Читать книгу Abelas Amulet - Heinrich Hubert Witte - Страница 17
Besuch in Kali
ОглавлениеIn der Schule meldete ich mich für die nächsten Tage nach Kamerun ab und nahm die Post und die Zettel für die Einkäufe in Garoua entgegen. In Pala gab ich die Post auf und besuchte den Tischler, um nach den Schränken zu schauen.
Die Zollstation war mal wieder nicht besetzt als ich am frühen Nachmittag Pala verließ. Die Sonne versengte das letzte Grün. Die Landschaft hatte sich total verändert. Die Baumwollfelder bekamen einen weißen Schimmer, und die Blätter an den Sträuchern wurden langsam braun.
Nur in den Bereichen, wo die Straße näher an den Majo Kébbi heran führte, gab es noch Grün. Die Staubfahne hinter meinem Wagen war lang. Jedes Mal, wenn ich an einer Gruppe Bauern mit unverminderter Geschwindigkeit vorbei fuhr, tat mir die Gruppe leid. Der Staub hinter meinem Wagen senkte sich nur langsam.
Die Hauptstraße Maroua – Garoua, die N1, hatte ich erreicht. Ich schaute auf die Uhr, in wenigen Minuten würde es bereits dämmern. Ich hatte mich lange in Pala aufgehalten und war heute wohl auch nicht der schnellste auf der Piste.
Als ich die Ebene des Benue erreichte, war es bereits dunkel. In der Ferne sah ich die Lichter von Garoua und war froh bald am Ziel zu sein.
Neben Gudruns Haus parkte tatsächlich die Ambulanz. Ilse und Gudrun waren gerade dabei, die letzten Sachen bruchsicher zu verstauen, als ich neben der Ambulanz anhielt. Ilse verstaute ein Paket neben der Liege und ging dann mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. „Wir haben schon gedacht, dass du heute nicht mehr kommst. Dabei habe ich mich so darauf gefreut.“ Sie umarmte mich. „Ingrid wird sich auch freuen, dich wieder zu sehen. Komm lass uns die Sachen verpacken und erzähl was es Neues gibt.“
Im Haus begrüßte Gaston mich besonders freundlich mit „Bon jour, Patron“. Offenbar war er froh, dass wieder einmal ein Mann im Hause war. Doch dieses Patron hing mir langsam zum Hals raus. Fast jeder Nichtweiße redete mich mit Patron an. Nur Olivier und mein Maurer hatten sich das schnell abgewöhnt, nachdem ich sie jedes Mal strafend angesehen hatte, für sie war ich einfach Monsieur Herbert.
Gaston hatte das Abendessen gerichtet und danach war er für heute entlassen. Während und nach dem Essen wurde der neueste Tratsch ausgetauscht. Gerd Baumann war nun endgültig abgereist und machte mit einer Kollegin noch eine Tour durch die Elfenbeinküste und von Anja, die in Dahomey in einem Kinderheim arbeitete, hatte Ilse einen Brief erhalten. Sie hatte jetzt auch einen eigenen Wagen, einen VW-Kübel.
Am nächsten Morgen sah Gaston, wie Ilse und ich nacheinander aus dem Gästezimmer kamen. Auf seinem Gesicht zeigte ein Lächeln seine innere Freude. Für ihn gehörten Ilse und ich zusammen. Schließlich schliefen wir in einem Zimmer, sogar in einem Bett. Er bereitete das Frühstück und dann verabschiedeten wir uns von ihm mit besten Grüßen an Gudrun, die schon wieder in der Klinik über ihrem Mikroskop saß.
Der erste Weg führte zur Tankstelle, wo der Rover und die zwei Reservekanister mit Diesel aufgefüllt wurden. Der Inhalt der Kanister war für das Pumpenaggregat bestimmt. Heute kann ich es ja sagen, ich trug die getankte Literzahl in das Fahrtenbuch ein, dass ich führen musste.
Die Ambulanz fuhr voraus und ich folgte der Staubfahne in gebührendem Abstand. Nach ungefähr einer Stunde sah ich die Ambulanz am Straßenrand. Als der Rover sie erreichte, stieg Ilse aus. „Gleich geht es rechts ab in die Berge. Die Straße wird dann sehr schmal und es gibt reichlich Kurven und steile Abhänge.“ Woran Ilse erkannt hatte, dass die Kreuzung nur wenige Meter entfernt war, blieb hoffentlich nicht ihr Geheimnis. Ich konnte jedenfalls kein auffälliges Merkmal erkennen. „Wenn du alleine fährst und hier diesen kleinen Wald mit den umgestürzten Bäumen siehst, dann geh vom Gas, sonst rauscht du an der Kreuzung vorbei. Das passiert fast jedem, der von Garoua zu uns will.“ Ilse stieg wieder ein und die Ambulanz fuhr mit geringer Geschwindigkeit weiter. Bei dieser Geschwindigkeit gab der Rover jede Welle der Piste an die Sitze weiter. Ilse verlangsamte noch einmal und bog in einen schmalen, geschotterten Seitenweg ein. Ilse verlangsamte noch einmal und bog in einen schmalen, geschotterten Seitenweg ein. Ein Schild, oder besser einen grauen, gemauerten Wegweiser der wohl schon in der Kolonialzeit errichtet war, gab es auch. Dort stand gerade noch leserlich Kali 38 km.
Die Bäume rechts und links der Straße wurden kräftiger und die Piste erklomm mit jedem Kilometer mehr Höhenmeter. Dann verlangsamte Ilse das Tempo und die Straße führte im engen Bogen einen steilen Abhang hinab in ein Tal. Unten gab es einen kleinen Bach über den eine mit Baumstämmen aufgeschichtete Brücke führte. Die Baumstämme waren etwa fünf Meter hoch reihenweise längs und quer gestapelt und hatten oben noch eine Breite von fünf Metern. Die Piste war über der letzten Lage Baumstämme geschottert, wies aber einige Löcher auf. Ilses Durchschnittsgeschwindigkeit war mit fünfzig km/h schon recht hoch. Ich hätte diese Piste beim ersten Mal nicht so schnell befahren. Wir fuhren weiter in das Gebirge hinein und je höher wir kamen desto kleiner wurden die Bäume. Wir erreichten eine Art Hochebene und durchfuhren eine kleine Ortschaft. Die Hütten hier waren auch aus Lehmziegeln gebaut, aber rechteckig. Die Grasdächer hingen weit über. Dann sah ich den Monte Kali, der sich kegelförmig aus der Ebene erhob. Nach einer weiteren Biegung erreichten wir den Ort und die Straße verbreiterte sich auf das Doppelte. Es gab eine Bar, eine Markthalle mit einer Rundbogenkonstruktion, eine Mari und Sous-préfecture. Ilse fuhr auf ein altes verfallenes Kolonialgebäude zu, das am Giebel ein noch leicht rötlich schimmerndes Kreuz zeigte. Das sollte das Hospital sein? Doch Ilse bog nach rechts ab und vor uns lag eine Gebäudegruppe mit Wellblechdächern. Sie parkte ihre Ambulanz vor einem Carport neben einem weiß gestrichenen Bungalow. Die anderen Gebäude waren sicher auch einmal weiß, doch die Farbe war schon in Ehren ergraut.
Eine der Kochstellen im Innenhof des Krankenhauses. Auch die Wäsche wurde hier zum trocknen ausgelegt.
„Das ist unser Krankenhaus und hier wohnen wir.“ stellte Ilse mit einer einladenden Armbewegung ihr Anwesen vor. „Nimm deine Tasche und komm rein.“ Sie ging vor und ich folgte ihr in eine große Diele. An einer Wand stand ein Sideboard aus dunklem, lackiertem Holz, daneben eine Garderobe an der neben diversen Jacken auch ein weißer Kittel hing. Eine zweiflügelige Tür führte in einen großen, mit soliden Möbeln und einem großen Kamin ausgestatteten Wohnbereich, an den sich eine Essecke anschloss. Die Tür zur Küche stand offen, und Ilse gab beim Eintreten in den Wohnraum einen Befehl in einer Sprache, die ich mal wieder nicht verstand. „Das ist Fulfulde. Unser Amade soll jetzt die Sachen reintragen die für uns sind.“ Ilse ging in die Küche und holte zwei Gläser und eine Flasche Wasser, stellte sie auf den Wohnzimmertisch auf Untersetzer und setzte sich in einen Sessel. „Setz dich, das kostet hier nicht extra.“ Ich stand immer noch in der Mitte des Raumes und betrachtete die Einrichtung. Ich wunderte mich über den Kamin und die verglasten Außentüren zur Terrasse. „Den Kamin brauchen wir hier. Es kann hier in den Bergen durchaus mal Frost geben. Setz dich, das kostet wirklich nichts mehr.“
„Man, ihr habt es hier wirklich komfortabel. Das ist ja noch besser als in Gudruns altem Haus.“ Ich setzte mich in einen Sessel. „Hier kann man es wohl aushalten. Das ist was anderes als meine Hüttensiedlung.“
„Lass man, deine Hüttensiedlung wird noch zu einer Touristenattraktion. Die Lodge im Nationalpark ist auch mit Rundhütten gebaut. Ich war zwar noch nicht da, aber Gerd hat davon erzählt. Er ist öfter dagewesen.“ Ihr kurzer Rock war hoch gerutscht. Die leicht braunen, schlanken Beine übereinander geschlagen, saß sie mit ausgebreiteten Armen im Sessel. „Ach, ist es schön, wieder zuhause zu sein.“ Sie beugte sich vor und griff nach ihrem Glas. Ich sah sie verträumt an. In Berlin hatte sie oft so in einem der Sessel gesessen. Der Boy kam herein und riss mich aus meinen Gedanken. Er stellte eine Schale mit gerösteten Erdnüssen auf den Tisch und fragte Ilse in Fulfulde irgendetwas. Sie antwortete ihm und er wiederholte es mit einer etwas anderen Betonung. Sie sprach ihm noch einmal nach. „Ich übe mit ihm Fulfulde. Es ist hier die Hauptsprache. Wenn du dich mit den Leuten im Krankenhaus wenigstens einiger maßen in ihrer Sprache verständigen kannst, ist gleich ein anderes Verhältnis da. Viele Frauen sprechen kein französisch.“
„Ich habe da so meine Probleme mit den Sprachen.“ meinte ich.
„Ja, ja, ich weiß. Berlin.“ lachte Ilse.
„Nein, dass mit dem französisch ist ja nicht so schlimm, das wird ja immer besser. Bei mir im Dorf gibt es drei Sprachen und in der weiteren Umgebung noch mal zwei. Viele sprechen mehrere Sprachen. Auf den Märkten wird oft eine Art Arabisch gesprochen. Das ist aber nicht die Umgangssprache der Leute. Lerne ich Bannana, dann fühlen sich die beiden anderen Gruppen vielleicht zurückgesetzt oder umgekehrt.“
„Dann frag deinen Olivier ob er mit dir die Marktsprache übt.“
„Was hat dein Amade vorhin eigentlich gefragt?“ wollte ich wissen.
„Er wollte wissen, ob er Ingrid benachrichtigen soll, dass wir angekommen sind.“
„Dr. Ingrid, das war das Einzige, was ich verstanden habe.“
„Ingrid hat noch Sprechstunde in der Dispensaire.“ Sie sah auf die Uhr an der Wand. „Da ist gleich Schluss. Wenn nichts dazwischen kommt, ist um halb vier Visite.“
„Wie meinst du das, wenn nichts dazwischen kommt?“
„Ja, glaubst du hier ist es anders, als in anderen Krankenhäusern. Patienten richten sich nicht unbedingt nach festen Zeiten. Akute Fälle kommen auch hier vor. Komm ich zeig dir dein Zimmer.“ Sie stand auf und zog mich an einer Hand hoch.
Wir gingen durch die der Küche gegenüberliegende Tür in einen langen Flur, dessen eine Wand aus einer Reihe Schranktüren bestand. Gegenüber lagen die Zimmer. Ilse ging bis zur Tür am Ende des Flures und öffnete sie. „Voire a la, unser Gästezimmer. Das Bett kannst du dir aussuchen.“ Es war ein großer Raum mit großer Tür zur Terrasse, eingerichtet mit zwei Betten, Tisch und Stühlen. Auf einem der Stühle stand schon meine Tasche. Einen dienstbaren Geist gab es offenbar in jedem Haushalt, nur noch nicht bei mir. Aber wo sollte der denn arbeiten. In meinem Rover? Nein, einen eigenen Boy, würde ich wohl nie haben. Ich trauerte dieser Erkenntnis nicht nach, denn solange ich so versorgt wurde wie bisher, war alles gut.
„Ich lass dich jetzt eben allein und bringe die Ambulanz zur Apotheke. Die Krankenpfleger können dann den medizinischen Kram ausladen und einsortieren. Fühl dich wie zu hause. Bis gleich.“ Sagte es und verschwand durch eine der Schranktüren, die offenbar in den Eingangsbereich führte.
Ich packte meine Sachen aus und suchte das Bad. Eine der Türen im Flur musste ja die richtige sein. Keine der Türen, die ich probierte, war verschlossen. Beim dritten Versuch hatte ich Glück. Das Bad war richtig gut eingerichtet. Wandfliesen, etwa anderthalb Meter hoch, im Bereich der abgemauerten Dusche bis Türhöhe, und Bodenfliesen. Zwei Waschbecken nebeneinander und darüber jeweils eine Ablage und ein großer Spiegel. Eine Einbaubadewanne mit Emaille Überzug. Nur eine Toilette gab es nicht. Also musste eine der Türen neben dem Bad in ein WC führen. Auch hier Wandfliesen, ein kleines Waschbecken mit Ablage und Spiegel. Ein solches Haus hatte ich nicht erwartet.
Nach dem Duschen hatte ich es mir im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Als Ilse und Ingrid hereinkamen, blätterte ich gerade in einer medizinischen Fachzeitschrift. „Willst du mir jetzt Konkurrenz machen?“ fragte Ingrid. „Na wie geht’s. Ilse hat mir erzählt, du bleibst ein paar Tage.“
„Ja, wenn du nichts dagegen hast.“
„Warum sollte ich. Es ist doch ganz schön mal Besuch zu haben und zu zeigen, was wir hier so alles tun. So richtig viel Besucher haben wir hier oben im Norden nicht. Den meisten ist die Fahrt hierauf ohne eigenes Auto zu weit und unsicher.“ Später fand jedoch eine kleine zierliche Frau den Weg hierher und sogar bis nach Pont Carol
In der Essecke deckte der Boy den Tisch. Diesmal sprach er französisch, als er erklärte, dass das Essen vorbereitet sei. Es gab Reis mit Hühnchen und dazu Erbsen aus der Dose. „Das Hühnchen hat gestern noch gelebt. Die Mutter des kleinen Pascal hat es gebracht.“ teilte Ingrid mit „Der Kleine war in eine Scherbe gefallen und hatte sich dabei eine tiefe Schnittwunde an der Hand zugefügt. Wir haben die Wunde genäht und nachbehandelt. Ich hab ihm gestern die Fäden gezogen.“ Dann kam das Gespräch während des Essens zwischen Ilse und Ingrid wieder auf den täglichen Ablauf in der Klinik. Bei Marcelle müssen wir nachher noch… und so weiter.
Ingrid zog sich nach dem Essen in ihr Zimmer zurück. Ilse gab dem Boy frei. Er stellte noch einmal zwei Gläser und eine Flasche Wasser auf den Wohnzimmertisch und verabschiedete sich. Wieder auf Fulfulde.
„Hast du Lust auf einen kleinen Rundgang.“ fragte Ilse als eine Gesprächspause entstanden war.
„Ja, dann zeig mal dein Reich.“ Es interessierte mich schon wie sie hier lebte, und was sie hier tat.
„Ich zeig dir erst einmal die Gegend. Wenn du willst kannst du ja bei der nächsten Visite dabei sein.“ Wir gingen über die Terrasse in einen kleinen Garten. Hier hatten die beiden Médecin Tomaten, Paprika und verschiedene Blumen angebaut. Der Blick von hier ging weit in die gegenüberliegenden Berge. Ein schmaler Trampelpfad führte einen Hang hinab. Unten in der Senke stand ein kleines Blechhäuschen. „Das ist unser Brunnen. Das Wasser hat Gudrun gerade untersucht. Es ist hervorragend.“
Ilse schob den Riegel zur Seite und die geöffnete Tür gab den Blick frei auf ein älteres Model einer elektrischen Saugpumpe. „Wenn Strom da ist, arbeitet sie sehr zuverlässig, auch wenn es nicht so aussieht.“ meinte Ilse zu der Einrichtung. Die Elektroinstallation hätte allerdings einer dringenden Überholung bedurft. Der Sicherungskasten war offen und in die Jahre gekommen und die eine oder andere Sicherung mit Stanniolfolie gebrückt. „Hier darf auch keiner irgendetwas anfassen, wenn Strom anliegt.“ stellte ich fest.
„Weist du, einer unser Krankenpfleger kennt die Anlage schon seit ihrer Errichtung vor 15 Jahren. Wenn das alles neu kommt, weiß ich nicht, ob der damit zurecht kommt.“ Wir schlossen die Tür, legten den Riegel wieder vor und gingen den Trampelpfad weiter den Hang wieder hinauf. Oben stand eine baugleiche Blechhütte und darin verbarg sich der Generator für die Stromerzeugung, die Groupe électrogène. Offenbar genauso alt wie die Pumpe, aber sehr gepflegt. Kein Wunder, hatte Erich doch erst vor kurzem eine Wartung durchgeführt. Die Elektroverteilung hier war in einem besseren Zustand. Auf einem kleinen Regal lagen sogar noch Sicherungen. Die Abgänge waren beschriftet „OP, Haus I, Haus II, Wohnhaus, Pumpe“. Außer für die Pumpe waren alle Sicherungsfassungen leer. „Ihr könnt Strom erzeugen, habt aber bis auf die Pumpe alles stillgelegt, warum?“ fragte ich.
„Wir bekommen vom Gesundheitsdienst in Yaoundé kein Geld zu gewiesen. Der Etat ist verbraucht und damit nicht irgendjemand Strom einschaltet, sind die Sicherungen ausgeschraubt. Wenn wirklich mal ein Notfall ist und wir dringend operieren müssen, wird die Sicherung eingeschraubt und das Aggregat angelassen. Wenn uns der Diesel ausgeht, müssen wir das Wasser für das Hospital per Hand aus dem Brunnen holen. Ich hab dir ja schon erzählt, wie das dann geht. Wir können dann zwei Leute abstellen, die jeden Tag Wasser pumpen. Im Haus haben wir zwar Stromanschluss, alle Geräte sind aber auf Petroleum oder Gas umgestellt. Unser Licht kommt genau wie bei dir vom Petromax 12 Auch unser Medikamentenkühlschrank läuft mit Petroleum.“
Wir erreichten wieder das Krankenhaus. Um einen Innenhof waren das Behandlungsgebäude mit Ambulanzräumen und die beiden Bettenhäuser gruppiert. Die Gebäude hatten auf jeder Seite einen Laubengang der die Sonneneinstrahlung durch die Fenster verhinderte. Dünne Stahlstützen trugen das flach geneigte Dach aus Wellblech. Die ehemals weiße Außenfarbe begann an vielen Stellen bereits zu blättern. Im mittleren Gebäude gab es Fensteröffnungen jedoch keine Fenster. Die Laibungen waren sauber verputzt. Hier hatte es wohl noch nie richtige Fenster gegeben.
Im Innenhof saßen Menschen in kleinen Gruppen um Feuerstellen herum und bereiten eine Mahlzeit zu oder waren dabei die Töpfe zu reinigen. „Das sind die Angehörigen unserer Patienten. Wir können hier keine Verpflegung anbieten. Die Angehörigen der Patienten müssen selbst für die Verpflegung sorgen. Mach mal sind es größere Kinder, die diese Aufgabe übernehmen oder Frauen, die ihre kleineren Kinder dann auch noch mitbringen. Heute ist hier nicht viel los. Wir haben im Moment wenig Patienten.“ beantwortete Ilse meine noch nicht gestellte Frage.
„Wie? Die Angehörigen müssen alles an Lebensmitteln für sich und den Kranken mitbringen? Was ist, wenn einer allein herkommt und hier bleiben muss?“
„Entweder finden wir jemanden, der ihn gegen Bezahlung mitversorgt oder es wird jemand in sein Dorf geschickt, der den Verwandten Bescheid gibt und jemanden her holt. Aber sei sicher, verhungern lassen wir keinen. Wir finden immer jemanden der hilft.“
„Schwester Ilse, kommen sie, Dr. Ingrid ist schon da.“ rief eine tiefe Männerstimme. Wir gingen zur Ambulanzstation. Der Warteraum war leer. Ilse ging in den Behandlungsraum, nahm ihren weißen Kittel vom Haken auf der Türrückseite und streifte in über. „Komm rein, wir schneiden dir schon nichts ab.“
Im Behandlungsraum standen einige medizinische Schränke an den Wänden, ein großer Kühlschrank und ein zweiteiliges Waschbecken mit einem Wasserhahn der sogar mit einem Ellenbogenhebel ausgestattet war, auch an einen Verbrennungsofen hatte man gedacht, allerdings war der nicht zu benutzen, da die Ofenklappe sich nur öffnen lies, wenn man ein Loch in die Außenwand geschlagen hätte. Auf dem alten Schreibtisch an der Wand standen, neben einigen Ablagen, ein Petromax und eine Petroleumlampe. Etwa in der Mitte des Raumes stand eine breite Liege, daneben einige Rollwagen auf denen medizinisches Gerät lag. An der Decke hing eine wuchtige, schwenkbare Opleuchte. Etwas abseits in einer Ecke standen einige Holzstühle. Die Fenster dieses Raumes waren mit den schwenkbaren Glasscheiben ausgestattet. Eine doppelflügelige Tür mit der Aufschrift OP führte in den Operationsraum.
Ilse, Dr. Ingrid und der Pfleger mit der tiefen Stimme, hatten ihre Sachen zusammen gepackt und machten sich mit zwei Tablettwagen auf den Weg in das Bettenhaus I. „Komm ruhig mit.“ forderte Dr. Ingrid mich auf und ich folgte dem dreier Team.
Durch eine breite, zweiflügelige Stahltür betraten wir einen, das Gebäude teilenden Flur in deren Mitte gegenüberliegend jeweils eine zweiflügelige Tür zu einen Bettenraum. Wir betraten den linken Raum. Die Wände waren im unteren Bereich mit einem grünlichen Anstrich aus Ölfarbe versehen. Der darüber angebrachte schmale, dunklere Streifen sollte wohl so etwas wie Atmosphäre in den Raum bringen und stellte einen Kontrast zur gelblichen Kalkfarbe darüber dar. Der Boden war ein roher, geglätteter Estrich. Unter der Decke hingen vier nutzlose Leuchten mit Neonröhren.
An den Längswänden standen jeweils acht stählerne Bettgestelle. Nur die sieben belegten Betten hatte man mit Matratzen versehen. Auf den anderen lagen einfache Grasmatten, auf einigen leeren Betten hatten die Patienten ihre Habseligkeiten auf Decken ausgebreitet.
Ingrid sprach den ersten Patienten in Fulfulde an, um dann in französisch fortzufahren. Der Pfleger übersetzte. Ilse hatte in der Zeit einem zweiten Patienten den Verband abgenommen und reinigte die Wunde. Dr. Ingrid sah sich auch diesen Patienten an und gab dem Pfleger Anweisungen für die weitere Behandlung.
Nach dem der letzte Patient in diesem Raum versorgt war, ging es weiter nach Haus II, denn der zweite Bettenraum war nicht belegt.
Haus II hatte zwei große Eingänge und war insgesamt fast doppelt so groß wie Haus I. Hinter dem Eingang A sah alles den Räumen in Haus I zum verwechseln ähnlich. Nur, dass es hier die schwenkbaren Fenster gab.
Hinter dem Eingang B lag eine besondere Station. Hier gab es nur einen großen Bettenraum und noch einmal ein Behandlungszimmer. „Das ist unsere Entbindungsstation. In letzter Zeit kommen immer mehr Frauen zur Entbindung hierher. Wir haben offenbar, das Vertrauen der Frauen gefunden. Wenn irgend möglich fährt Ilse auch in die Dörfer, um die Frauen nach der Geburt weiter zu betreuen.“ Während Ingrid diese Erklärung abgab, hatte sich Ilse schon in den Bettenraum begeben und sprach mit einer der Frauen, die ihre Hände auf dem fülligen Bauch haltend, auf dem Rand ihres Bettes saß. Ein etwa dreijähriger Junge spielte vor ihr auf dem Boden mit einem aus Stofffetzen zusammengeknüllten Ball. Ilse sprach mit ihr in Fulfulde. Eine weitere Frau stillte gerade ihr Baby. Eine dritte junge Mutter saß auf ihrem Bett. Ihr Kind, in ein buntes Tuch eingeschlagen, hielt sie in den Armen. Neben sich ein gepacktes Bündel. Ein junger Mann stand neben ihr. Als Ilse und Ingrid sie begrüßt hatten, stand die Frau auf und ging mit ihnen in den Behandlungsraum.
Aus dem Raum war Baby Geschrei zu vernehmen. Nach einiger Zeit verstummte das Geschrei und die drei Frauen kamen in den Bettenraum zurück. Die junge Frau wickelte das Baby geschickt mit ihren Tüchern auf den Rücken. Sie konnte mit ihrem Baby in ihr Dorf zurück. Der junge Vater nahm das Bündel und verabschiedete sich langwierig von Ilse und Ingrid. „Na, doch aufregend so ein Krankenhaus?“ fragte Ilse. „Bei ihr sind wir gerade mal so an einem Kaiserschnitt vorbeigekommen. Die Narben der Beschneidung waren sehr heftig. Ich glaube, die drei sind froh, dass es jetzt zurück ins Dorf geht. Was glaubst du, Ingrid, das wird heute eine ruhige Nacht oder?“
„Ich glaube, vor Sonntag wird’s nichts mit der nächsten Geburt.“
Wir gingen zurück zum Ambulanzgebäude. Ilse und Ingrid hingen ihre Kittel wieder auf die Haken hinter der Tür. „Geht ihr schon rüber, ich mache noch den letzten Bürokram.“ Ingrid setzte sich an den Schreibtisch und der Pfleger reichte ihr die Akten.
Draußen erwartete uns ein kühler Abend. „Wer zu erst am Haus ist?“ rief Ilse und rannte los. Lachend stießen wir an der Tür zusammen und gingen hinein. Im Wohnzimmer ließ Ilse sich auf das Sofa fallen und ich setzte mich zu ihr. „Jetzt hast du einen kleinen Einblick gekriegt, wie es bei uns zugeht. Du musst unbedingt auch mal mit in die Dörfer fahren, aber nicht morgen.“
Sie schlug mir auf die Oberschenkel „So, jetzt mach ich uns erst einmal einen Tee und was zu essen, das haben wir uns verdient.“ Sie stand auf und ging in die Küche. Sie füllte eine Teekanne mit Wasser und zündete eine Flamme des Gasherdes an. Ich folgte ihr und fragte ob ich helfen könne. „Ja, die Tassen sind da links im Schrank, stell sie mal auf das Tablett.“ Ich tat wie mir geheißen. Ilse holte ein Bündel Tücher aus dem Kühlschrank, wickelte ein Stück Rinderfilet heraus und begann dünne Scheiben abzuschneiden. „Wenn du dich nützlich machen willst, kannst du mal nachsehen, ob Petroleum im Kühlschrank nachgefüllt werden muss.“
„Ne, will ich nicht. Ich sehe dir lieber zu.“ sagte ich in der Tür stehend.
„Du fauler Sack, beweg dich.“
„Wo steht denn euer Petroleum?“
„Draußen im Carport, und dann kannst du auch gleich die Petromaxe auffüllen, sonst sitzen wir bald im Dunkeln.“
„Das wäre doch auch ganz romantisch.“
„Bild dir bloß nicht ein, dass sei was besonderes für mich. Und jetzt raus.“
„Ich geh ja schon, Madame.“ Ich ging hinaus, füllte Petroleum in die Lampen und pumpte Luft in den Behälter. Vorsichtig schob ich das Schutzglas nach oben, öffnete die Druckdüse zum Gasstrumpf und zündete mit einem langen Streichholz die Lampe an. Das mit Druck vergaste Petroleum strömte zischend in den Strumpf. Einmal an den keramisierten Strumpf angestoßen, wäre der zusammen gefallen. Dann ging ich zum Kühlschrank und füllte auch dort den Petroleumbehälter auf.
Ingrid war von ihren Schreibarbeiten zurück und nun dabei den Tisch zu decken. Sie stellte einen Korb mit weißem Brot, einen Teller mit dem aufgeschnittenen Fleisch und eine Schale mit gekochten Eiern auf den Tisch. Wir setzten uns zum Abendessen. Ich nahm von dem aufgeschnittenen Filet. „Was ist das für Fleisch. Es sieht aus wie Rauchfleisch.“
„Das ist getrocknetes Rinderfilet. Das kannst du auch bei euch machen. Ein frisches Stück Filet wird gesalzen, in ein trockenes Tuch gewickelt und im Kühlschrank gelagert. Wenn das Tuch feucht ist, wird es getauscht und das Filet wieder gesalzen. Das wiederholst du solange, bis das Tuch trocken bleibt. Eine ganz tolle Art das Fleisch haltbar zu machen. Und es schmeckt besonders gut mit dem selbst gebackenem Brot. Das Brot, dass man hier im Dorf kaufen kann, ist nicht besonders gut.“ Das mit dem Fleisch war ein guter Tipp, denn bisher waren meine Kochkünste alles andere als hervorragend. Ich konnte zwar Reis und Nudeln kochen, mit den Beilagen und dem Fleisch tat ich mich schwer.
Während des Essens wurden noch weitere Rezepte besprochen. Ich kam zu der Erkenntnis, wohl auch einen Boy anstellen müssen. Es wurde zwar nicht gern gesehen, doch wie sollte sonst der tägliche Haushalt erledigt werden. Ich würde ja noch längere Zeit viel unterwegs sein.
Während des Essens macht Ilse einen Vorschlag für den Rest des Abends. „Wir haben hier ja keine große Ausgehmöglichkeit, wie wär’s mit einer Runde Malefitz?“ Der Tisch wurde abgeräumt, der Abwasch erledigt. Ilse suchte im Radio, so unglaublich das auch klingt, den Bayrischen Rundfunk (bei uns in Pont Carol war der nicht zu empfangen) auf Mittelwelle und kramte den Karton mit der Spielesammlung aus der Anrichte, stellte ihn auf den Wohnzimmertisch und setzte sich ins Sofa. „Komm setzt dich zu mir, du musst mir gegen Ingrid helfen. Die ist immer viel besser als ich.“ Ingrid protestierte heftig, setzte sich aber uns gegenüber.
Das Spiel zog sich hin. Ilse und ich neckten uns jedes Mal, wenn einer nicht richtig aufgepasst hatte. Es war richtig entspannend. Der Termindruck auf meiner Baustelle war vergessen. Im Tschad drehte sich jeden Tag alles um die Projekte. Es tat gut, einmal abzuschalten und etwas herum zu albern.
Als Ingrid endlich verloren hatte, meinte sie „Ich fange kein neues Spiel mehr an. Für mich ist heute Schluss. Ich gehe schlafen.“ Sie stand auf, wünschte noch eine gute Nacht und ging ins Bad.
„Wir spielen noch mal eine Runde, zu zweit dauert es auch nicht so lange.“ schlug ich vor. Ilse stimmte zu und wir stellten die Püppchen wieder am Start auf. Dies Mal spielten wir gegeneinander. Jedes mal, wenn einer ein Püppchen aus dem Spiel warf, wurde heftig geklagt, gekabbelt und gelacht. Die Zeit bis zum nächsten Würfeln wurde nach einem Rauswurf immer länger und irgendwann hatte Ilse sich an mich angelehnt und ich hielt sie fest. Sie gab nach. Ich schob ihr die Haare aus dem Gesicht und legte meine Arme um sie. Das Spiel war vergessen. Bis auf das leise Rauschen des Petromax war nichts zu hören. Wir träumten still vor uns hin. Hätte uns jemand beobachtet, er hätte bestimmt geglaubt, die beiden auf dem Sofa seien schon eine Ewigkeit zusammen.
Durch lautes Klopfen an der Terrassentür und die Rufe „Schwester Ilse, Schwester Ilse“ wurden wir aus unseren Träumen gerissen. Es war die tiefe Stimme des Pflegers der am Nachmittag an der Visite teilgenommen hatte. Ilse löste sich aus meinen Armen und ging zur Terrassentür. „Was ist los, Jacques?“
„Ein Mann hat seine hochschwangere Frau hergebracht. Die Frau hat offenbar Probleme. Sie ist bereits im Hebammenzimmer. Ihr Mann ist jetzt bei ihr.“
„Ich komme, bereite schon alles vor.“ Ilse sprang auf, fischte ihre Schuhe unter dem Tisch hervor, hüpfte beim anziehen auf einem Bein hin und her. „Kommst Du mit? Eine Taschenlampe liegt in der oberen Schublade rechts.“
In der Geburtsstation brannte Licht. Vor der Tür war ein Karren abgestellt. Im Behandlungsraum versuchte Jacques, die Frau zu beruhigen. Ilse betrat den Raum. Ihre Bewegungen waren ruhig und sicher. Sie strahlte eine große Ruhe aus und ließ sich von der Patientin die Situation erklären. Sie gab Jacques in ruhiger Sprache Anweisungen, die er sofort ausführte. Dann bat sie alle, den Raum zu verlassen.
Die Aufregung war dem jungen Afrikaner anzumerken. Ich fragte ihn, von wo er komme. Er sei hier aus dem Dorf. Seine Frau habe schon zwei Kinder und da habe es bei der Geburt keine Probleme gegeben. Diesmal sei alles viel schwieriger. Da Schwester Ilse jetzt da sei, ist es besser, hierher zu kommen, als den Medizinmann zu holen, erklärte er in umständlichem französisch.
Das Stöhnen der Schwangeren wurde schwächer und Jacques kam vor die Tür, um mitzuteilen, dass keine akute Gefahr für Mutter und Kind bestehe. Die Erleichterung konnte ich dem jungen Mann ansehen.
Nach einigen Augenblicken trat Ilse mit Jacques heraus. „Herbert, ich bleibe noch bei der Frau. Du gehst am besten ins Haus. Wir müssen uns ja nicht beide die Nacht um die Ohren schlagen.“
„Wenn du meinst.“
„Ja, geh ruhig, dass kann noch etwas dauern.“ Jacques hatte sich schon auf den Weg zum Ambulanzhaus gemacht. Ich sah Ilse noch einmal fragend an. „Geh ruhig, es wird alles gut.“ Ilse forderte den werdenden Vater auf mit hineinzukommen und ich drehte mich im Gehen noch mal nach ihr um. Sie war bereits wieder im Behandlungszimmer verschwunden.
Ich ging in mein Zimmer, öffnete die Tür nach draußen und legte mich auf das Bett. Ich bewunderte Ilse. Sie hatte schnell und ruhig reagiert, nichts an ihr wirkte hastig oder überstürzt. Ilse hatte mich mächtig beeindruckt. Mit den Gedanken im „Kreißsaal“ schlief ich ein.
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Am nächsten Morgen wurde ich von klapperndem Geschirr geweckt. Die Sonne stand schon relativ hoch. Ich hatte lange geschlafen. Amade deckte draußen den Tisch. Ich ging ins Bad.
In der Küche traf ich Ingrid, die bereits von der nächtlichen Aktion gehört hatte. Wir setzten uns an den Frühstückstisch und ich musste von der Nacht berichten.
„Habt ihr auch noch einen Kaffee für mich?“ Ilse stand nur mit ihrem kurzen Nachthemd bekleidet in der Terrassentür. Sie räkelte sich noch einmal, setzte sich neben mich auf die Bank und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Ich brauche jetzt erst einen Kaffee.“ Sie griff nach meiner Tasse und nahm einen großen Schluck..
„Ich hoffe, er schmeckt dir.“
„Oh ja, das tut gut. Bis drei Uhr heute früh hat es gedauert.“
„Was mich viel mehr interessiert als das Wann ist das Was.“ sagte ich und sah sie lächelnd an. „Wenn man uns schon mitten in der Nacht stört, dann will ich jetzt auch wissen, was es geworden ist.“
„3200 Gramm und ein“ sie machte eine Pause „ein, ….. Wenn es deins wär, was wäre Dir dann am liebsten, Junge oder Mädchen?“
„Ich glaube, das wäre mir egal, Hauptsache gesund.“
„Es ist ein Junge, und mit eigenen Kindern lass Dir ruhig noch Zeit.“ Sie machte eine Pause, als würde sie auf eine Reaktion warten. „Ich muss nachher noch mal nach den beiden sehen. Jacques ist ja nicht gekommen. Er sollte mich noch holen, wenn es weitere Probleme gegeben hätte.“ Ilse war trotz der unruhigen Nacht ausgeglichen und sichtlich mit sich zufrieden.
Am späten Vormittag sahen wir nach dem Neugeborenen. Der Mann war mit seinem Karren zurück ins Dorf gegangen. Ingrid und Ilse untersuchten noch einmal Mutter und Kind. Ingrid erklärte der Mutter, dass es besser sei, wenn sie noch zwei Tage hier bleiben würde. Die Frau wollte jedoch lieber am Abend mit ihrem Mann zur Familie zurück. „Wir können die Leute hier nicht anbinden. Sie hat mir gesagt, wo sie wohnt. Ich werde morgen bei ihr vorbei fahren und sehen wie es ihr geht.“ erklärte Ilse, als sie meinen fragenden Blick sah. „Eine Geburt ist hier normalerweise nichts aufregendes. Manchmal arbeiten die Frauen schon am nächsten Tag wieder auf dem Feld. So ist das hier eben, etwas ganz normales.“
Der Nachmittag und Abend verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ilse hatte sich nach dem Mittagessen zur Siesta verabschiedet und ich war mit meinem Fotoapparat auf Jagd. Motive gab es genügend.
Als ich gegen vier Uhr von meiner kleinen Exkursion zurückkehrte, wurden die Tanks des Generators aus meinen Reservekanistern wieder aufgefüllt. Damit gab es für Notfälle auch wieder Strom im OP.
An Abend fiel den beiden Damen noch ein, dass ich bei meinem nächsten Besuch doch einige Kleinigkeiten reparieren könnte. Sie gingen die Dinge durch und schrieben auf, was dafür alles besorgt werden musste.
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Am Sonntag morgen fuhren Ilse und ich mit der Ambulanz ins Dorf. Ilse wollte, wie versprochen, die Patientin von Freitag Nacht besuchen. Wir parkten den VW-Bus in einem kleinem Seitenweg und mussten den Rest des Weges zu Fuß gehen, vorbei an einzelnen kleinen Gehöften. Ilse fragte ein paar mal nach und dann standen wir im Hof eines kleinen Anwesens. Die Vorratshütten rund, auf Stelzen errichtet. Das Wohnhaus der Familie aus Lehmziegeln gebaut, hatte als besonderen Komfort ein Dach aus Wellblech. Der Mann begrüßte uns und Ilse fragte nach Frau und Kind. Die beiden anderen Kinder kamen neugierig angelaufen und zupften an meiner an der Hose.
Im Haus war es dunkel. Licht fiel nur durch die offene Tür in den Raum. In der Mitte gab es eine offene Feuerstelle. Die Frau lag auf einer Art Bett, und eine zweite, jüngere Frau war dabei, Hirsebrei zu kochen. „Das ist meine Schwester.“ erklärte der Mann, „Sie hilft mir, meine Frau ist noch sehr schwach.“ Ilse erkundigte sich nach dem Befinden der Patientin, maß Fieber und hörte sie ab. Dann untersuchte sie das Baby, das neben der Frau auf dem Bett lag. Ilse suchte in ihrer Tasche eine Spritze, schnitt eine Ampulle auf und zog den Inhalt auf. Die Frau bekam die Spritze in den Arm. Ilse sprach mit der Frau noch einige Sätze und verabschiedete sich von ihr und den Kindern, die immer noch an meinen Hosenbeinen hingen und dem Mann.
„Dir stehen die Kinder gut.“ meinte Ilse, als wir den schmalen Weg zum Wagen zurück gingen. „Was hast du mit denen gemacht. Normalerweise sind die bei Männer, erst recht weißen Männern viel ängstlicher.“
„Wer mit dir kommt kann doch nicht böse sein. Was hast du der Frau eigentlich gespritzt?“
„Nur ein Aufbaumittel, der Rest ist jetzt Psychologie. Sie glaubt, dass die Spritze hilft und darum wird die Spritze auch helfen. Die ist morgen, spätestens übermorgen wieder voll dabei.“
„Dann bist du ja nichts besser als die Medizinmänner.“ lachte ich. „Übrigens du musst mir noch mal zeigen, wie das mit dem Spritzen setzen geht. Bei uns gibt es verschiedene giftige Schlangen und das Serum im Kühlschrank hilft ja nur, wenn man es verabreichen kann. Da hilft keine Psychologie.“
„Na, dann werd ich dir das noch mal zeigen. Übrigens, die weisen Frauen und Medizinmänner haben oft auch gute Gegenmittel. Also, wenn gar nichts mehr geht, dann lass dir von denen helfen.“ Diese Aussage war überraschend. Dass ich später mit diesen Leuten engen Kontakt bekommen sollte, konnte ich mir nicht vorstellen. Auch an die Wirksamkeit ihrer ‘Medizin’, die machmal in ein Amulett verpakt wurde, erschien mir unglaubwürdig.
Nach dem Essen packte ich meine Sachen und verstaute die leeren Kanister im Heck des Wagens. „Willst du nicht doch bleiben? Wir hätten hier ausreichend für dich zu tun.“ Ilse wusste genau, dass ich wieder zurück musste, setzte aber trotzdem einen Schmollmund auf. Ingrid stimmte dem lachend zu. Ich umarmte jede der Frauen und stieg ein. Ilse kam ans Seitenfenster. „In drei Wochen bin ich wieder in Garoua. Versuch doch auch zu kommen. Ich würde mich freuen.“
„Ich mich auch.“ Ich gab Gas und der Wagen rollte langsam an.
„Pass auf dich auf.“ waren die letzten Worte die ich von Ilse hörte. Im Rückspiegel sah ich, wie sie zu Ingrid zurück ging.
Bei meiner Ankunft in Garoua erkundigte sich Gaston: „Patron, hast du eine gute Reise gehabt.“
„Ja, es war alles gut.“ Gaston lächelte und ging wieder an seine Arbeit. Was hatte der sich wohl gedacht?
Am Abend ging ich noch einmal meine Einkäufe für die Baustelle durch und stellte fest, dass ich die Baustelle für einige Stunden wirklich vergessen hatte.
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Am Montag wurden die Einkäufe im Wagen verstaut. Die restlichen Rohre wieder auf das Dach gebunden und die Fahrt ging zurück nach Pont Carol.
Auf der Rückfahrt dachte ich über das Krankenhaus nach. Es war eigentlich viel zu groß gebaut. Und dieser Verbrennungsofen, wichtig war wohl nur, dass er vorhanden war, nicht seine Funktionsbereitschaft. Was nutzte das Ganze, wenn es aus Geldmangel nicht richtig genutzt werden konnte. Es war vom FED 13 17, dem Europäischen Entwicklungsfond finanziert worden. Die Folgefinanzierung hatte man wohl nicht weiter bedacht. In der Statistik gab es zwar ein für dortige Verhältnisse gut eingerichtetes Krankenhaus mehr, doch wem nützte das wirklich? Dabei fiel mir ein, der OP hatte ja auch diese Betonrahmen mit den verstellbaren Scheiben als Fenster. Ob das richtig war? Ich nahm mir vor, bei meinen künftigen Planungen als Architekt neben einer guten Nutzbarkeit auch die Folgekosten im Auge zu behalten. Lieber etwas kleiner, dafür funktionsfähig.
In Pala hielt ich bei der Zollstation, doch wieder war niemand da. Bei der Post nahm ich meine Briefe in Empfang und fuhr weiter.