Читать книгу Der religiöse Schwarm - Harald Gerhard Paul - Страница 20
3.1.2 Das Judentum
ОглавлениеDa die jüdische Religion alle Lebensbereiche der Juden prägt, sprechen wir, wenn wir die jüdische Mystik, Kultur und Denkweise meinen, vom Judentum. Es existiert seit ca. 3000 Jahren und zählt gegenwärtig ca. 15 Millionen Gläubige [1]. Zwar bezeichnen die Juden Abraham als ihren Stammvater, aber das Judentum als Volks- und Religionsgemeinschaft bildete sich erst später, in Verlaufe von Jahrhunderten heraus. Sie ist immer zahlenmäßig klein gewesen, aber aus ihrer monotheistischen Anschauung entwickelten sich zwei gewaltige Weltreligionen, die mit annähernd 3,1 Milliarden Anhängern fast die Hälfte der Menschheit umfasst. Zum Einen entfaltete sich vor ca. 2000 Jahren aus dem Judentum durch die „Verkündigungen“ von Jesus Christus das Christentum, mit seinen 2,26 Milliarden Gläubigen. Zum Anderen erwuchs vor ca. 1400 Jahren durch die „Verkündigungen“ des Propheten und Gesandten Mohammed der Islam, der sich in einer Linie mit den Propheten des Judentums sieht und ca. 1,6 Milliarden Gläubige [1] erfasst. Aus diesem Grunde wird auch das Judentum zu den Weltreligionen gezählt. Es repräsentiert eine Fundamentalreligion. Alle im mystisch-religiösen Denken als wahr geglaubte, fundamentale Annahmen tauchen in der jüdischen Mystik schon auf. Auf diesen Hintergrund kann diese älteste, bis heute bestehende monotheistische Glaubensgemeinschaft, wie in der Bibel berichtet, als ein auserwähltes Botenvolk der einzig allmächtigen, geistigen Wesenheit „Gott“ angesehen werden. Wie in den abrahamitischen Weltreligionen geglaubt, schloss Gott mit diesem Volk einen sonderlichen Bund bzw. erwählte es als „Bündnispartner“, - was aufgrund der tragischen, jüdischen Geschichte eher kein erstrebenswertes Schicksal zu sein scheint. Dieser Bund machte im Prinzip das gesamte jüdische Volk zu Zeugen für die Existenz Gottes.
Die jüdische Religion gründet sich auf die hebräische Bibel, die im Judentum Tanach heißt. Sie wird ebenso im Islam als Heilige Schrift verehrt. Alles, was das religiöse Denken und Handeln der Juden bestimmt, steht im dort oder wurde aus ihm heraus interpretiert. Er ist normativ für das religiöse Leben der Juden. In unserer kurzen und populären Betrachtung der jüdischen Religion werden wir uns deshalb vor allem mit den Überlieferungen im Tanach beschäftigen.
Die hebräische Bibel ist eingeteilt in: die Tora, die Bücher der Gebote, Weisungen und Belehrungen - bekannt als die fünf Bücher Moses -, die Newi’im - geläufig als die Bücher der Propheten - und die Schriftensammlung Ketuvim (kanonisiert erst 100 n. Chr.). Im Wesentlichen unterscheidet sich die hebräische Bibel bzw. der Tanach, von der christlichen Bibel bzw. dem „Alten Testament“, nur durch eine andere Reihenfolge der Texte. Zum Beispiel folgt das „Alte Testament“, wo es möglich schien, der geschichtlichen Abfolge, sodass beispielsweise das Buch „Ruth“ hinter den Büchern „Moses“ sowie den Büchern „Josua“ und „Richter“ kommt, während es im Tanach, im Ketuvim, (den Schriften) eingeordnet ist. Der zentrale Kern in der hebräischen Bibel ist die Tora. Sie spannt einen gewaltigen historischen Bogen von der Genesis, das heißt von der Schöpfung der Welt, bis hin zur Landnahme der Israeliten in Kanaan, dem heutigen Palästina. Hinweise, wie die in der Tora aufgeschriebenen Gebote, Weisungen und Belehrungen zu deuten und zu leben sind, finden die Juden im sogenannten Talmud, dem nach der Tora wichtigsten Schriftgut des jüdischen Glaubens.
Wer das Wesen der Weltreligionen erkennen möchte, muss die drei Axiome des mystisch-religiösen Denkens (siehe Abschn. 2.3) als nicht beweisbar aber wahr voraussetzen. Das bedeutet, wer den jüdischen Glauben nachempfinden will, muss sich hineindenken in die Gotteserfahrungen des sich entwickelnden Volkes der Juden von Anbeginn ihrer Geschichte an, - so wie es der Tanach überliefert. Das heißt, aber nicht, dass die, in der Vorstellungswelt des Altertums mündlich weitergetragenen und wesentlich später in die Schriftform gebrachten Schilderungen im Tanach eins zu eins als Tatsachen anzunehmen sind. Es wurden ja oft Metapher verwendet, die zwar in ihrer Kernaussage heute noch eine tiefe Bedeutung besitzen, aber in der Denk- und Vorstellungswelt des Altertums und der Antike verfasst wurden. Die in der hebräischen Bibel überlieferten Erfahrungen und Offenbarungen sollten zwar auf der Grundlage des gegenwärtigen Wissens interpretierbar bleiben, aber die göttliche Botschaft, die ethische Essenz, die grundlegende Aussage muss dabei erhalten bleiben.
Hierbei ist es für uns nicht wichtig, die Entstehungsgeschichte der Schriftform der biblischen Überlieferungen zu berücksichtigen oder darüber zu philosophieren, was historisch verbürgt ist. Die hebräische Bibel ist kein wissenschaftliches Sachbuch über die Geschichte des jüdischen Volks. Sie enthält eine Sammlung von überlieferten Erfahrungen mit der göttlichen Wesenheit, die sich im Bewusstsein abbildeten. Die hebräische Bibel enthält eine legendenhafte Darstellung der Historie, die durchaus unter Historikern umstritten ist. Das brauch uns hier aber nicht kümmern, da in dieser biblischen Version des Weges der jüdischen Stämme, erzählt wird, wie die Juden Gottes Offenbarungen erfahren haben. Das Wesen dieser Gotteserfahrungen wird oft legendenhaft dargestellt und kann darum auch nicht wie ein „Geschichtsbuch“ gelesen werden. Der teilweise qualvolle Weg zum Glauben an den allmächtigen, lehrenden und erziehenden Gott, der sie zum Botschaftervolk erwählte, soll mitgefühlt werden. Nur wer bereit ist, diesen Weg mitzugehen, kann das Judentum verstehen. Es soll hier darum gehen, die Botschaften der jüdischen Religion nachzufühlen und nicht eine, historisch gut begründbare Geschichte des jüdischen Volkes zu erfahren. Diese historische Interpretation ist sowie so äußerst schwierig oder sogar nicht möglich, denn die überlieferten Texte der Bibel sind in einer Zeitspanne von ca. 1 200 Jahren in die Schriftform gebracht worden.