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6.1.1 Die Besonderheiten der Kundenorientierung im Gesundheitswesen

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Im Gesundheitswesen wird die Benutzung des Wortes »Kunde« für Patienten häufig kritisch bewertet. Der Patient soll nicht nur als »Verbraucher« betrachtet werden. Die Beziehung auf eine Kunden-Lieferanten-Beziehung zu reduzieren, stößt bei Mitarbeitern von Gesundheitseinrichtungen häufig auf Ablehnung.

Einer der Kerngedanken von Qualitätsmanagement ist die Ausweitung des Kundenbegriffes auf eine ganzheitliche Sicht, bei der der Kunde nicht als Verbraucher betrachtet werden soll, sondern als Mensch.

Geht man von diesem erweiterten Kundenverständnis aus und vergleicht dies mit den Aspekten, die ein Patient in sich birgt, so wird der Kunden-Begriff akzeptabler. Der Patient hat Aspekte und Rollen eines

• Gastes, denn er wird in der Gesundheitseinrichtung beherbergt und verpflegt, verbringt gelegentlich sogar Wochen bis Monate in einer Gesundheitseinrichtung;

• Kunden, denn die Gesundheitseinrichtung erhält für seine Behandlung ein Entgelt;

• Organes oder Befundes, denn es ist seine Erkrankung, seine Störung oder Beeinträchtigung, über die sich die Leistungserbringer Gedanken machen und wegen der der Patient von ihnen behandelt wird;

• Partners, denn insbesondere bei chronischen oder psychisch-psychiatrischen Erkrankungen ist ohne die Hilfe und das Zutun des Patienten Genesung oder Besserung seines Zustandes nur eingeschränkt möglich.

Gerade der letztgenannte Aspekt gewinnt an Bedeutung vor dem Hintergrund, dass der Anteil der Patienten mit chronisch-degenerativen Erkrankungen zunimmt. In allen Bereichen, in denen es auf die Veränderung von Lebensgewohnheiten ankommt, ist die Mitarbeit des Patienten ein ausschlaggebender Faktor bei der Besserung bzw. Heilung. Dies ist der Fall,

• wenn Ernährungsgewohnheiten geändert werden müssen, um einen Heilerfolg zu erzielen, wie bei Diabetes mellitus, Gicht, Neurodermitis, Allergien;

• wenn Rauchen, der Abusus von Substanzen oder andere süchtige oder zwanghafte Verhaltensweisen Ursache von Erkrankungen sind, wie bei Alkoholismus, chronischer Bronchitis oder Spielsucht;

• wenn die gesundheitliche Situation durch sportliche bzw. körperliche Betätigung nachhaltig zu beeinflussen ist, wie bei Hyperlipidämien oder posttraumatischen Bewegungseinschränkungen.

Je besser die Gewohnheiten, Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten von den Leistungserbringern wahrgenommen werden, desto realistischer können Heilungsaussichten kommuniziert und unterstützt werden.

Der Aspekt des »Partners« Patient ist aber auch insbesondere für beziehungsorientierte Dienstleistungen im Gesundheitswesen für die Bereiche Psychiatrie, Psychologie, Suchtkrankenhilfe und Behindertenhilfe bedeutsam. Eine beziehungsorientierte Dienstleistung gehört zu den von Bruhn beschriebenen persönlichen Dienstleistungen, denn sie ist »eine persönlich erbrachte prozessorientierte Dienstleistung an Menschen«.106

Gerade in diesem Bereich ist es notwendig zu erkennen, auf welche Behandlung sich ein Patient mit seinem persönlichen, (sub-)kulturellen, ethisch-moralischen Hintergrund einzulassen gewillt und in der Lage ist. Gerade in diesem Bereich werden den Patienten noch heute häufig therapeutische Angebote unterbreitet, die von diesem nicht akzeptiert werden und die deshalb nur eingeschränkt wirksam sind. Gerade in diesem Bereich ist aber auch die Abwägung, wie viel Einfluss aktuelle Kundenwünsche einerseits und professionelle Erfahrungen der Therapeuten andererseits auf therapeutische Angebote haben sollten, besonders schwer.


Abb. 11: Aspekte des Patienten im Versorgungsprozess (Quelle: nach Piwernetz. 1991)

Um gerade in diesem Bereich Kundenorientierung zu fördern, hat De Jellinek, Alleinanbieter für stationäre psychiatrische Dienstleistungen in Amsterdam, ein Konzept für die Kundenbeteiligung bei der Auswahl geeigneter diagnostischer und therapeutischer Angebote für die Patienten entwickelt, das sogenannte »Core-Shell«-Modell. Zentraler Bestandteil des »Core-Shell«-Modells ist die Erstellung von klientenorientierten Behandlungsplänen. Dazu wurde eine spezielle Behandlungsplansystematik »Problem oriented Evaluation and Recordkeeping« entwickelt. Diese sieht vor, dass bei der Erstellung des Behandlungsplanes Therapeut und Patient in festgelegter Reihenfolge bestimmte Fragen beantworten und direkt gemeinsam dokumentieren. Dadurch ist eine standardisierte Beteiligung des Patienten sichergestellt.107 Im Weiteren wurde im Rahmen des Reengeniering-Prozesses zum »Core-Shell«-Modell die gesamte Versorgungsstruktur von De Jellinek auf die flexible Umsetzung der individuellen Behandlungspläne umgesetzt. Das Ergebnis ist eine Vielzahl von Behandlungsprogrammen, zwischen denen der Patient jederzeit wechseln kann, wenn dafür in der gemeinsamen Therapieplanung zwischen Therapeut und Patient der Bedarf ermittelt wird.

All die Aspekte eines Patienten – Gast, Kunde, Organ/Befund, Partner – (vgl. Abbildung 11) beschreiben noch nicht den Menschen, der viele weitere Facetten hat. Das Bemühen im Qualitätsmanagement sollte zu diesem erweiterten Kundenverständnis führen, um den Menschen wahrzunehmen. So betrachtet, kann der Kundenbegriff eine Bereicherung im Vergleich zum Patientenbegriff darstellen.

Handbuch Qualitätsmanagement im Krankenhaus

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