götter seiner Heimat, der Welt des Unrechts und der Unmenschlichkeit den Rücken. Zum Beispiel wird im Koran überliefert: ...da Abraham sprach: „Mein Herr, mache dieses Land sicher und wende mich und meine Kinder von der Anbetung der Götzen ab. [...].“ (Siehe in Sure 14 Vers 38. (35.) in [25]). Schon möglich, dass er erkannte: Nur wenn viele Götter existieren, kann ein jeder der kleinen und großen Potentaten an ihren eigenen, legitimierenden Götzen glauben oder sich gar selbst als ein Gott bzw. seinen Stellvertreter installieren. Damit konnten sie ihren persönlichen Machtanspruch rechtfertigen und dem „Volk“ eine Untertanenrolle auferlegen, da sie ja einen von ihrem Gott verliehenen Sonderstatus innehatten. Jeglicher Widerstand wurde als religiöse Ketzerei betrachtet und „göttlich“ bestraft. Wie so oft dienten Religionen als ideologische Begründung für den Machtanspruch politischer Systeme. Bis in die Gegenwart hinein müssen immer wieder religiöse Überzeugungen herhalten für Krieg, Mord, Terror, Kulturkämpfe und letztlich zu, die Freiheit des Menschen einschränkenden Machtansprüchen von Machthydren. Vielleicht dachte Abraham, dass innerer und äußerer Frieden in einer menschlichen Gemeinschaft nur über einen „Religionsfrieden“ zu haben ist. Und diese Erkenntnis führte dann womöglich zur Überzeugung, dass nur ein Einziger, für alle gleich zuständiger Gott existieren muss, wenn die ethischen Werte „innere und äußere Freiheit und Frieden“ das menschliche Handeln erfüllen. Alle Menschen sind gleich – vor der allmächtigen Wesenheit „Gott“.