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Geburt auf der Piste

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Ich brütete darüber, wie es gelingen konnte Torrok termingerecht fertigzustellen. Was, wenn es nicht ganz klappt. Ich hatte da so meine Bedenken. Sollte ich es Uwe mitteilen ohne die Möglichkeit eines Auswegs aufzuzeigen? Eine kurzfristige Unterbringung wäre sowohl in der Schule als auch in der Mission möglich. Im Verhältnis zu dem, was das Projekt später zu bieten hatte, war die Unterkunft in der Schule sehr komfortabel. Man merkte schon, dass bei der GAWI mehr Geld zur Verfügung stand. Die Mission bot ein Umfeld, dass dem der Projekte eher entsprach. Für mich war die Mission die erste Wahl. Bevor ich meine Überlegungen an Uwe weiter gab, wollte ich wenigstens wissen, wie die beiden Einrichtungen reagierten. Am nächsten Tag fuhr ich zur Mission, um mit Pje Noire darüber zu reden. Die Mission könnte die Leute aufnehmen, erklärte er mir, sie müssten sich nur selbst versorgen. Für solche Fälle habe die Mission zwei Gästehäuser. Damit war diese Eventualität auch gelöst.

Am Abend setzte ich mich hin und schrieb Uwe, wie es im Fall einer Bauverzögerung möglich sein könnte, die Anreise nicht um drei Monate zu verschieben. Natürlich müsse er als Chef noch offiziell anfragen, um der Form genüge zu tun. Das Bistum wüsste eben gerne, wer längere Zeit in den Missionen wohnt.

Die Leute in Pont Carol ließ ich oft alleine arbeiten und kümmerte mich intensiv um Torrok. Pont Carol wurde trotzdem kompletter. Den Bau eines Wasserturm hatte ich jedoch auf die Zeit nach dem Bezug verschoben. Bis dahin musste das aus Kanthölzern errichtete Provisorium mit zwei 200-ltr-Fässern reichen. Es gab fließendes Wasser. Es fehlte jedoch der Druck in der Leitung. Für die Küche war es nicht so tragisch. In der Dusche gab es zwar Wasser und es war besser als eine Eimerdusche mit 10 Litern Wasservorrat, aber es war kein richtiger Brausestrahl. Es gab eben nur maximal einen Meter Höhenunterschied. Nur gut, dass ich die nach meiner Meinung überdimensionierten Rohre gekauft hatte. So hielt sich der Druckverlust in den Rohren wenigstens in Grenzen.

Ich informierte Uwe auch über den Stand in PPont Carol. Meine neuen Kollegen konnten kommen, mussten sich aber mit einigen Einschränkungen abfinden. Die Restarbeiten konnten auch vom Mechaniker beaufsichtigt werden. Für mich begann nun die intensive Arbeit in Torrok.


So wurden die Rohre über weite Strecken transportiert.

Auch für dieses Projekt musste wieder Material aus Garoua beschafft werden. Ich hatte mich auf vierzehntägige Einkaufsfahrten eingestellt und übernachtete jedes mal bei Gudrun. Ilse und Ingrid hatten sich dem Rhythmus angepasst. Gaston lachte jedes Mal ganz verschmitzt, wenn er morgens feststellte, dass wieder ein Mann im Gästezimmer übernachtet hatte. Er war offenbar der Meinung, ich hätte mit beiden Frauen gleichzeitig geschlafen. Gaston sprach das Thema nie an und so klärte ihn auch niemand auf.

Auf die nächste Zeit in Garoua freute ich mich schon, besonders auf die Stunden mit Ilse. Dieses Mal war ich wegen der letzten Arbeiten in Pont Carol und der Einweisung der Arbeitskräfte in Torrok erst am Freitag Nachmittag aufgebrochen. Als ich Gudruns Haus erreichte und meinen Landrover abgestellt hatte, eröffnete sie mir, dass Ilse nicht komme. Ingrid hätte alle Einkäufe zu Beginn der Woche erledigt und sei sofort wieder zurück gefahren. In der Klinik liege eine Frau, mit einer problematischen Schwangerschaft. Die Geburt könnte an diesem Wochenende sein.

Ich war ein enttäuscht. Hatte ich mich doch auf das Wiedersehen gefreut und gehofft, einmal ein paar Stunden mit Ilse allein sein zu können. Nun gut, wenn Ilse nicht kommen konnte, dann würde ich eben zu ihr fahren.

Am nächsten Morgen fuhr ich zur Tankstelle, um meine zwei Reservekanister mit Diesel für den Generator aufzufüllen und dann ab nach Kali. Fast hätte ich die Abfahrt verpasst. Im letzten Moment hatte ich den Hinweis erkannt und bremste stark ab. Auf der schmalen Nebenstrecke begegnete mir nicht ein Fahrzeug, nur hin und wieder waren einige Einheimische mit ihren Ochsenkarren unterwegs.

Die beiden Frauen waren auf dem Weg zu ihrem Haus als der Rover auf das Krankenhausgelände fuhr. Offenbar kamen sie gerade von einer Visite zurück. Im Haus erfuhr ich, dass die beiden eigentlich jederzeit mit der Geburt rechneten und dass sie hofften, das Kind nicht mit einem Kaiserschnitt holen zu müssen. Obwohl Ingrid in Garoua nach Narkosemitteln in der dortigen Krankenhausapotheke nachgefragt hatte, musste sie ohne zurückkehren. Auch in Garoua war es Mangelware, man gab nichts ab. Die heute diensthabende einheimische Helferin war angewiesen, Ilse sofort zu informieren, wenn die Wehen wieder einsetzten. Damit war klar, eine gemeinsame Exkursion in die Umgebung wird es nicht geben. Es sei denn, die Schwangere würde sich beeilen.

Ilse ging immer wieder zur Geburtsstation herüber und kam jedes mal enttäuscht wieder zurück. Die Tanks des Groupe électrogène hatte ich aufgefüllt. Ich fühlte mich hilflos, denn heute hätte man für eine OP ausreichend Strom, es fehlten jedoch die Narkotika. Es wurde langsam dämmrig, und der Zustand der Frau hatte sich nicht gebessert.

Während Ilse und ich auf der Terrasse auf die erlösende Nachricht warteten, sah ich das erste Mal ein wunderbares Schauspiel. In der Dunkelheit waren an den Hängen der gegenüberliegenden Berge lange, feurig rote Bänder zusehen. Ilse erklärte, dass die Einheimischen dort den Busch für ihre Felder abbrannten und früher die Feuer auch zur Jagd einsetzten. Diese Feuer seien aber außer Kontrolle geraten. So wurden jedes Jahr viele Hektar wertvoller Buschwald vernichtet und die Erosion verstärkt. „Das sieht aus der Ferne ganz fantastisch aus, ist jedoch eine große Katastrophe. Im letzten Jahr hat ein Feuer ein ganzes Dorf vernichtet.“ Wie gefährlich solche Buschfeuer sein können, sollte ich in einem der späteren Projekte noch selbst erfahren.

Die Abstände in denen Ilse nach der Frau sah, wurden immer kürzer. Wir waren mittlerweile allein auf der Terrasse. Ilse hatte sich neben mich auf die Bank gesetzt. Sie hatte die Füße hoch gelegt und lehnte entspannt an meiner Brust, als der Schein einer Taschenlampe die Hauswand traf. Die Pflegerin kam aufgeregt um die Hausecke. „Ilse, kommen sie bitte, ich glaube es gibt Probleme.“ Ich lockerte sofort meinen Griff um Ilses Oberkörper. „Warte bitte, bis ich zurück bin.“ Sie stand auf und verschwand mit der Pflegerin hinter der Hausecke. Ich wartete geduldig und ließ dabei das feurige Schauspiel in den Bergen auf mich wirken.

Nach einigen Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, kam Ilse durch die Terrassentür, den Autoschlüssel in der Hand. „Wenn wir nicht bald operieren verlieren wir Mutter und Kind. Die Ambulanz wird bereits vorbereitet. Würdest du mit mir nach Garoua fahren, Ingrid möchte ich in der Nacht nicht so gerne als Fahrerin haben. Sie sieht Nachts nicht gut.“ In Ilses Augen stand ganz deutlich geschrieben, fahr bitte. Ich überlegte nicht lange, stand auf und nahm Ilse die Schlüssel ab, die daraufhin wieder im Wohnzimmer verschwand. Ich ging um die Hausecke zur Ambulanz, die bereits vor dem Geburtshaus stand. Die Pflegerin packte noch einige Sachen in den Stauraum. Die werdende Mutter lag schon auf der Trage und war so gut es ging angeschnallt. Ich stieg ein und lies den Motor an. Ilse beruhigte mit einigen Worten die Frau und setzte sich auf den Sitz neben der Trage. „Du kannst losfahren.“

Die Straße erforderte meine ganze Aufmerksamkeit. Ich versuchte den Löchern so gut es ging auszuweichen und dabei möglichst zügig zu fahren. Der Zustand der Frau war stabil. Wir erreichten die Hauptstraße. Jetzt fuhr es sich etwas entspannter. Die Wellblechpiste rüttelte die Ambulanz jedoch mächtig durch. Es war Nacht und trotzdem kamen uns hier einige Fahrzeuge entgegen. Dann schaltete ich das Blaulicht ein und die wiederkehrenden Lichtkegel tauchten die wenigen Bäume und Büsche an Rand in ein gespenstisch blaues Licht. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte der Strecke geschafft, da begann die Frau heftig zu stöhnen. „Herbert, halt bitte an.“ Besorgnis lag in Ilses Stimme. Ich stoppte die Ambulanz und dabei wurde sie noch stärker durchgeschüttelt. Als der Wagen stand, war Ilse schon aufgestanden und hatte die Gurte an der Trage gelöst. Sie untersuchte die Frau beim schwachen Schein der Innenbeleuchtung. Ich war ausgestiegen und hatte die Seitentür geöffnet und wartete auf Ilses Anweisungen. Ilse sagte in ruhigem Ton: „Das Kind hat sich gedreht. Ich glaube, die Geburt geht hier gleich los. Zurück schaffen wir es nicht.“ Die Erleichterung stand ihr im Gesicht geschrieben. „Durch das Geruckel hat sich das Kind gedreht. Jetzt liegt es richtig. Mach die Tür zu. Die Insekten kommen rein.“

Ilse sprach ruhig mit der Frau. Die Wehen wurden immer stärker. Auf die Geburt eines Kindes auf freier Strecke war ich nicht eingestellt. Ilse strahlte wieder eine bewundernswerte Ruhe aus, die sich letztlich auch auf die werdende Mutter und auch auf mich übertrug. Dass ich meine erste Geburt direkt auf der Straße erlebte, hätte ich nie gedacht.

Die Geburt verlief erstaunlich problemlos und nach einer ersten Untersuchung von Mutter und Sohn gab Ilse den Befehl: „Ab nach Hause.“ Sie setzte sich wieder auf dem Sitz neben der Liege, ich stieg hinter das Steuer und wendete die Ambulanz.

Als wir die Hauptstraße verließen, kam Ilse auch nach vorn. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz, nahm die Füße auf die Kante der Sitzfläche und legte die Arme um die Knie.

Wir erreichten das Hospital und parkten den Wagen vor dem Eingang der Geburtsabteilung. Die Pflegerin war herausgekommen, um zu sehen, warum wir zurück gekommen waren. Sie erwartete das Schlimmste und freute sich, als sie Mutter und Kind den Umständen entsprechend wohl auf sah. Mutter und Kind wurden in das Untersuchungszimmer gebracht. Die Mutter kletterte von der Trage auf die Liege und Ilse legte der Mutter den Sohn auf den Bauch.

Dr. Ingrid hatten die Angehörigen der Patienten aufgeregt geweckt und von der glücklichen Rückkehr berichtet. Auch ihr war die Erleichterung über die Geburt anzusehen. „Ilse, ich übernehme. Ihr beide nehmt erst einmal eine Mütze Schlaf.“ Ilse übergab die Patientin mit einem kurzen Bericht über den Verlauf der Geburt. Dann gingen wir ins Haus.

Ilse überließ mir als erstem die Dusche. Sie wollte noch einen Augenblick entspannen. Ich kam nur in Unterhose bekleidet aus der Dusche und meldete „Dusche frei, ich gehe dann schlafen.“ Ilse stand müde auf, duschte, und stand dann mit dünnem, kurzes Nachthemd in der Tür zu meinem Zimmer. „Darf ich?“ Ich nickte und Ilse kuschelte sich an mich. Wir waren so müde, dass wir sofort einschliefen.

Als ich am morgen erwachte, war es bereits hell. Ich tastete erfolglos nach meiner Freundin. Ilse hatte sich leise aus Bett und Zimmer geschlichen.

In der Küche fand ich Dr. Ingrid, die gerade Eier kochte und das Frühstück auf den Tisch stellte. „Guten Morgen, ausgeschlafen?“

„Ja, wieso ist Ilse nicht da?“

„Die musste unbedingt nach dem Kleinen und dessen Mutter sehen. Sie wird gleich zurück kommen. Stell mal noch die Marmelade auf den Tisch.“

Ilse lies sich Zeit. Ingrid und ich begannen mit dem Frühstück. Zunächst drehte sich das Gespräch um die Ereignisse der Nacht, doch dann kam das Gespräch auf die anstehenden freien Tage und was man da alles unternehmen könnte. „Bist Du schon mal im Waza Nationalpark gewesen?“ fragte Ingrid „Ich würde gerne einmal hin fahren, Elefanten und Löwen sehen.“

„Das würde ich auch gern.“ Ilse war hereingekommen und setzte sich zu uns. Die Möglichkeiten eines Besuchs des Nationalparks wurden ausführlich diskutiert. Ilse und Ingrid hatten sich offenbar schon länger mit dem Gedanken beschäftigt. Sie wollten auf jeden Fall für einige Tage dort hin. Bis zum nächsten langen Wochenende waren es noch Wochen und meine neue Kollegen würden dann auch im Projekt sein. Ich konnte mich nicht so recht entscheiden.

Den Nachmittag nutzten Ilse und ich zu einem kleinen Rundgang durch die Umgebung. Auf einem der Trampelpfade standen uns plötzlich zwei völlig verhüllte Gestalten gegenüber. Umhänge aus geflochtenem Gras gaben nur den Blick auf die Füße und die Augen frei. Ein Grasbüschel war über dem Kopf zusammengebunden und eins als Umhang um die Hüften gebunden. Ilse sprach sie an, doch sie antworteten nicht. Sie verschwanden ohne ein Wort wieder im Busch. „Was war das denn?“ wollte ich wissen, als die beiden Grasbüschel vom Buschwerk verschluckt waren. „Das gehört zum Ritual der Beschneidung. Die Jungen müssen drei Tage in dieser Verkleidung im Busch leben und dürfen mit niemandem sprechen. Wenn sie dann wieder zurück kehren, sind sie Männer. Hoffentlich bekommen wir dadurch nicht zusätzliche Patienten. Die Hygiene bei diesen Ritualen ist nicht besonders gut.“ Beschnitten wurden nicht nur die jungen Männer, besonders schlimm verliefen die Beschneidungen bei den Mädchen.

Nach dieser Begegnung gingen wir einige Augenblicke schweigend nebeneinander her, dann begann Ilse „Kannst du nicht doch noch eine Nacht bleiben?“ sie lehnte sich im Gehen an und hielt mit beiden Händen meine Hand. „Ich habe für morgen früh einen Termin beim Baustoffhändler gemacht und muss die Sachen rüberfahren. Meine Neuen sollen doch wenigsten das Notwendigste vorfinden.“

„Ich möchte aber, dass du bleibst. Du kannst ja auch hier bauen.“

„Ja,“ lachte ich, „das bring mal eurem Direktor bei.“

„Du musst gleich wirklich fahren?“

„Ja, Mädchen. Ich würde auch gerne noch eine Nacht bleiben.“ Ich machte ein Pause. „Ich bin gern bei dir, das weist du, und es war schön, dich heute Nacht im Arm zuhalten.“

„Dann bleib doch.“ quengelte sie, obwohl sie wusste, dass es sinnlos war.

„So wie du deine Patienten, habe ich meine Baustellen und meine Leute. Die brauchen mich.“

„Ich auch.“ Sie hing immer noch an seinem Arm.

„Weist du was, ich komme mit zum Nationalpark. Über Gudrun lass ich Euch wissen, wie wir das gemeinsam hinbekommen.“ Wir gingen langsam zurück und in Sichtweite des Hospitals gingen wir gesittet nebeneinander. Das Gerede würde auch so schon groß genug sein.

Ich verabschiedete mich noch vor dem Abendessen von allen im Hospital. Inzwischen hatte ich nicht nur Ilse in mein Herz geschlossen. Auf dem Weg nach Garoua dachte ich lange über die vergangenen Stunden nach. Hatte ich mich richtig verhalten?

Abelas Amulet

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