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2.4 Der Glaube an die eine, kosmische Gotteswirklichkeit

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Die hier, im Abschn. 2.3, beschriebenen, religiösen Axiome fassen Erfahrungen von tausenden Jahren menschlicher Kultur zusammen.

Es drängen sich die Fragen auf: Warum glaubte die Mehrzahl der Menschen zu allen Zeiten und bis in die Gegenwart an eine Gotteswirklichkeit? Es auf unzureichende Bildung zurückzuführen ist mehr als einfältig und ziemlich ignorant. Bis heute entwickelten hervorragende Gelehrte einen Bezug zu religiösen Positionen. Es entspringt die Frage, warum wir uns überhaupt mit religiösen Vorstellungen bzw. mit der Mystik beschäftigen sollten? Liefert uns heutzutage das naturwissenschaftliche Denken nicht auf atemberaubende Weise umfassende, vernünftige Erkenntnisse über unsere Welt – wie der technische Fortschritt es uns auf Schritt und Tritt zeigt?

Es ist erstaunlich, dass im eher materialistischen, naturwissenschaftlich geprägten, sogenannten „westlichen“ Kulturkreis viele Menschen die fernöstliche Mystik fasziniert. Zugegebenermaßen ist es in manchen Kreisen modern und hip, den Weisheiten des Hinduismus, des Buddhismus oder des chinesischen Denkens zu folgen - bzw. nur in ihren Kategorien zu reden. Nicht wenige Menschen in Europa und Nordamerika finden insbesondere den Buddhismus faszinierend. Diese Faszination wird zum Teil sicher aus den psychotherapeutischen Wirkungen seiner Weisheitslehren hervorgehen.

Im Rahmen der sozio-kulturellen Globalisierung geraten die fernöstlichen Kulturen und damit ihre Denkweisen mehr und mehr in unseren Blickwinkel. Nicht zuletzt fordern uns wirtschaftliche Interessen und die Abhängigkeiten dazu auf. Ob es uns gefällt oder nicht, eine Neuaufteilung der kulturellen Weltmärkte, ist in vollem Gange. Ein friedliches Miteinander in diesem Ringen ist nur möglich, wenn die Kulturzonen sich annähern, sich wechselseitig befruchten und insbesondere ihre Gemeinsamkeiten und Überschneidungen suchen - ohne ihre kulturelle Selbstständigkeit zu verlieren. Das gilt vor allem für die mystisch-religiösen Vorstellungen der Religionen des jeweils Anderen. Denn diese bestimmen zumindest unterschwellig das Weltbild und die Triebkräfte des Handelns der menschlichen Gemeinschaften. Die verschiedenartigen, mystisch-religiösen Weltsichten, verankert im kulturellen Gedächtnis der Völker unserer Welt, sind zwingend friedvoll auszubalancieren, denn ein Weltfrieden ist ohne Religionsfrieden nicht zu haben. Darum ist es unabdingbar, nicht nur der, im eigenen Kulturkreis verbreiteten Weltreligion Aufmerksamkeit zu schenken. Das führt, beispielsweise für die unter dem Einfluss der abrahamitischen Weltreligionen lebenden Menschen, unweigerlich zu einer Beschäftigung mit der fernöstlichen Mystik. Es zwingt notwendigerweise zu vergleichenden Betrachtungen zwischen den kulturell näher zusammen liegenden Judentum, Christentum, Islam und der Mystik des Hinduismus, des Buddhismus, des Zen-Buddhismus sowie der chinesischen Mystik des Taoismus und Konfuzianismus. Für die zur Zeit global dominierende, sogenannte „westliche“ Denkweise, mit ihrem auf ein mehr rational-materialistisches Denken fokussierten Fortschrittsglauben, ist das schmerzhaft und nutzbringend zugleich.

Die fernöstliche Mystik stellt mit unter nützliche Denkansätze zur Verfügung, aus der faszinierende Sichtweisen für die Wissenschaft entstehen könnten.

Physiker sind oft genug gezwungen, ihre Modelle für Naturphänomene über die Gültigkeitsgrenzen ihrer Theorien hinaus zu nutzen. Diese Grenzen erweisen sich irgendwann entweder als zu eng oder zu weit gesetzt. Es stellt sich dann heraus, dass sie zwar prinzipiell nicht beobachtbar und überprüfbar sind, aber trotzdem der Realität faszinierend nahe kommen. Die Forscher hatten intuitiv, aus einer eher mystischen Sichtweise heraus, die relativ „richtigen“ Annahmen gemacht. Zum Beispiel können sich einige Physiker nicht damit abfinden, dass unser Universum mit einem „Urknall“ aus dem „Nichts“ entstanden sein soll. Sie forschen nach einem „Davor“. Sie fragen, ob ein Zeitfluss voraussetzendes „Vorher“ und „Nachher“ hier überhaupt sinnvoll ist. Sie sind damit, bewusst oder unbewusst, zu den Weisheitslehren der hinduistischen Philosophie gelangt. Krishna, einer der drei Wirkmanifestationen der Weltseele „Brahman“, offenbarte beispielsweise vor ca. 4000 Jahren, gemäß der Überlieferung: „Es gibt kein Werden aus dem Nichts, noch wird zu Nichts das Seiende!“ (Bhagavad Gita, [16]. Zweiter Gesang, unter „Der Erhabene sprach“). Und er teilte überdies gleich mit, dass es kein „Davor“ oder „Danach“ gibt. Er sagt: „Ich bin der Ursprung dieses Alls, aus mir geht dieses All hervor, - “ (Bhagavad Gita, „Zehnter Gesang“, „Der Erhabene sprach“ [16]) und er spricht nicht von einem einmaligen Schöpfungsakt, sondern von einem immer andauernden Vorgang, denn er redet nicht darüber, was war, sondern davon was ist - zu jedem Zeitpunkt ist.

Was dennoch die Wissenschaft von mystischen Spekulationen trennt, ist ihre Arbeitsweise. Die Modelle für Naturphänomene werden durch immer bessere Beobachtungen bewusst kontrolliert und korrigiert. Sie erfahren eine fortlaufende Annäherung an die sogenannte letzte Realität des Seins, - obgleich diese nie erreichbar sein wird.

Beispielsweise unterstellen die gängigen Vorstellungen über die uns umgebende und erfüllende Raum-Zeit ein lückenloses Kontinuum, trotzdem dies gegenwärtig experimentell nicht nachprüfbar ist, - da es eine untere „Schranke der Messbarkeit“, die sogenannte Planck-Länge gibt. (Es handelt sich hier um die unvorstellbar winzige Länge von rund 1,616 x 10-33 cm, eine Zahl mit 32 Nullen hinter dem Komma, bevor 1616 zu finden ist.) Diese Längenskala ist so klein, dass sie, ohne Bedeutung zu sein scheint. Aber man bedenke, dass die gängige, Naturmodelle beschreibende Mathematik den lückenlosen, kontinuierlichen Raum voraussetzt. Was passiert, wenn der Raum aber löcherig ist, so von der Art eines Schweizer Käse in dem die Löcher nicht existenter Raum sind. Diese Vorstellung ist gar nicht so abwegig. Sie wird beispielsweise, konsequent gedacht, in der sogenannten Gittereichtheorie (Pionierarbeit, [22] ) für die Felder der „Elementarteilchen“ quasi benutzt?

Eine Schranke der Erkenntnis existiert außerdem nach oben, in Richtung der großräumigen Raumstrukturen. Es gibt beispielsweise mathematische Darstellungen unseres Universums, die durch Beobachtungen mit einer fantastischen Genauigkeit geprüft sind – sodass diesen Modelluniversen eine ernst zu nehmende Widerspieglung der Natur der Welt im Großen zukommt. Wir sind in der Lage, die ungeheure Vielfalt der Erscheinungen unseres Universums in einem Raumgebiet von ca. 13 000 000 000 Lichtjahren, in unserem Bewusstsein abzubilden. Das bedeutet, dass ein räumliches Gebiet, das das Licht mit 300 000 km/Sekunde in 13 Milliarden Jahren (derzeitiges „Weltalter“) durcheilt, betrachtet wird. Zugleich werden diese Weltmodelle über eine Beobachtungsschranke („Ereignishorizont“) ausgedehnt, - in einen Raumbereich hinein, den wir prinzipiell nicht beobachten können. Informationen aus diesen Raumbereichen sind, aufgrund der „niedrigen“ Geschwindigkeit des Lichts (ca. 300 000 km/Sekunde), für uns jetzt nicht beobachtbar. Es braucht zu lange für die Entfernung, kommt zu spät oder, je nach unseren konstruierten Weltmodellen, nie bei uns an.

Kein Wunder, dass vermutete oder tatsächliche Erkenntnisschranken verführen, über eine absolute, nicht erkennbare Realität beziehungsweise letzte „göttliche“ Wahrheiten zu „philosophieren“. Vielleicht suggeriert eine fernöstliche Denkweise Wege, die Quantenwelt, also den „Mikrokosmos“, und die Welt der Universen, also den „Makrokosmos“, besser zu verstehen? Nicht wenige, bedeutsame Physiker glaubten an die Existenz einer grenzenlosen Vernunft hinter und in der Welt. Einstein (Nobelpreis 1921), einer der größten Physiker, der eine grundlegende Theorie von Raum und Zeit entwickelte, meinte: „Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlose Vernunft…“ und „Jedem tiefen Naturforscher muss eine Art religiösen Gefühls nahe liegen“. Heisenberg, der Schöpfer der Quantenmechanik (Nobelpreis 1932) sagte: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch … aber auf dem Boden des Bechers wartet Gott“. Das bedeutet nicht, dass diese außergewöhnlichen Denker in einer engen Religiosität gebunden waren. Eine enge Religiosität klammert sich an wortwörtlich genommene Texte in den heiligen Schriften sowie an der Sprech-, Denk- und Vorstellungswelt der Zeit, aus denen die mündlichen, oft weitaus später textlich verfassten Überlieferungen, stammen. Diese enge Religiosität nimmt wenig Rücksicht auf die Erkenntnisse der Wissenschaften. Das ist zu respektieren, denn die Form der Religiosität ist eine persönliche Sache. Sie hängt vom Gemütszustand, der ureigenen Erfahrung, dem Bildungsstand und vieles mehr ab. In diesem Umfeld wachsen Vorstellungen, die aus einer wortwörtlichen Auslegung der heiligen Schriften folgend, gegenwärtig für viele Menschen legendenhafte Züge besitzen. Es wird einfach nicht akzeptiert, dass diese heiligen Texte in der Sprache und der Vorstellungswelt einer teilweise vor-antiken Zeit geschrieben wurden. Die heiligen Schriften der abrahamitischen und der fernöstlichen Mystik sind die textliche Wiedergabe von mündlichen Überlieferungen, die in der Regel aus dem Altertum der Menschheit, aus der tiefsten Vergangenheit der Menschheitsgeschichte, herrührenstammen. (Die mündlich überlieferten Offenbarungen und Lehren stammen beim Judentum, Hinduismus ebenso wie im chinesischen Denken aus einer Zeit, die mehr als 4000 Jahre zurückliegt.) Deswegen ist, auf der Grundlage heutigen Wissens, eine gewisse Interpretationsfreiheit beim Lesen der „Heiligen Schriften“ in jeden Fall zwingend.

Hierbei ist erhebliche Vorsicht angesagt.

In den Weltreligionen wird, im I. religiösen Axiom, die Existenz einer emergenten, jede Zustandsalternative alles Seienden darstellenden, geistigen Wesenheit angenommen, - die als göttlich verehrt wird, die einzig, allerfassend, nicht personalisierbar, allmächtig ist. Sie wird dagegen weder in Form einer mächtige, dirigierende Individualmacht, noch als eine designende Superintelligenz verstanden. In den mystisch-religiösen Denkweisen wird die göttliche Wesenheit in letzter Konsequenz in der Funktion einer geistigen Gesamtheit des Seins gesehen. Der „Schöpfergott“ manifestiert sich in seinem Werk. In der fernöstlichen Mystik, speziell im Hinduismus, denkt man einen konsequenten Schritt weiter - sieht die ewige Schöpfung, den ständigen Wandel, aller Daseinsformen in der Gesamtheit des Seins und erkennt ein fluktuierendes Sein: Gott wird zur Welt, die Welt wird zu Gott. Es wird auf die heilige Selbstopferung Gottes verwiesen. Sie stellt das Hauptthema der indischen Mythologie dar.

Die ungeheure Vielzahl der Erscheinungen in unserer Welt finden sich in der fernöstlichen Mystik als Metapher in Tausenden von Göttern wieder, die alle Wirkmanifestationen der göttlichen Wesenheit sind. Da diese in der göttlichen Wesenheit vereint sind, repräsentieren sie eine harmonische Balance aller Wirkungen im Sein. Ein Gottesbegriff, mit dem sich Einstein anfreundete. Er schrieb: „Ich glaube an Spinozas Gott [15], der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit dem Schicksal und den Handlungen der Menschen abgibt.“ [23].

Währenddessen gibt es eine erhebliche Zahl von Menschen, die, nicht Erkenntnisschranken der Naturwissenschaften beachtend, an eine, die Welt mit beliebiger Genauigkeit beschreibende Wissenschaft glauben und dazu auf ihren „gesunden Menschenverstand“ setzen. Aber bei einer konsequenten Auseinandersetzung mit ihrem rational-materialistischen „Glauben“ werden sie erkennen müssen, dass Naturwissenschaften die „Welt“ nur in wachsender Annäherung beschreiben, aber nicht unbedingt auch verstehen.

Beispielsweise formuliert die Physik ihre Modelle für die Natur mithilfe „mathematischer Texte“ zwar zunehmend vollkommener, - eine erschöpfende Erklärung, die nach dem Sinn der Naturerscheinungen und der Sinnhaftigkeit der überwiegend mathematisch geschriebenen „Naturbeschreibungstexte“ fragt, kann sie nicht liefern. Das liegt nicht in ihrer Methodik, in ihrer Vorgehensweise - und ihrem Anspruch. Die Grammatik der physikalischen Naturbeschreibungstexte liefert die Mathematik. Galilei sagte: „Das Buch der Natur ist in mathematischer Sprache geschrieben, deren Buchstaben… geometrische Figuren (Formen) sind.“ Aber der Sinn eines formulierten Naturgesetzes erschließt sich erst im individuellen Bewusstsein des Beobachters, in den dort entstehenden Abbildern der Welt, - genauso wie das „gefühlte“ Wort in unserem Kopf entsteht und nicht im Gedruckten steckt.

Mittels der „Poesie“ dieser mathematischen „Texte“ über die Naturerscheinungen kann ein individueller Geist die Sinnhaftigkeit der dargestellten Erscheinungen erahnen oder sogar verstehen. Eine formale Analyse der Mathematik der Naturbeschreibungstexte, das heißt, seiner Grammatik-, Wort- und Satzanalyse, liefert ihm dies nicht. Die „Poesie“ im Buch der Natur erschließt sich einem, wenn über den Sinn der Naturgesetze nachgedacht wird. Beispielsweise, warum entstand unser Universum, so wie es ist? Denn es ist, in Bezug auf seine Geburtseigenschaften, ein höchst unwahrscheinliches Universum, das im Grunde nicht existieren sollte. Denn die wenigen, unveränderlichen Naturkonstanten unserer Welt, wie beispielsweise die Geschwindigkeit des Lichts oder die kleinst-mögliche Wirkungsgröße, müssen exorbitant präzise den gemessenen Werten entsprechen, um die Existenz unseres Universums zu gewährleisten. Allerkleinste Abweichungen würden es für uns unbewohnbar machen. Einige Gelehrte meinen, dass es viele Universen gäbe, die entstehen und vergehen. Manche sind sehr wahrscheinlich, andere weniger. Unser Universum ist, da wir in ihm existieren, zwar eine unwahrscheinliche, aber realisierte Möglichkeit - sagt das sogenannte „Anthropische Prinzip“. Irgendwann passiert eben auch das Unwahrscheinliche. Zum Beispiel, selbst ein Würfel mit ungeheuer viel Flächen kommt nach irgendeinem Wurf sogar auf die Klitzekleinste zu liegen. Bloß, in Bezug auf die Entstehung wahrscheinlicher Universen, wer würfelt in welcher Art von „Zeit“. Jeder „Wurf“ ist ein realisierbares Universum im Ensemble der Möglichen. Gibt es ein „Oberkosmos“, ein „Multiversum“, mit einem eigenen Zeitfluss bzw. ohne eine uns geläufige Zeit, in dem, da Etwas würfelt, in dem die realisierten Möglichkeiten eingebettet sind? Dieses Etwas ist jedenfalls kein allmächtiger Gott, da er den Gesetzen des Würfelns im „Multiversum“ unterworfen wäre.

Ein anderes Beispiel: Warum existieren Materie und Geist beziehungsweise Energie und Information, als nicht vergleichbare, sich gegenseitig ausschließende aber zusammengehörende Formen der Objekte im Sein? Oder: Ist für die Objekte im Sein, für das Seiende, diese Dualität von Information und Materie vielleicht nur eine Illusion, weil wir mit unseren Denkfähigkeiten immer zu jeder Information einen materiellen Träger hinzudenken müssen?

Oder gibt es eine Sinnhaftigkeit des „Lebens“? Hat das Leben einen unbedingten Zweck? Was treibt die Objekte im Sein zu immer komplexeren Strukturen, die schließlich ein ICH-Bewusstsein entwickeln? Und um es auf die Spitze zu treiben: Ist alles Seiende, insbesondere die Daseinsformen des Lebendigen, in unserem beobachteten und gedachten Universum, ein „Gedankengebäude“ bzw. eine geistige Struktur in einem kosmisch organisierten Netzwerk von Informationen, das von unserem „Verstand“, nur in einen universellen materiellen Träger eingeprägt, gedacht werden kann? Sind ICH-Bewusstsein tragende Daseinsformen Subsysteme im kosmischen Informationsnetzwerk? Können sie darum ausschließlich ihre, vom Seinrest „isolierte“ Umgebung in ihrem Verstand abbilden – und erkennen somit nie eine Wissensgesamtheit des Seins?

Das sind alles außerordentlich spekulative Fragen – zugegeben. Sie reflektieren das Hinterfragen der Sinnhaftigkeit der Objekte unserer Welt – und nicht nur Gelehrte der Wissenschaftsgemeinde suchten Antworten darauf.

Gedanken und Fragen dieser Art entstehen bei Vielen. Da jeder Mensch sich ein Bild von der Natur der Welt macht und seine Rolle in ihr sucht, versucht er auch - mehr oder weniger - einen Sinn bzw. die „Poesie“ in den oft unverstandenen bzw. missverstandenen „Texten der Natur“ zu finden. Er bildet sich sein absolut persönliches Weltbild, mit seiner eigenen „Poesie“. Es kann mystisch-religiös geprägt sein oder rational-materialistisch oder beides, - je nach Wissensstand, Neigung und prinzipieller Gesinnung.

Eine oft gemachte Erfahrung ist, dass Viele, welche wähnen Atheisten zu sein, meinen: „Ich glaube an keine göttliche Wesenheit und lehne Mystik ab“. Nicht selten denken jene dann ein zweifelndes „Aber“. Sie sind sich im Grunde ihres „Herzens“ ein wenig unsicher. Sie erklären, dass sie nicht an Gott oder mystisch-religiöse Vorstellungen glauben, lassen aber dann doch ein: „Irgendetwas - gibt es da noch“ hören. So in dem Sinne: Ich bin nicht abergläubisch, denn das bringt Unglück. Vielleicht aber ist jene inkonsequente Reaktion doch recht verständlich und eine Art spiritueller Instinkt, der manch einen dieser eigentlich verschämten Atheisten prägt?

Viele Menschen, die mystische Vorstellungen ablehnen, formulieren oft recht schlichte. Fragen. Zum Beispiel wollen sie wissen: „Wenn ER denn existiert, so müsste ER doch dieses bzw. jenes machen?“, oder „Wie kann ein guter Gott Böses zulassen?“, usw.. Alle diese Fragen erwarten personales Handeln, nach menschlichen Moralnormativen, von einer nicht personalisierbaren, allmächtigen, das Sein erfassenden, geistigen Wesenheit „Gott“. Findet das erwartete, individuelle Handeln nicht statt, so wird geschlussfolgert, dass dieser intuitiv personifizierte Gott nicht existiert. IHN gibt es somit nicht, da ER keine personalen Verhaltensweisen zeigt, die unseren moralischen Normativen entsprechen. Die Menschen erwarten eine, mit menschlichen Maßstäben bewertbare Einflussnahme, eine Mensch-Gottheit – so von der Art einer ethischen Superintelligenz. Und da zu ihrer Existenz nichts Belastbares bekannt ist, sie nicht zu existieren scheint, ist der Zweifel nachvollziehbar! Nur ein personifizierbares, äußerst mächtiges Superwesen, als gotthaft verehrt, das nach menschlichen Moralnormativen handelt, wäre eben nicht die allmächtige, göttliche Wesenheit der Weltreligionen. Denn SIE müsste sich ja an Normen (noch dazu Menschengerechte) halten. Er verkörpert das nicht an „äußere“ Gesetze gebundene Sein; es gibt gemäß dem I. religiösen Axiom des mystisch-religiösen Denkens keine von uns gesetzten Normen für die allmächtige, göttliche Wesenheit. SIE ist nicht auf ein menschliches Verständnis reduzierbar. Aspekte seiner ethischen Essenz findet sich, wie im II. religiösen Axiom des mystisch-religiösen Denkens angenommen, bruchstückhaft im geistigen Selbst „Seele“ wieder. Wo wir Menschen diese Ethik verlassen, verdrängen wir die göttliche Wesenheit aus unserer Seele – und sind alleine Ursache aller ethisch verwerflichen Handlungen.

Ein bisschen naiv gedacht, meinen wiederum einige, dem mystischen Denken ablehnend oder skeptisch Gegenüberstehende: „Die Menschen flogen bis zum Mond, unsere Raumsonden sind bis an die Grenzen unseres Sonnensystems unterwegs, aber nirgends wurde Gott gefunden!“ Keine der Weltreligionen behauptet, dass da im Universum ein „Himmelsystem“ mit einem personifizierten Gott auf einen „Thron“ existiert. Die Naturwissenschaft konnte „Gott“ bisher nirgendwo entdecken und damit keinen wissenschaftlichen Beleg für IHN erbringen, da sie gar nicht nach ihm sucht, denn sie braucht IHN nicht. Naturwissenschaftler bekommen eine Ahnung von der Religiosität und der Mystik, dort, wo ihr Verständnis von der Natur grundsätzliche Grenzen findet. Hier könnte mystisches Denken möglicherweise einen Denkansatz für ein tieferes Verständnis dieser Grenzen suggerieren. Da die Naturwissenschaft zwar auf Wahrheitssuche ist, aber mit ihren Methoden nicht die einzig allmächtige, emergente, jede Zustandsalternative alles Seienden darstellende, geistigen Wesenheit bestimmen kann, sind von ihr nicht Gottesbeweise zu erwarten. Mystisch-religiöse Glaubenssätze können nur im System der Mystik selbst, unter Beachtung ihrer religiösen Axiome, begründet werden. Eben so wie die Naturgesetze nur auf dem Fundament ihrer Axiomatik und Beobachtungen, im System der Naturwissenschaften selbst, begründbar sind. Die Existenz der einzig allmächtigen, göttliche Wesenheit ist im System der Mystik nicht falsifizierbar bzw. widerlegbar. Ihre Existenz ist nicht beweisbar aber als wahr geglaubt.

Die Naturwissenschaft duldet keine Inquisition mit einem Wahrheitsmonopol.

Ohne Zweifel lehnt der eine oder andere Wissenschaftler die mystisch-religiösen Denkansätze ab. Das gibt einen Sinn, wo gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse verneint, manipuliert oder, aus purem Unverständnis, falsch interpretiert werden. Dies macht aber keinen Sinn dort, wo auf der Grundlage „axiomatisch“ fixierter Fundamentalannahmen ein System von Lehren und Erfahrungen aufgebaut wird, das mystisch-religiösen Denkweisen folgt, - indem die Naturwissenschaft wiederum nichts zu suchen hat. Hier werden Naturwissenschaftler zu Inquisitoren, getreu dem unsäglichen Vorbild der christlichen Inquisition in dunkler Vergangenheit. Als Ehrenrettung dieser eifrigen Wächter im naturwissenschaftlichen Denken muss allerdings bemerkt werden, dass sie weder Glaubenskriege, physische Qual oder Vernichtung fordern - berufliche Strapazen und Zerstörungen können aber manchmal nicht ausgeschlossen werden.

Es gibt ebenso die außerordentlich Sicheren, die strengen Wächter, die fest im mystisch-religiösen Glauben oder Unglauben verharren. Mit denen ist, schwer reden. Ihnen sei gesagt: „Nur wer zweifeln kann, kann sich bewegen, kann dazu lernen und lässt seinem gesunden Menschenverstand den nötigen Freiraum.“

Wenn wir unsere Welt erkennen wollen - und das sollten wir schon deshalb, weil Erkenntnis zur Befreiung von erduldeter Natur führt – müssen wir immer wieder Meinungen, insbesondere unsere eigene, infrage stellen. Wir sollten weiterführende Antworten suchen – sogar wenn sie in ungewohnte mystisch-religiöse Gefilde führen könnten.

Andererseits fragen religiöse Menschen nicht selten: „Warum lässt Gott denn so viel Egoismus, Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit zu?“ Verständlich, bei der leider häufig genug auftretenden mitleidslosen Eigensucht vieler. Nehmen wir nur die weitverbreitete Geldgier, die weit über eine normale Gewinnerwirtschaftung hinaus geht, die eine einkalkulierte finanzielle Beräuberung normalisieren möchte. Diese Menschen lieben Geld, nur Geld liebt nicht zurück. Diese Binsenweisheit führt hinein in „Erziehung“ und „Strafe“ durch asoziale Bindungsumgebung. Sie schleicht sich oft unbemerkt an, verdrängt aber ein ganzes Leben lang soziale Bindungen bis in den einsamen Prozess eines körperlichen Dahinsiechens hinein. Ist hier eine systemisch wirkende, emergente Schwarm-Wesenheit zu erfahren, die nicht als individueller Regulator personenbezogen „agiert“, sondern über das Schwinden ihrer „ethischen Präsens“?

Damit sind wir wieder bei einer schon öfter angesprochenen Frage der Mystik! Ist die göttliche Wesenheit, so wie sie allgemein von den Weltreligionen empfunden wird, denn als ein personalisierbarer Partner zu verstehen, mit dem eine mit individualisierbare, wechselseitige Kommunikation möglich ist? Reagiert sie mit einem ethischen Handeln, das vergleichbar mit unseren menschlichen Maßstäben ist?

Im mystischen Denken aller Weltreligionen besitzt die göttliche Wesenheit, wie in der fernöstlichen Mystik genauer als in den abrahamitischen Religionen dargestellt, erklärtermaßen einen pluralistischen Charakter. Sie ist für unser individuelles Bewusstsein eher als eine nicht erfassbare, absolute und höchste „Schwarmintelligenz“ mit einer göttlichen Ethik aufzufassen. SIE ist damit erst einmal als nicht personalisierbar zu sehen, da nichts außerhalb von ihr existiert und SIE als eine personelle Ganzheit beobachten und empfinden kann oder kommunikativ auf sie einwirken könnte. Sie offenbart sich aber nach „Innen“ in einer harmonischen Vielfalt von Eigenschaften des Seins, insbesondere des menschlichen Daseins. Somit agiert die nicht personalisierbare Wesenheit „Gott“, in Aspekten seiner ethischen Essenz, über die Splitter (im Hinduismus Atman) seiner Ethik in unserem geistigen Selbst „Seele“ - also personal.

Dieser allumfassende Gott der Mystik ist durch die Jahrtausende hindurch eine gemeinsame Erfahrung der Menschheit. Sie stellt eine nicht falsifizierbare Erkenntnis des Menschengeschlechts dar, - die durchaus und zumindest im Sinne des Kant‘ schen Erfolgskriterium [24] als „vernünftige“ angesehen werden könnte.

Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass der Mensch alles, was er beobachtet, erfährt und erkennt, mit bezeichnenden oder erklärenden Worten belegt. Jedem Begriff, jedweden Gedanken entspricht in seinem Selbst ein Abbildungseffekt der Wirklichkeit! So ist es nicht abwegig zu schlussfolgern, dass den Begrifflichkeiten „Gott, Seele, Auferstehung oder Wiedergeburt“ intuitive Erfahrungen in seiner ureigensten, individuellen Realität sind. Bezeichnenderweise kommen diese Worte in allen Kulturen vor. Sie scheinen eine grundsätzliche Einsicht der Menschheit zu beschreiben.

Da wir das Spannungsfeld zwischen den dominanten Weltreligionen beurteilen wollen, werden wir uns im zweiten Kapitel mit dem intuitiven Wissen über sie beschäftigen. Es scheint ja so, als wenn eine globale Mystik auf der Basis von gemeinsamen fundamentalen Annahmen in Betracht gezogen werden könnte. Eine Vereinheitlichung in einer von allen Gläubigen akzeptierten religiösen Vielfalt verführt zum notwendigen Religionsfrieden. Aber vorher soll der mühsame Weg geschildert werden, auf dem die Menschen den Glauben an die allumfassende, allmächtige Wesenheit „Gott“ fanden und die Fundamentalannahmen der Mystik sich herausbildeten. Hierbei wollen wir aber versuchen, im Sinne einer rationalen Gehhilfe, die Denkweisen der exakten Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, nicht aus den Augen zu verlieren.

Der religiöse Schwarm

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