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5.3 Grenzen der Qualitätssicherung in der Medizin

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Die Möglichkeit der Anwendung von Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen ist heute unumstritten. Immer wieder wird jedoch darauf hingewiesen, dass Qualitätsmanagement – wie jedes Werkzeug – seine Grenzen hat und die Erwartungen an die Wirksamkeit und den Nutzen realistisch sein sollten.

Als Gründe für Grenzen der Qualitätssicherung in der Medizin führt Arnold an:104

• Die Einmaligkeit des Patienten

• Die in der Natur des Gegenstandes liegenden Grenzen einer Standardisierung

• Die Grenzen einer Evaluation von Placebos und der Droge Arzt

Dabei weist er darauf hin, dass auch er die Möglichkeiten und den Nutzen von Qualitätssicherung in der Medizin erkennt, gleichwohl durch das Aufzeigen der Grenzen die Wirksamkeit untermauern will. Er begründet die von ihm angeführten Grenzen wie folgt:

1. Die Qualität ärztlicher Leistungen ist für Patienten häufig nicht beurteilbar. Selbst Ärzten einer Nachbardisziplin ist es oft nicht möglich, die Qualität eines Kollegen zu beurteilen. Aus diesem Grund ist der Patient darauf angewiesen, ärztliche Leistungen auf der Basis von Glaubensgütern in Anspruch zu nehmen. Seine Wahl bestimmt nicht selten der Glaube an die Kompetenz und sein Vertrauen in einen bestimmten Arzt.

2. Für den einzelnen Patienten wird sich der beabsichtigte Heilerfolg durch eine ärztliche Intervention nicht immer zuverlässig einstellen. Es kommt zu unvorhergesehenen Komplikationen oder zu Defektheilungen, ohne dass aufgrund der Komplexität der Krankheit, der Behandlungsmethode oder einfach des Systems Mensch die Vorhersage einer zuverlässigen Heilung im Einzelfall erfolgen kann. Anders als in den klassischen Naturwissenschaften können Gesetzmäßigkeiten nach dem Prinzip »wenn A dann B« häufig nicht angewendet werden. Lediglich mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit gilt dieser Zusammenhang. Für den einzelnen Patienten können also Ergebnisse nicht sicher vorausgesagt werden.

3. Qualitätssicherung in der Medizin fordert Standardisierung und die Einhaltung struktureller und prozessualer Normen. Dies steht im Widerspruch zu der im ärztlichen Berufsleben erlebten Einmaligkeit der Arzt-Patienten-Beziehung und der Individualität des Patienten. Dieser Konflikt ist im Erleben der Ärzte oft nicht auflösbar. Erkenntnistheoretisch ist deutlich, dass in Teilbereichen der ärztlichen Tätigkeit Gemeinsamkeiten vorhanden sind, die sich in Gesetzmäßigkeiten fassen lassen. Je technischer ein Ablauf ist, desto größer ist die Berechenbarkeit zwischen Ursache und Wirkung. Die Teilbereiche sind jedoch eingebunden in komplexe Systeme, sodass ihr Verlauf und ihr Ergebnis durch die Einmaligkeit der Konstellation nicht sicher vorhergesagt werden kann. Damit ist keine Berechenbarkeit gegeben. Dies wird jedoch von Ärzten nicht immer wahrgenommen.

4. Standardisierung – so eine Befürchtung – könnte zu einer Verödung und Verarmung ärztlichen Handelns führen. Geschieht die Verallgemeinerung eines Standards so früh, dass er noch nicht als allgemein anerkannt gelten kann, könnte die Therapiefreiheit ungerechtfertigt eingeschränkt und die Weiterentwicklung der Medizin behindert werden.

5. Qualitätsmanagement zielt auf Effizienzsteigerung ab. Effizienz wird durch den Vergleich zwischen dem Ziel einer Tätigkeit und dem Ausmaß der Zielerreichung ermittelt. In der Medizin ist das Ziel einer ärztlichen Handlung nicht immer exakt bestimmbar. Viel weniger noch kann das Ausmaß der Zielerreichung immer konkret gemessen und angegeben werden. Verwendete Messmodelle geben oft nicht die Komplexität des tatsächlichen Sachverhaltes wieder und sind so mit erheblicher Unsicherheit behaftet.

6. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich das Leistungsgeschehen auf das Effektive zu beschränken. Placebo-Wirkungen von echten Wirkungen abzugrenzen und die Effektivität von Therapien nachzuweisen ist jedoch häufig aufwendig und nur mit komplexen Studiendesigns zu erreichen. Bei der gegenwärtigen Attraktivität besonderer Therapierichtungen (z. B. Homöopathie, Physiotherapie, Verfahren der anthroposophischen Medizin) in der Patientenschaft ebenso wie in der Ärzteschaft kommt die Bedeutung von Verfahren mit nicht nachgewiesener Wirksamkeit zum Ausdruck.

7. Medizin ist in vielen Bereichen weit davon entfernt, als exakte Wissenschaft bezeichnet werden zu können. Zahlreiche Handlungsweisen sind nicht wissenschaftlich begründet und beruhen auf Erfahrungen und tradierten Handlungen. In Ihrer Gesamtheit haben diese eine Sozialfunktion, die entscheidend von der »Droge« Arzt abhängt.

All diese Argumente führen nach Arnold jedoch nicht zu der Erkenntnis, dass Qualitätssicherung oder Qualitätsmanagement im medizinischen Bereich nicht möglich oder nicht sinnvoll sei.

Ein weiteres Argument für die Grenzen von Qualitätsmanagement in der Medizin beschreibt, dass es nicht möglich sein wird, alle z. T. unrealistischen Ansprüche einzelner Patienten zu befriedigen. Vieles ist nicht machbar oder allenfalls zu Kosten, die den Nutzen mit Sicherheit übersteigen. Umso wichtiger ist auch in diesem Zusammenhang die gute Information und Kommunikation zwischen Patienten und den Mitarbeitern des Krankenhauses. Sie zeigt und erklärt Erwartungen einerseits und andererseits die Möglichkeiten, diese zu erfüllen.105

104 Vgl. Arnold, Michael 1992, S. 261.

105 Vgl. Bundesärztekammer 1997, S. 47.

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