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3.1.5 Der lange und mühevolle Weg des Judentums
ОглавлениеGemäß dem Tanach, der jüdischen Bibel, nahmen die Ureltern der Menschen unserer Erde, Adam und Eva einen „Splitter“ der ethischen Essenz Gottes in Form ihrer Seele auf. Aber, wie uns die Bibel den Evolutionsweg des Homo sapiens beschreibt, entwickelte sich ein mehr unmenschliches, barbarisches Geschlecht, das im Verlauf der Menschheitsgeschichte kaum das Wohlgefallen Gottes erregt hatte. Er wählte Noah (1. Mose, Kap. 6 Vers 8,9 [26]), als Stammvater einer „zweiten“ Menschheit aus und löschte die erste aus. Dieser Ausleseprozess war der zweite Versuch eine menschliche, gottgefällige also ethisch handelnde Menschengemeinschaft zu entwickeln. Noah baute nach Gottes Plan eine Überlebensarche für seine Familie sowie für die Fauna und Flora der Erde. Eine „globale“ Katastrophe, in der Bibel als eine Sintflut dargestellt, vernichtete die erste Menschheit. Eine Neubesiedlung der Erde und der Start in einer neuen Menschheit sollte jetzt mithilfe einer erzieherischen Begleitung durch Gott erfolgen. Aus dem Geschlecht des Noahs gingen die verschiedenen Völker der Erde hervor. Die göttliche Wesenheit schloss mit Noah einen Pakt, einen „Bund“ (1. Moses Kap. 9 ab Vers 9, [26]), indem sie versprach, dieser zweiten aus Noah und seinem Geschlecht sich entwickelnden Menschheit und „allen lebendigen Seelen“ keine globale Katastrophe mehr zu schicken. SIE wollte offensichtlich andere Wege der Lenkung des Menschwerdungsprozesses hin zu einer, nach ethischen Prinzipien lebenden, Gemeinschaft zu nutzen.
Jetzt erst beginnen die Anfänge der spezifisch jüdischen Geschichte und offenbar die Herausbildung von Gottes Botenvolk, - da gemäß der Bibel ca. 10 Generationen nach Noah Abraham, der Erzvater der Juden und Araber, geboren wurde. Dies könnte so im 3. Jahrtausend v. Chr. stattgefunden haben, wobei es mir müßig erscheint, darüber nachzudenken, ob die Geschichte der Erzväter historisch verbürgt ist. Es handelt sich hier um mythische, legendenhafte Überlieferungen einer nomadisierenden Sippe, die in den Herrschaftssystemen dieser Zeit keine große Rolle spielte. Sie hinterließ kein Baudenkmal, kein Tempel, kein Schriftgut und Ähnliches. Die Legenden wurden in dieser Epoche mündlich, in leicht merkbarer Versform und mit einer phänomenalen Genauigkeit, überliefert.
Die Geschichte der jüdischen Erzväter beginnt in Mesopotamien, dem sogenannten Zweistromland, das durch die zwei Ströme Euphrat und Tigris beherrscht wurde. Im südlichen Teil entwickelte sich die sumerische Hochkultur, eine der ersten städtischen Zivilisationen der Menschheitsgeschichte (mindestens 4000 v. Chr.). Die beiden Ströme Euphrat und Tigris flossen in jener Zeit schon durch Wüstenregionen. Es waren sogenannte Fremdlingsflüsse, denn sie waren „fremd“ in der Landschaft. Ihr wüstenartiges Umfeld stellte zu dieser Zeit eine schwer überwindbare Verkehrsscheide dar. Das Gebirge, weit im Norden sich erhebend, die ost- und westwärts gelegenen Wüsten und das Meer im Süden schränkte den Kultur – und Warenaustausch ein. Andererseits entwickelten sich hier, im Umfeld dieser beiden Ströme, aufgrund der Fruchtbarkeit und des begrenzten Lebensraums sowie des bedingt Eingeschlossensein, bevorzugt organisierte Gemeinschaften, wie beispielsweise die Stadt Ur. In ihr lebte Terach, ein Nachfahre Noahs, mit seiner Sippe. Sein Sohn Abram (1. Mose, Kap. 10, Vers 1; Kap. 11 Vers 10-26, [26]) erhielt später von der einzig allmächtigen Wesenheit „Gott“ den Namen Abraham. Die Stadt Ur war zu dieser Zeit das Zentrum einer mächtigen und reichen Zivilisation (ca. 2000 bis 1800 v. Chr.). (Die Zeitangaben sind umstritten und umfassen einen Zeitraum von 2100 v. Chr. bis 1100 v. Chr. je nachdem, ob überliefertes Schriftgut oder Interpretationen von Bibeltexten als Basisquellen betrachtet werden.) Ur beherbergte vielerlei Handwerk und war das wichtigste Handelszentrum im mesopotamischen Kulturraum - vergleichbar mit dem mittelalterlichen Venedig.
Aber es war eine grausame, ungerechte und unsichere Zeit. Die Gesellschaft wurde geprägt durch die plündernde Bereicherung selbst ernannter Eliten, durch Raubkriege und durch selbstherrliche „Priesterkönige“. Das Großreich von Akkad (ca. 2340 - 2200 v. Chr.), das die reichen sumerischen Städte beherrschte, war gerade in einem kriegerischen Bruderzwist zu Grund gegangen. Unter der sogenannten 3. Dynastie von Ur wuchsen diese Stadtstaaten in Mesopotamien noch einmal zu einem Flächenstaat zusammen. Von außen wurde das südliche Sumer seit Jahrhunderten von den Elamitern bedroht, die aus dem Südosten Persiens kommend, in das Zweistromland einfielen. Auch zu Terachs Zeiten bestand diese kriegerische Bedrohung von Ur.
Terach beschließt, nachdem sein Sohn „Haran“ in Ur starb, mit zwei seiner Söhne „Abraham und Nahor“ sowie seiner Tochter „Sarai“ nach Kanaan, dem heutigen Palästina aufzubrechen. In der mythischen Erzählung bleibt die Großfamilie dann im Ort „Haran“, die heute unter dem Namen Harran existiert, hängen. In dieser, in Nord-Mesopotamien an der südlichen Grenze zur heutigen Türkei liegenden Stadt wird Terach, gemäß biblischer Überlieferung, im Alter von 205 Jahren sterben. Die göttliche Wesenheit ersucht Abraham in das, von IHR für Terachs Sippe ausgewählte Land Kanaan zu ziehen. SIE prophezeit ihm zahlreiche Nachkommen, die für alle Völker von Bedeutung (Segen) sein werden. Wir ahnen hier, dass unter der belehrenden Obhut Gottes ein Botenvolk entwickelt wird, das die Existenz der einzig allmächtigen göttlichen Wesenheit bezeugen soll. Abraham zieht mit seiner Halbschwester Sarai, die er geheiratet hatte, sowie seinem Enkel Lot von Haran weiter nach Kanaan, dem ursprünglichen Ziel des Vaters. In der mythischen und legendenhaften Erzählung, die das nomadenhafte Leben der Sippe beschreibt, vertreibt eine Hungersnot Abrahams Sippenverband aus Kanaan. In Ägypten trifft sie die selbstherrliche Willkür des Pharaos und er kehrt daraufhin mit all seinen Herden und Gefolgsleuten nach Kanaan zurück. Dort trennt er sich von seinem Neffen Lot, um Konflikten um Weidegründe aus dem Wege zu gehen. Sie einigten sich dahingehend, das Lot in die Nähe von Sodom und Gomorra zieht, während Abraham bei Hebron im Lande Kanaan sich ansiedelt – das ihm von Gott ja bestimmt wurde. Ihm wird prophezeit, dass sich sein „Samen“ zahlreich wie der Staub auf der Erde verbreiten wird (1. Mose, Kap. 13, Vers 16, [26]).
Es kommt zu kriegerische Auseinandersetzungen, in denen sich aber Abraham als ein gerechter Mensch bewährt. Das führt zu dem Bund (spiritueller Vertrag) mit Gott, in welchem dem schon nicht mehr jungen Abraham wiederum eine zahlreiche Nachkommenschaft prophezeit wird, die das Land von „den Wassern Ägyptens bis an das große Wasser des Euphrat“ (1. Moses Kap. 15 Vers 18, [26]) besitzen werden.
Die kinderlose Ehefrau Sarai fordert Abraham, der mittlerweile 86 Jahre zählt, auf, ihre junge Sklavin Hagar zu nehmen. Diese gebiert ihm einen Sohn, den sie auf Geheiß Gottes Ismael nennt (1. Moses Kap. 16 Vers 15, [26]). Die göttliche Wesenheit prophezeit Hagar, dass ihr Sohn ein streitbarer Mann sein wird und im Konflikt mit seinen Brüdern leben wird. Gott offenbart Abraham: „Ismael wird gesegnet sein und Stammvater eines zahlreichen Volkes werden“, - womit die arabischen Stämme gemeint waren. Im Islam gilt Ismael als Prophet, der mit Abraham in Mekka die Kaaba erbaute und dort von seinem Vater zurückgelassen wurde. Er gilt als Stammvater der Araber. Dies zeigt die enge, spirituelle Verknüpfung, die zwischen Judentum und Islam besteht.
Das Schicksal von Abrahams Sippe zeigt die ganze Härte des Nomadenlebens in dieser Kulturregion. Der Zwang zur Landnahme - Kanaan wurde zu dieser Zeit von den Kanaanitern bewohnt -, plötzlich auftretende Hungersnöte und der Druck der Potentaten der benachbarten Großreiche des Altertums ließ bei den Betroffenen die Sucht nach einen über allem stehenden, allmächtigen und gerechten Gott wachsen. Es bleibt der Fantasie des Lesers überlassen, inwieweit er im „Lebensweg“ von Abrahams Sippe zeitlose Parallelen findet. Der Zwang, seinen Lebensbereich zu erweitern oder zu halten, sich einer übermächtigen Natur zu erwehren und dem Regulierungsdrang von Machteliten - wenn möglich - auszuweichen, betrifft vermutlich jeden. Wir erfahren auf diesen, durch drängelnde „Rivalität“ geprägten Leben alle, dass ethische Rahmenbedingungen, wie Gewaltlosigkeit, pro-soziales und kooperatives Verhalten nicht nur ein harmonischeres Erleben unseres Daseins ermöglicht, sondern darüber hinaus einen gewaltigen Evolutionsvorteil für Familie, Sippe und Gemeinschaft aufbaut. Wie so oft erfasst man, beim lesenden Miterleben des biblischen Geschehens, suggestiv die von mythischen Fantasien entkleideten „nackten“ Aussagen in den Schilderungen der Bibel. Gott ist hier im ständigen belehrenden, führenden und prophezeienden Dialog mit seinem „Botenvolk“. Zum Beispiel prophezeit ER dem Abraham zum wiederholten Mal, dass trotz des hohen Alters sein „Samen“ sich in ungeheurer Zahl verbreiten wird. Es wird dem Leser überlassen bleiben, ob er diese Prophezeiung wortwörtlich auf eine körperliche oder geistige Nachkommenschaft bezieht. Das bedeutet entweder, dass in Kanaan zahlreiche Nachfahren existieren werden – was eher nicht eintraf - oder, dass aus ihm in großer Zahl geistige Erben hervorgehen. Abrahams Bund mit der Ethik Gottes, pflanzt sich fort in das sich entwickelnde jüdische „Botenvolk“, dass die Existenz der einzig allmächtigen Wesenheit „Gott“ bezeugen muss, und aus dem Judentum erwuchsen die Weltreligionen des Christentums und des Islams mit gegenwärtig ca. 3,45 Milliarden Gläubigen. Damit hat sich tatsächliche der spirituelle „Samen“ Abrahams, die ethische Essenz der einzig allmächtigen, göttlichen Wesenheit über die Welt verbreitet. Und darüber hinaus erwacht und entwickelt sich, gemeinsam mit dem religiös-mystischen Denken der anderen monotheistischen Weltreligionen, ein Weltethos.
Was die Verdrängung der ethischen Essenz der göttlichen Wesenheit aus unserem Selbst zur Folge haben kann, erlebt die Sippe Abrahams hautnah. Das „gottlose“ Leben der Menschen in den Städten „Sodom und Gomorra“ endet in einer Katastrophe. Beide vergingen in „Feuer und Schwefel“, in einer „Hölle“ der Vernichtung (1. Moses Kap. 19, Vers 24, [26]). Fast jeden von uns kommt das Sprichwort „Es geht hier zu, wie in Sodom und Gomorra“ in den Sinn, wenn er beobachtet, wie überbordende Begierde und Verachtung des Lebendigen in ausschweifenden Lebensstil endet. Dieser apokalyptische Untergang der beiden Städte bleibt ein warnendes Beispiel dafür, dass dekadentes, ungezügeltes ich-bezogenes und hemmungsloses Leben - wenn es denn zum „Mainstream“ wird - in den katastrophalen Untergang der gesamten Gemeinschaft führt. Abrahams Enkel Lot, verwandt dem Geiste seines Großvaters und bei Sodom und Gomorra lebend, wird hinweg geführt und verschont, bevor Gott beide Städte zerstörte. Die Apokalypse nahm, entgegen der Bitte von Abraham, die Stadt doch zu verschonen, da es dort auch gerechte Menschen gäbe, ihren Lauf. Aber die „Gerechten“ ergaben sich vermutlich, mehr oder weniger dem „Mainstream“, - und die Städte Sodom und Gomorra vergingen qualvoll.
Wieder drängen sich Lehren auf, die Parallelen zu unserer Gegenwart suggerieren. Möglicherweise ist der Untergang der beiden Städte symbolisch zu verstehen: Jene Menschen vergingen im Feuer ihrer Begierden, die jedes Sozialverhalten verbrannte.
Gott erneuert unter diesen Umständen seinen Bund mit Abraham, der 99 Jahre zählte, und fordert von ihm das Ritual der Beschneidung für seine Nachkommenschaft. Er prophezeit ihm die Geburt seines Sohnes Isaak, mit dem er ebenfalls einen Bund schließen wird und der Stammvater von viel Volk und Königen sein wird. Zwölf Monate später, Abraham war 100 Jahre alt, wurde dann tatsächlich sein Sohn „Isaak“ geboren.
Unter die Haut geht einem die Schilderung der von Gott befohlenen Opferung seines Sohnes Isaak (1. Moses Kap. 22, Vers 2, [26]) auf einem Berg im Land „Morija“, dem späteren Tempelberg in Jerusalem. Wortwörtlich genommen wirft die von Gott geforderte Opferung massiv ethische Fragen auf. Solch eine Kulthandlung wird verständlicherweise als unmenschlich und verwerflich empfunden. Es ist schon eine extreme Erwartung Gottes, dass Abraham IHM seinen Sohn Isaak als Brandopfer anbietet (1. Moses Kap. 22, Vers 9, 10, [26]). Diese mythische, legendenhafte Forderung, wortwörtlich genommen, könnte als eine Prüfung der Gottesfurcht, des Gehorsams Gott gegenüber und der Glaubensfestigkeit von Abraham gewertet werden. Man fragt unwillkürlich, in was für eine gewaltige Bedrängnis hier Abraham gestoßen wird. Was für ein Konflikt erwächst zwischen dem Glauben an die letzte göttliche Autorität und IHRE ethische Essenz, - die sich in uns Menschen als Achtung vor dem Leben und in der Liebe zum „Kind“ manifestiert! Abraham vertraut auf Gott, erzählt die Heilige Schrift in der bildgewaltigen Sprache der Nomaden des Altertums. Er setzte das Opfermesser an und Gott verhindert im letzten Augenblick diese Opferung des Isaaks. Entkleidet von der mythischen Fantasie suggeriert diese überlieferte Darstellung des Opferungsrituals eine tiefgehende Ahnung der Motive der göttlichen Wesenheit. Im Verlauf des Opferrituals wurde ein „Vertrag“, ein Bund, eine Bindung Isaaks an Gott vollzogen. ER versprach, dass durch die Nachkommen Isaaks, das kommenden Botenvolk Gottes, alle Völker auf Erden gesegnet sein werden (1. Moses Kap. 22, Vers 18, [26]). Isaak, besteigt als ungebundener Mensch die Opferstätte. Er ist geistig noch nicht an Gott gebunden und erfährt durch das Ritual des versuchten aber nicht durchgeführten Brandopfers eine nicht lösbare Bindung an die göttliche Wesenheit. Seine spirituelle Opferung beendet im übertragenden Sinne sein „ungebundenes“ Leben und bindet ihn an Gottes Wirken, lässt ihn nach dem Verlassen des Opferrituals geweiht auferstehen als Erzvater des zukünftigen Botenvolks Gottes. Die Opferung Isaaks war symbolisch erfolgt.
In der Bibel wiederholen sich solche Art Metapher für die Bindung an Gott. In den abrahamitischen Religionen ist diese spirituelle „Selbstopferung“ eines Gläubigen die Ultima Ratio eines sich zur Verfügung stellen für die göttliche Ethik, für ein ethisch vollkommenes Leben. Diese Art der „rituellen Selbstopferung“ durchzieht die Bibel und findet im Prinzip seinen Höhepunkt im Glauben an die Ankunft eines Messias. Die einzig allmächtige Wesenheit „Gott“ vollzieht durch die Verkörperung als Messias ebenfalls eine Art Selbstopferung. Sie wechselt in eine für den Menschen leichter erfassbare Erscheinungsform seiner Existenz. Sie opfert Aspekte seiner Wirkeigenschaften, wenn er sich in eine körperhaft erfahrbare Präsenz manifestiert. Hier drängt sich durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zu der im Hinduismus als wahr geglaubten Annahme einer heiligen Selbstopferung der göttlichen Wesenheit, „Gott wird zur Welt und Welt wird zu Gott“, auf.
Die Hindus glauben - ähnlich wie die Christen - dass ein Wirkanteil Gottes sich verkörpert. In dieser Form lebt ER als Teil der menschlichen Gemeinschaft und versinnbildlicht die Bindung an Gott. Die vergängliche Körperlichkeit stirbt und ihre geistige Präsenz fließt zurück in die unzerstörbare Existenz der göttlichen Wesenheit. Ab 150 n. Chr. folgte beispielsweise die christliche Kirche der urchristlichen Auffassung, dass der Glaube an den Messias Jesus und seinem körperlichen Opfertod den Bund Gottes mit dem jüdischen Volk und mit allen Menschen demonstrativ wiederholte.
Dieser Bund mit Gott wurde längst mit Abraham geschlossen. Er wurde mit Isaak, durch seine rituelle Opferung, vollzogen. Dieser bekam einen Sohn, Jakob, einen der Erzväter der Israeliten, dessen 12 Söhne die Stammväter der zwölf Stämme Israels bildeten (etwa 1800 Jahre v. Chr.). Und hier beginnt die eigentliche Historiografie der Juden und ihr an Gott gebundenes Schicksal. Es ist eine dramatische Geschichte über das Leben von Menschen in halbnomadisch lebenden Sippen, mit ihren menschlichen Konflikten und Schwächen. Sie hält uns bis heute, ob Gläubiger einer der abrahamitischen Religion oder bekennender Atheist, ein zeitloses Spiegelbild vor. Die göttliche Wesenheit, so lehrt uns die Bibel, versuchte im ständigen Dialog sein an ihn gebundenes Botenvolk zu einem gottgefälligen Leben, getragen von seinem ethischen Wesen, zu drängen. Dies fällt dem Menschen damals wie heute oft genug schwer. Zum Beispiel kaufte Jakob seinem erstgeborenen Zwillingsbruder Esaus für ein „Linsengericht“ das Erstgeburtsrecht ab und erschleicht sich mit Zutun seiner Mutter den Erstgeburtssegen von seinem mittlerweile blinden Vater. Das verschafft ihm den Herrenstatus in der Sippe. Danach macht er sich aus Angst vor dem betrogenen Bruder „Esaus“ aus dem Staub. Er taucht in Haran, bei seinem Onkel, unter, dient ihm sieben Jahre sehr erfolgreich, macht ihn wohlhabend und bekommt zur Belohnung zwei Töchter des Onkels als Ehefrauen, - die im Übrigen einen heftigen Zickenkrieg um den Ehemann führen. Seine geschäftlich geschickten Abmachungen mit seinem Dienstherren machen Jakob reich und unabhängig von ihm. Er verdrückt sich vor dem geprellten Onkel und kehrt zurück nach Kanaan. Jedoch fürchtet er sich immer noch vor dem Zorn seines betrogenen Zwillingsbruders. Kurz vor dem Ziel, am Jordan, den er mit seinem Tross durchqueren muss, hat er ein seltsames Abenteuer. In dieser Nacht, vor dem Zusammentreffen mit Esaus, wird er von einem Mann überfallen. Er wehrt sich mit aller Macht und kämpft eine quälend lange Nacht bis zum Morgengrauen. Sein Widerstand und seine Gegenwehr enden. Er hatte sich die Hüfte verrenkt. Es stellt sich heraus: „Der fremde Kämpfer ist eine körperliche Manifestation der göttlichen Wesenheit“ (1. Moses Kap. 32, Vers 31, [26]). Gott nennt Jakob ab jetzt Israel, „Gottesstreiter“, und segnet ihn (1. Moses Kap. 32, Vers 29, [26]). Hier scheint die nicht personifizierbare, allmächtige Wesenheit ein schwer interpretierbares Zeichen gesetzt zu haben. ER hatte sich bisher durchaus auch in körperhaften, fassbaren Gestaltungen gezeigt. Ab diesen Zeitpunkt aber tat er es nie wieder. Man könnte das als eine Zäsur im Verhältnis Gottes zum Menschen sehen. Die körperlich-menschliche Anschaulichkeit für seine Botschaften schien nicht mehr notwendig. Die Menschen waren in der Lage andere Formen des Dialogs mit Gott zu ertragen und zu verstehen.
Mag sein, dass dieser mythische Kampf als Metapher für das Auskämpfen der Gewissenskonflikte des Jakob anzusehen ist. In diesem Fall würde er auf‘ s Heftigste gegen sich selbst kämpfen, gegen seine allzu menschlichen Schwächen, seinem rigorosen Vorteilsdenken und zugleich gegen sein Gewissen, das von einem Splitter der ethischen Essenz Gottes erfüllt ist. Bildhaft gesehen gewinnt das göttliche Wesen den Kampf. Aufgrund der menschlichen Grenzen wird das Körperliche des Menschen verletzt und es gewinnt das Gewissen.
Schimmert hier die fundamentale Annahme „Geist dominiert das Materielle“ oder „das geistige Selbst ‚Seele‘ ist nicht zerstörbar“, „das Körperhafte ist verletzbar und vergänglich“ durch? Ob diese Interpretation die geglaubten Offenbarungen der Heiligen Schrift überdehnen, sei dahingestellt. Wenn die göttliche Wesenheit uns Menschen nach seinem „Ebenbild“ schuf, so bedeutet dies allerhöchstens: Er hauchte uns Aspekte seines geistigen Wesens ein und wir empfingen hierbei einen Splitter seiner ethischen Essenz. Wir erwarben das Streben des Geistes nach Erkenntnis und die Neugier auf neue Zusammenhänge - und damit eine Voraussetzung für die Evolution des „Wissens“ um die lokale und globale Einbettung jeglicher Dinge im Sein, um den Seinsinn der göttlichen Wesenheit.
Der legendenhafte Kampf des „Gottesstreiter“ Israel lehrt uns zumindest: Ein gottesfürchtiges Leben, eine Lebensführung nach den von uns Menschen erkannten und verinnerlichten ethischen Werten ist ein immerwährender Kampf gegen sich selbst. Nur ein belastbarer Kampfeswille erringt den Segen moralischer Normativen, die einen sozio-kulturellen Fortschritt ermöglichen. Diese ständige Auseinandersetzung adelt erst unsere Siege über allzu menschliche Begierden, über antisoziale Egoismen und über die Nichtachtung unseren Mitgeschöpfen gegenüber. Die Verhaltensweisen, welche nur aus der Gehorsamkeit in Bezug auf ein, als Gemeinschaftsrecht deklariertes Gesetzeswerk folgen, entspringen nicht unserem Gewissen. Und kein Recht steht über das eigene, ethisch-sittliche Bewusstsein, denn Recht kann auch zu Unrecht werden. Ein Rechtsstaat ist nicht notwendig ein gerechter Staat. Jakob erkämpfte sich den Segen Gottes – unter Opfern. Und die sollte man in Gewissenskonflikten billigend in Kauf nehmen. Alle menschlichen Werte müssen wehrhaft daherkommen – und im übrigen Opfer nicht scheuen.
Diese legendenhafte Episode aus dem Leben des Erzvaters Jakob (alias Israel) zeigt, dass er eine kämpferische, auf sein Vorteil bedachte Führungsfigur war. Aber diese Episode bezeugt ebenso das Ringen um ein gottgefälliges Leben, um eine Lebensführung ohne Sünde. Es wird der Unterschied zwischen menschlichen und unmenschlichen Vorteilsstreben sichtbar. Sie weist bis heute auf die Diskrepanz zwischen ethischen Normativen verpflichteter Führung und selbstherrlicher Gesinnungs- und Regulierungsdiktatur hin. Wobei Letzteres leider häufig genug selbstbezogene Gefolgschaften für den Aufbau ihrer „Bonzendiktatur“ sammeln können.
Die Israeliten lebten zu dieser Zeit in Kanaan, im syrisch-palästinensischen Küstengebiet des südöstlichen Mittelmeers. Sie siedelten in Nachbarschaft mit den Ureinwohnern, den Kanaanitern, - die den antiken Griechen unter der Sammelbezeichnung „Phönizier“ bekannt wurden. Die nomadischen israelitischen Stämme kannten die sie unter anderem als seefahrende Kaufleute, die in Stadtstaaten an der Küste siedelten. Über einige hundert Jahre lebten beide Bevölkerungsgruppen nebeneinander her - sich bewusst voneinander abgrenzend. Der hauptsächliche Grund für diese Abschottung war anscheinend der, dass sie vor allem zwei sich extrem widersprechende Glaubensrichtungen besaßen. Die Israeliten hatten einen monotheistischen Glauben, den Glauben an den einzig allmächtigen Gott JHWH (Jach-we, manches Mal als Jehova ausgesprochen, der eigentliche Eigenname Gottes und selbst genannt im Tanach, im ersten der 10 Gebote). Die Kanaaniter pflegten einen Baal-Kult. Baal bezeichnete eine lokale Gottheit, die regional unterschiedlich mit Landschaftsmerkmalen, der Fruchtbarkeit und vieles andere mehr identifiziert wurde. Die voneinander unabhängigen kanaanitischen Stadtstaaten hatten oft verschiedene religiöse Gepflogenheiten und pflegten keine kooperativen Beziehungen untereinander. So wurde das politisch zersplitterte Einflussgebiet der Kanaaniter allmählich durch die je nach Situation mitunter kriegerische Landnahme zurückgedrängt. Zum Beispiel wurde die Stadt Jerusalem durch die jüdischen Stämme erobert.
Im Leben der halb-nomadischen Israeliten finden wir Hass und Liebe, Habgier und Freigiebigkeit, Gewalt und Friedfertigkeit, arrogante Überheblichkeit und Demut vor der Schöpfung, Grausamkeit und Mitleid. All dies geschieht unter einem mitfühlend strafenden und fördernden Gott. Zentrales Thema im Tanach ist die gotterfahrende Erziehung der Israeliten hin zum ständigen Botenvolk.
Mit Jakobs Sohn Josef, seinem Lieblingssohn und erst im hohen Alter gezeugt, beginnt die Geschichte Israels. Aus Neid und Missgunst (1. Moses Kap. 2 [26]) verkaufen ihn seine Halbbrüder nach Ägypten in die Sklaverei, wo er zu Macht und Einfluss am Pharaonenhof (wahrscheinlich Ramses II., 1279 – 1213 v. Chr.) gelangte. Er verzeiht seiner Sippe diese Gewalttat und holt sie nach Ägypten, wo sie im fruchtbaren Weideland am Nildelta sesshaft werden sollten. Das bisherige nomadenhafte Leben im Hinterland Kanaans, die Küstenregion wurde ja von den Stadtstaaten der Phönizier kontrolliert, war mit seinen Hungersnöten und Teuerungen mühselig. Dies sollte ein Ende haben. Hier, in Ägypten wuchs der Stamm der Israeliten zwischen dem östlichen Nil-Delta und dem heutigen Suezkanal zu einem Volk heran (2. Moses Kap. 1, Vers 7, [26]). Wahrscheinlich unter Merenptah (1213 – 1204 v. Chr.), dem Sohn und Nachfolger Ramses II., gerieten die Israeliten größtenteils in die Fronsklaverei. Es ist eine Geschichte von an Gott zweifelnden Menschen, die von Gott gestraft werden und Vergebung erfahren und ihren Glauben wiederfinden. Es war ein Weg der Prüfungen durch ein hartes bedrückendes Leben, eine Wanderung auf einen Weg hin zur Seinsethik der allumfassenden, allmächtigen Wesenheit „Gott“, geführt durch oft schwer durchschaubare Botschaften und Offenbarungen.
Nachdenklich stimmt ein Offenbarungserlebnis des Moses, in dem Gott zu ihm aus einem „brennenden Dornbusch“ spricht. (Dieser Vorgang kann als eine, in der überreizten Vorstellungswelt von Moses gewachsene Assoziation betrachtet werden, aber anderes ist ebenfalls in das Bild hinein interpretierbar.) Hier versucht eine, für Menschen nicht vor– und darstellbare, nicht personalisierbare, allmächtige Wesenheit „Gott“ einer Person, die eine Personalität über eine Benennung braucht, seinen „Namen“ zu nennen. Und, so verstand es Moses, Gott sprach: „Ich werde sein, der ich sein werde. … Also sollst du zu den Kindern Israels sagen: Ich werde sein, hat mich zu euch gesandt.“ (2. Moses Kap. 3, Vers 14, [26]). In anderen, mehr zeitgemäßen Übersetzungen antwortet Gott dem Moses auf die Frage, in wessen Namen er zum Volk sprechen soll: „Ich-bin-da hat mich geschickt.“ Man denkt bei dieser Antwort unwillkürlich daran, dass Gott hier mitteilt: ICH bin nicht benahmbar! - Was eine faszinierende Analogie in der chinesischen Philosophie des Taoismus aufzeigt (Abschn. 4.4.2.3). – In diesen jüngeren Übersetzungen der Bibel wird nicht immer streng „wortwörtlich“ übersetzt, sondern des Öfteren eine weitestgehend dem Sinn entsprechende Übertragung versucht (z.B. [31]). (Diese 97-ziger Ausgabe gilt als eine zuverlässige, leicht verständliche deutsche Bibelausgabe.). Bei Luther beschreibt sich Gott im Jetzt des Moses als „Das, was sein wird“. Gemäß der neueren Bibelübersetzung definiert sich Gott als „Das, was da ist“. Jede der Übersetzungen wird sicher geprägt sein vom subjektiven Verständnis – das gewiss das Resultat einer qualifizierten Interpretation und fast über Jahrhunderte gehender kritischer Exegese sein wird. Doch warum sollten wir nicht akzeptieren, dass beide hier angesprochenen Übersetzungen nur unterschiedliche Aspekte der göttlichen Wesenheit abbilden? Das heißt, bei Luther erklärt sich Gott auf eine verstörend verstehbare Weise als etwas, das jetzt dasjenige ist, was es zugleich in der Zukunft sein wird. Der für uns beobachtbare Zeitfluss scheint für IHN nicht zu existieren? Bedeutet dies, dass der einzig allmächtige Gott zeitlos, an keine zeitlichen Abläufe gebunden, existiert? Für Physiker ist im Prinzip nur der einmalige Kosmos, die Gesamtheit des Seins, von dieser Art. Können wir, im Zeitfluss lebende Wesen, deshalb seinen Zugriff auf uns (z.B. Dialog Gottes mit Moses aus dem brennenden Dornbusch) nur über ein „Ereignis“ zu einer konkreten Zeit beobachten und verstehen?
In der jüngeren Bibelübersetzung antwortet Gott nur: „Ich bin da.“ - So wie der einmalige, allerfassende Kosmos, das Sein? - Damit ist inhaltlich kein wesentlicher Unterschied zu der Interpretation der Luther‘ schen Übersetzung vorhanden. Man fragt sich unwillkürlich: „Als was ist er da.“ Er ist ja etwas, was Moses und jedes bewusste Individuum, nicht in seinem Bewusstsein abbilden und verstehen kann. Mag sein, dass die Botschaft der göttlichen Wesenheit für den Menschen „Moses“ nur über eine, seiner geistigen Wahrnehmung zugeordneten Abbildung „brennender Dornbuschs“ erfassbar wurde. Die Antwort Gottes: „Ich werde sein, der ich sein werde. …“ bzw. „Ich bin da“ erklärt, dass er die nicht-benennbare Gesamtheit (Abschn. 4.4.2.3) des sich ständig wandelbaren Seienden ist. Das erinnert an die, im Hinduismus angenommene, heilige Selbstopferung der göttlichen Wesenheit: „Welt wird zu Gott. Gott wird zur Welt.“ Die Botschaft an Moses erscheint uns recht seltsam und verstörend. Denn es wäre naiv, sich Gott als Zeitreisender vorzustellen, der morgen etwas ist, was aus dem Jetzt folgt und im Jetzt etwas, das in der Zukunft „war“. Da aber als wahr geglaubt wird, dass Gott allmächtig ist, ist er andererseits keinem Gesetz unterworfen. Er bezeichnet sich gleichwohl als die Gesamtheit alles Seienden, als das nicht personalisierbare, einzig allerfassende, emergente Netzwerk von Zustandsalternativen alles Seienden (Abschn. 2.3.1). Eine nachgerade verblüffende naturphilosophische Tiefe wird hier, an dieser Bibelstelle suggeriert. Was für eine Verkündigung an Moses, an einen Menschen in dieser frühen, antiken Zeit. Kein Wunder, dass an diese geistige Botschaft sein Bewusstsein fantastische Wahrnehmungen anheftete.
Der Pharao, ein Gottkönig seiner Zeit, wollte das Volk der Israeliten, die dem einzigen Gott und somit nicht ihn huldigten und ein Fremdkörper in seinem Reich waren, beseitigen. Ihre unmenschliche Unterdrückung mündete im Zwang zum Kindesmord, um männliche Nachkommen zu unterbinden. Die Mütter und Hebammen der jüdischen Stämme widersetzten sich mit allen Mitteln und setzten beispielsweise in ihrer Angst Kinder aus, in der Hoffnung, dass diese als Nicht-Israeliten irgendwo ein neues zu Hause finden würden.
Moses als jüdisches Findelkind am Hofe des Pharao erzogen, ergreift Partei für sein Volk, erschlägt einen ägyptischen Sklaventreiber und führt die jüdischen Stämme aus Ägypten. Auf wundersame Weise hilft ihnen Gott gegen die Armee des Pharao – so beschrieben in der Bibel.
Im jüdischen Glauben ist der, nach der Offenbarung Gottes aus dem „brennenden Dornbusch“, folgende Auszug aus Ägypten, der die Israeliten aus der Sklaverei führte, ein zentrales Ereignis und wird im Pessach Fest (Passa(h)) im familiären Kreis unter Beachtung spezieller Riten begangen. Dieses Befreiungserlebnis, geleitet durch die Offenbarungen von Moses, ist für jede Generation von essenzieller Bedeutung und im Judentum tief verwurzelt.
Die abenteuerliche und entbehrungsreiche Wanderung durch die Wüste endet vorläufig am Berg Sinai. Dieser Aufenthalt ist eine Zäsur und ein Neustart für die Juden. Gott schließt hier mit den Israeliten einen Pakt und übergibt Moses die „Zehn Gebote“ (2. Moses Kap 20, Vers 2 - 17, [26]) und zahlreiche Gesetze, Opferriten und Regeln für das tägliche Leben seines auserwählten Botenvolkes (z.B. 2. Moses Kap. 21 ff.). Der mehrfache Aufstieg am Berg Sinai, dazu die lange Abwesenheit von Moses verführt Ungeduldige unter den Israeliten sich einen neuen, eigenen, materiellen Gott, ein „Goldenes Kalb“ (die klassische Fruchtbarkeitsgöttin) (2. Moses Kap. 32, Vers 4, [26]) zu formen. Dieser extreme Rückfall in den Götzenglauben wird fürchterlich gesühnt und endet in einem Massaker. Denn nach der Rückkehr von Moses werden alle männlichen Abweichler erschlagen, 3000 an der Zahl, so wird im Bibeltext überliefert. Gott verzeiht - und wird wieder versöhnt mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft.
Die göttliche Wesenheit Jahwe (JHWH) lässt bei der Ertüchtigung der Israeliten zum auserwählten Volk, mit dem ER einen Bund schloss, keinen „Vertragsbruch“, keine Schwäche im Glauben zu. Wer mit IHM im Gespräch ist, erfährt seine Anleitung und Führung und ist damit in einem konsequenten Dialog. Die Tora lehrt: „Es ist ernst, Gott nicht ernst zu nehmen“. Am Berg Sinai starteten diese Vorgänge eine neue Etappe in der Herausbildung der jüdischen Gottesstreiter. Sie müssen noch einen langen, „erzieherischen“ Weg durch die Wüste zurücklegen, bevor sie wieder in ihrem gelobten Land Kanaan, in ihre von Gott bestimmte Heimat gelangen. Am Ende ihrer 40-jährigen Odyssee haben sie eine große Zahl von Gesetzen und Regeln erhalten, die sie befähigen sollen, ein gottgefälliges Leben zu führen. Da sie als auserwähltes Botenvolk die geistige Präsenz des allmächtigen Gottes bezeugen sollen, müssen sie seinen Geist leben. Die gottgefällige Lebensweise ist das Zeugnis für die Präsenz Gottes. ER zeigt sich im ethischen Wesen des Einzelnen und der Gemeinschaft. ER offenbart sich in uralte Normen des Verhaltens, die bis in unsere Gegenwart hinein moralische Brisanz besitzen – und in ein Weltethos führen sollten, das eine bessere Weltordnung ermöglichen würde ... also den Evolutionsvorschub für die Menschengemeinschaft liefern könnte, sofern die Menschheit nicht in „Ethosmangel“ versinkend, sich selbst auslöscht.
Die Tora endet mit dem 5. Buch Moses. Moses ermahnt sein Volk, weißt auf die Konsequenzen und Gefahren hin, die ein Brechen des Bundes mit Gott, ein Verlassen des Glaubens an JHWH mit sich bringen. Seine Reden zu dem zukünftigen Leben in Kanaan sind letzte Beschwörungen glaubensfest zu bleiben und sich an die Gesetze des einzig allmächtigen Gottes zu halten. Er benennt seinen Nachfolger Joshua und stirbt im Angesicht des Ziels (5. Moses Kap. 34, Vers 5, [26]).
Die jetzt folgende Landnahme (ca. 1300/1500 v. Chr.) erfolgte teils kriegerisch und teils friedlich. Inwieweit die biblische Darstellung der Inbesitznahme historischer Überprüfung standhält, sei dahingestellt. Es scheint festzustehen, dass 2000 Jahre v. Chr. Kanaan unter ägyptischen Einfluss stand. Ab 1200 Jahre v. Chr. drangen dort neue Volksgruppen, beispielsweise die Israeliten, ein und die ägyptische Machtposition schwand.
Damit endet die Tora, die im jüdischen Glauben für die mythische Motivation und dem täglichen Leben der Juden eine so zentrale Rolle spielt. Sie ist, unabhängig von ihrem legendenhaften Erzählstil und der historisch oft nicht verbürgten Darstellung der Geschichte des israelitischen Volkes, vor allem ein Lehr- und Gesetzbuch, welches in einem Dialog mit der allumfassenden, allmächtigen Wesenheit „Gott“ entstand. Es beeinflusst bis heute das tägliche Leben der jüdischen Gläubigen.
Moses soll die Tora nach der Offenbarung Gottes auf dem Berg Sinai, selbst niedergeschrieben und dazu kommentierende mündliche Auslegungen gegeben haben. Heute wissen wir, dass die Tora verschiedene Quellen hat. (Die umfangreiche Quellendiskussion in der Bibelforschung soll hier nur erwähnt, nicht aber dargestellt werden.) Es ist wenig vorstellbar, dass ein einzelner Mensch die jüdische Religion gegründet haben könnte. Trotzdem ist die Tora, dieser älteste Bibeltext, die Grundlage des Judentums, das oft als „mosaischer Glauben“ benannt wird.
Die Tora hat zwei inhaltliche Ebenen.
Zum einen enthält sie eine Gesetzesebene, auch mit „Körper-der-Tora“ bezeichnet. Die selbst unter Nicht-Juden bekanntesten Gesetze sind die in 16 Versen gefassten „Zehn Gebote“ (2. Moses Kap 20, Vers 2 - 17, [26]). Sie wurden Moses auf dem Berg Sinai überreicht. Die Gesetze der Tora spiegeln den Willen Gottes wieder und betreffen beispielsweise die Aspekte des Zusammenlebens der Menschen, wie in den letzten 9 Versen, oder des „Verständnisses“ von Gott, wie in den Versen 2 bis 7, sowie zahlreiche Gebote und Verbote zu allen Bereichen des täglichen Lebens. Sie reichen vom Zivil- und Strafrecht über landwirtschaftliche Themen, Feiern, Frauen, Opferriten bis hin zur Festlegung von reinem und unreinem Fleisch sowie Essvorschriften. Die in der Tora enthaltenen 613 Gesetze (245 Gebote und 368 Verbote, siehe z.B. S. 36 bei [32]) sind bindend für die jüdischen Gläubigen.
Zum anderen beinhaltet die Tora eine verborgene mystische bis mythische Ebene, auch als „Seele-der-Tora“ bezeichnet, wie zum Beispiel die Schöpfungsgeschichte. Diese Ebene vermittelt die als wahr angenommene Existenz einer einzig allmächtigen, göttlichen Wesenheit. Dem unbefangenen Leser der Tora eröffnet sich eine Darstellung von Gott, der die Menschen personal belehrt, führt und bewahrt vor inneren und äußeren Gefährdungen. Er offenbart seine geistigen Botschaften mittels Erscheinungen, die als Boten dienen, oder indirekt über das Handeln der Menschen selbst.
Zum Beispiel spricht Gott, auf dem Berg Sinai, Moses „ohne Umweg“, aus gewalthaltigen Naturerscheinungen heraus an (2. Buch Moses Kap. 19, Vers 18 - 20, [26]) und erteilt ihm direkt Weisungen zum religiösen Leben, usw..
Andererseits erzürnt sich Gott über das zügellose Treiben des Volkes Israel während der langen Abwesenheit von Moses auf dem Berg Sinai. Die Israeliten schufen sich einen „neuen Gott“, einen Götzen, ein „Goldenes Kalb“ (Symbol der Fruchtbarkeit) und verehrten es. Sie brachen damit den Bund mit IHM und taugten wohl nicht als sein Botenvolk, das ja Zeugnis für seine Existenz und seiner, für uns Menschen lebbaren, ethische Essenz ablegen sollte. ER wollte das Volk vernichten und nur die Bitte von Moses milderte sein Urteil. Erfüllt von Zorn stieg Moses vom Berg Sinai herab, sammelte seine Anhänger im Glauben an die einzig göttliche Wesenheit JHWH und lies quer durch alle Familien dreitausend Mann erschlagen (2. Buch Moses, Kap. 32, Vers 1 - 4 und 25 - 28, [26]). Das Urteil Gottes wurde in ein menschengemachtes Strafgericht umgewandelt. Es endete in ein Massaker; dreitausend Mann sollen es in dieser mythischen Erzählung gewesen sein. Die das „Goldene Kalb“ verehrenden, feiernden und tanzenden Menschen hatten die Gemeinschaft des „Auserwählten Botenvolks“ verlassen, den mit Gott geschlossenen Bund gebrochen und seine Botschaften an die Menschenwelt auf grundsätzliche Weise gefährdet. Die Lehren Gottes sollten unter allen Umständen in ihren Kernaussagen unverfälscht erhalten bleiben und in der festen Glaubensgemeinschaft des jüdischen Botenvolks weitergetragen werden. Vielleicht sollte mit diesem gewalttätigen Vorgang gezeigt werden, dass eine Verdrängung der ethischen Essenz Gottes - die sich für den Menschen beispielsweise über die Achtung vor dem Leben, über Solidarität, Toleranz und Partnerschaft mit der Schöpfung manifestiert – zur total egoistischen Befriedigungsgesellschaft, zum Exitus der Menschengemeinschaft führt.
Wie so oft liefert die Bibel legendenhafte Metapher für Wege von Menschengemeinschaften, die wenig von ihren Kernaussagen verloren haben.
Die hebräische Bibel, der Tanach, umfasst neben den fünf Büchern Moses (die Tora), die Prophetenbücher (Newiim) und die Schriften (Ketuvim). Die Prophetenbücher unterteilen sich in die Bücher der vorderen und der hinteren Propheten.
Die Bücher der „vorderen Propheten“ bestehen aus dem Buch Josua, dem Buch der Richter, dem 1. Buch Samuel, dem 2. Buch Samuel, dem 1. Buch von den Königen und dem 2. Buch von den Königen. In diesen Büchern wird das Werden des israelitischen Volkes geschildert. Es beginnt mit der Landnahme nach dem Überschreiten des Jordans, mit dem Tod des Moses. Es schildert die Bildung der Reiche Juda und Israel, ihrer Unterwerfung und die Zerstörung des durch König Salomon errichteten ersten Tempels in Jerusalem durch Nebukadnezar II (597/ 587 v. Chr.), dem Herrscher des babylonischen Reiches. Die spannende Geschichte der jüdischen Stämme beginnt im Buch Josua mit den Offenbarungen Gottes an Josua, dem Sohn des Dieners von Moses (1. Buch Josua, Kap. 1, ab Vers 1, [26]). Hier wird die Landnahme Kanaans durch die Israeliten und ihrer Verbündeten eingeleitet. Die Stämme überschreiten mit ihrer militärischen Macht den Jordan und fallen in das Land Kanaan ein. Es werden die Königreiche der Bewohner zerstört und eigene Stammesgebiete gegründet. Gemäß biblischer Geschichte gründen die Israeliten erst spät ein geeintes Königreich. Die bekanntesten Könige sind Saul (erste Dynastie, um 1000 v. Chr.), der legendären König David (zweite Dynastie, (1000-962 v. Chr.) und der König Salomon (962- 922 v. Chr.). Sie regierten das vereinigte Reich Israel (1010 bis 926 v. Chr., gemäß biblischer Aussage).
Es gibt keine, eindeutigen, archäologischen Zeugnisse für diese Zeit der Könige – was, bei der biblischen Ausdehnung von Juda und Israel und seinen als bedeutend anzunehmenden Einfluss auf die Handelsroute an der Mittelmeerküste entlang, verwunderlich sein sollte. Dies führt zu Unstimmigkeiten in der historischen Belegung und in den Datierungen. Hier wird die nach William F. Albright verwendet. Wer in die mystische Denkweise des Judentums eintauchen möchte, darf sich nicht an die mangelnde, historische Authentizität der „biblischen“ Geschichte reiben. Diese historischen Angaben der Bibel sind im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte der Texte zu sehen. Die Schriftform der Überlieferungen ist anerkanntermaßen in mehreren Schichten entstanden. Die Autorenschaften und die Entstehungszeiten sind teilweise umstritten. Manche glauben, dass die Heilige Schrift im „Nachhinein“ im babylonischen Exil unter dem Eindruck der Verbannung und des Erhalts der jüdischen Identität entstand - was verständlicherweise nicht ohne Einfluss auf die Interpretation der Überlieferungen blieb. All dies ist sekundär bei dem Erfassen des jüdischen Denkens. Die Israeliten waren ein kleines Volk und waren eingekeilt zwischen aggressiven, antiken Großreichen. Es war in einen identitätsgenerierenden Abwehrkampf verstrickt. Es wurde versklavt, unterworfen, vertrieben - und seine Dörfer, Städte und die Stätten religiöser Identität wurden geschliffen. Seine Identität ist an seinem „Judentum“, an seinen Heiligen Schriften geknüpft - und an die Zeit der „starken“ Könige, in der die Israeliten ein stabiles, starkes Reich besaßen.
Der erste König des vereinigten Israels war Saul, der vom Propheten Samuel im Auftrag Gottes als Fürst gesalbt wurde (1. Samuel Kap. 10, Vers 1, [26]). Während im südlichen Reich (Juda) eine Erbmonarchie herrschte, wurde im nördlichen Reich (Israel) der König gewählt. Im vereinigten Königreich Israel musste der König von Juda erst per Wahl in Israel bestätigt werden. Das ging naturgemäß nicht lange gut, da der Norden beispielsweise dichter bevölkert war, mehr Städte besaß und wohlhabender war. Das vereinigte Israel bestand nicht lange. Es zerfiel bald wieder in die Königreiche Juda und Israel. Die oft kriegerische Landnahme und das Verhältnis zwischen dem Nord- und Südreich wird auf legendenhafte Weise in den Büchern der Propheten dargestellt. Nur eine barmherzige göttliche Wesenheit scheint in der Lage zu sein nicht an den menschlichen Schwächen seiner auserwählten Glaubensgemeinschaft zu verzweifeln. Selbst gesalbte Könige, wie zum Beispiel König David, verstoßen gegen die „Zehn Gebote“ Gottes, - auf dem Berg Sinai an Moses übergeben. Sie begehren nach dem „Weib“ des Anderen, schicken ihn in den Tod eines Kriegers „für Gott, Vaterland und König“ und bemächtigen sich dann seiner Frau. Gott straft, verzeiht, ist im ständigen Dialog über Propheten und erzieht sein auserwähltes Volk. Diese Periode der Landnahme und der Könige endet mit der Unterwerfung der Israeliten durch das Babylonische Reich. Das jüdische Volk, insbesondere seine Eliten, wurden nach der Eroberung Jerusalems (597 v. Chr.) in drei Wellen zu insgesamt 4600 Seelen (Jeremia Kap 52, Vers 30, [26]) ins babylonische Exil verschleppt, - was, der damals gängigen Praxis bei Annektierungen entsprach. Dieses Exil (Beginn der jüdischen Diaspora) dauerte ca. 56 Jahre und wurde durch den persischen König Kyros II., der als in religiösen Fragen tolerant galt, durch die Eroberung Babylons beendet.
In den Büchern der „hinteren Propheten“ überschneiden sich die Schilderungen mit den Darstellungen der „vorderen Propheten“. Die „hinteren Propheten“ enden mit Maleachi, der einen, am gesellschaftlichen Zustand der jüdischen Glaubensgemeinschaft, scheinbar resignierenden Gott (Maleachi Kap. 1, Vers 1, [26]) offenbart. Gott beklagt, dass ER durch die Priesterschaft Nichtachtung (Maleachi Kap. 1, Vers 6, [26]) erfährt. ER weist ihre unreinen Opfer, die oft Wertloses enthielten, zurück und drückt sein grundsätzliches Missfallen aus (Maleachi Kap. 1, Vers 10, [26]). ER prophezeit ihnen, dass weltweit, unter den „Nicht-Juden“, die Anzahl der Gläubigen mehr und mehr wachsen wird (Maleachi Kap. 1, Vers 11, [26]). Aus heutiger Sicht könnte der naive Betrachter vermuten, dass Gott hier das Entstehen von Weltreligionen aus dem Judentum signalisiert. Mit den Priestern geht er hart ins Gericht und wirft Ihnen vor, den Bund Levis, den er mit der Nachkommenschaft des Stammesvaters Levi geschlossen hatte, gebrochen zu haben (Maleachi Kap. 2, Vers 8, [26]). (Bei der Landnahme in Kanaan erhielten die Leviten, die Nachkommen Levis, kein eigenes Stammesgebiet, sie sollten als Priesterschaft die Lehre rein halten.) ER wirft den Israeliten vor, sein Gebot der Abgrenzung zu den Nichtgläubigen nicht befolgt zu haben und Mischehen im Glauben zuzulassen (Buch Esra Kap. 9, Vers 1, 2, [26]). ER droht und klagt an, ist des ewigen Jammerns im Dialog mit dem Menschen müde (Maleachi Kap. 2, Vers 13, [26]). ER verurteilt die Schuldzuweisungen an IHN, den Gott, wo sie doch selbst Ursache ihres Leidens sind, und lehnt vom Menschen erwartete göttliche Strafgerichte ab (Maleachi Kap. 2, Vers 17, [26]). In Konsequenz seiner Unzufriedenheit kündigt er, nachdem er den Propheten Elia gesendet hat, den richtenden Messias an, dem Ankläger der unterdrückten Schwachen und der gesetzestreuen Gläubigen (Maleachi Kap. 3, Vers 1, [26]).
Der jüdische Glauben stützt sich auf das Schrifttum der Bibel. Darum ist das Judentum nur über die Kenntnis der Bibel zu begreifen. Insbesondere und zu aller erst ist die Tora, mit den Offenbarungen an Moses, die Grundlage dieser Buchreligion. Im 1. Jahrhundert n. Chr. einigten sich Toragelehrte, die als Rabbi (Meister) bezeichnet wurden und in der Vergangenheit als Richter fungierten, in zwei Zusammenkünften auf eine einheitliche Auslegung der Tora. Heute sind zur Toragelehrsamkeit vielfältige Aufgaben in der jüdischen Gemeinde hinzugekommen. Sie sammelten die bis dahin mündlichen Sinndeutungen, die die Anwendungen der Lehren und Gesetze der Tora auf aktuelle Lebensumstände regelten, und einigten sich auf Richtlinien der Interpretation. Alle Schriften dazu wurden dann im 2. Jahrhundert n. Chr. im Talmud, der bedeutsamsten schriftlichen Abhandlung des Judentums über die Tora, zusammengefasst. Es gibt ihn in zwei Fassungen, der Jerusalemer (5. Jh. n. Chr.) und der wichtigeren babylonischen (6./ 7. Jh. n. Chr.) Ausgabe. Der Talmud besteht aus einer Basisschrift, die Mischna genannt wird und die mündlichen Offenbarungen Gottes an Moses auf dem Berg Sinai beinhaltet, sowie die Gemara, die Untersuchungen und Bemerkungen zur Mischna enthält. Da sich die jüdischen Schriftgelehrten im Talmud bemühten die Tora und damit die Bibel auszulegen und die Anwendungen der Botschaften Gottes auf das tägliche Leben der Juden zu diskutieren, wurde der Talmud außerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft öfters verunglimpft. Die christlichen Kirchen duldeten keine Gelehrtendiskussion über Auslegungen zur Bibel jenseits ihres Kompetenzanspruchs. Insbesondere wurde die Darstellung der Abhandlungen im Talmud in der Form von Diskussionen zu These und Antithese dazu missbraucht, missliebige Thesen aus dem Zusammenhang zu reißen und als Aussage des Talmuds verfälschend darzustellen. Das führte zu provozierten Missverständnissen und manipulierten Verurteilungen des Talmuds bis hin zu öffentlichen Verbrennungen der Schriften sowie Verfolgung und Repressionen des Judentums.
Das ständige Bemühen die Aussagen der Bibel auszulegen und zu interpretieren, führte zu einem besonderen Schriftgelehrtentum in jüdischen Gemeinden. Die Bildung und das Studium der Schriften zur Tora prägte die jüdische Kultur, was nicht ohne Folgen für den Gesamtbildungsstand im Judentum blieb. Die Israeliten lebten von Beginn an zwischen aggressiven Großreichen, waren eine Minderheit, deren Städte, Kulturstätten und Tempel immer wieder der Zerstörung anheimfielen. Sie wurden verschleppt und vertrieben, gingen als Volk ins babylonische Exil, wurden zerstreut und überlebten, - denn sie hatten die Tora und ihre Schriftgelehrten (Rabbiner). Wie Dr. Michael Blume in seinem Buch „Religionen der Menschheit“ (E-Book Weltreligionen) treffend formulierte: „Sie wurden zum Gottesvolk des Buches“. Das Wissen der Bibel und ihr Talmud erhielten ihre Identität, widerstanden der Assimilation in zahlreiche Völker ihres jeweiligen Aufenthalts.
Die Bibel nicht nur als theologische Niederschrift sonder auch als Geschichtsbuch des jüdischen Volkes zu lesen, ist teilweise umstritten. Heutzutage gibt es strenggläubiges, ultraorthodoxes und orthodoxes Judentum, aber desgleichen konservative und liberale religiöse Strömungen sowie Juden, die sich eher nur dem kulturellen Erbe verbunden fühlen. Die „Reformjuden“ bemühen sich um eine, die heutigen Erkenntnisse und die modernen Lebenssituationen berücksichtigende Auffassung vom Judentum. Dazu soll hier nicht näher eingegangen werden. Unser Anliegen war es, die jüdische Religion trotz knapper Darstellung nachfühlbar und leicht verständlich darzustellen. Ich beschränkte mich deshalb nur auf einige, zentrale Schilderungen der Bibel, die den Inhalt des Judentums repräsentieren. Besondere Feste, heilige Stätten, Riten und Symbole sind in guten populären Abhandlungen dargestellt (siehe zum Beispiel in der Reihe „WISSEN leicht gemacht“, die Sonderausgabe „Weltreligionen“ von Dr. Christa Kordt [32].)
Es bleibt noch einmal festzuhalten, dass die Bibel nicht als vorwissenschaftliches Buch zur Welterklärung und der Geschichte des jüdischen Volkes aufgefasst werden kann. Es ist ein Buch, das die Gotteserfahrung der Israeliten über einen gewaltigen Zeitraum darstellt. In den legendenhaften, halb - mythischen Berichten der Bibel wird der Lebensweg eines Volkes beschrieben, dessen Entwicklung im Dialog mit der einzig allmächtigen göttlichen Wesenheit erfolgte. Es spiegelt im Wesentlichen für Juden, Christen und Moslems, die „Gotteserfahrung“ aber auch die Evolutionsfähigkeit des Menschen und der Menschengemeinschaft wieder. Die mythisch legendenhafte Erzählweise entspricht der Sprache und dem Denken der damaligen Zeitepochen, die ihre Gotteserfahrung eben in ihrer Denk- und Erfahrungswelt beschrieben. Dies taten sie mit einer unglaublichen gedanklichen Tiefe, sodass es im wahren Sinn des Wortes ein weltbewegendes Schriftgut wurde.
Nicht nur im jüdischen Glauben, sondern überhaupt für die Gläubigen der abrahamitischen Religionen, sollte es ziemlich unerheblich sein, auf welche Art und Weise die Botschaften Gottes zu den Menschen kamen, zu Überlieferungen wurden und in die Schriftform gelangten. Es bleiben Botschaften, die aus der für uns fassbaren, ethischen Essenz der im Judentum angenommenen, einzig göttlichen Wesenheit zu uns gelangen. Die, entkleidet vom mythischen Gedankengut des Altertums und der antiken Zeit, bis heute eine tiefe Bedeutung für uns besitzen. Sie weisen letztendlich auf ein Weltethos hin, das für alle Menschen, unabhängig von ihrer Weltanschauung oder Religion, gilt. „Ethik ist wichtiger als Religion“, sagte der Dalai Lama [21].