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Entscheidung für den Tschad

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Die vier Wochen Vorbereitung in Tunesien gingen zu Ende. Sprachlich fühlte ich mich einigermaßen fit, was mir noch fehlte, waren Fachausdrücke aus meinem Beruf. Madame Leconte hatte sich dafür Fachliteratur besorgt, die sie in einem Sonderkurs mit uns Maurern durch arbeitete.

Eine Überraschung gab es einige Tage vor Ende der Vorbereitung. Der Regionaldirektor musste uns Maurern erklären, dass wir noch nicht in unser Projekt fahren konnten. Es gebe noch Verhandlungsbedarf. Wir mussten weiter in Tunis bleiben. Doch was tun mit der vielen Freizeit? Die Vespa war ja nicht besonders zur Erkundung des Landes geeignet.

Im Büro wurde eine Versorgungsfahrt mit dem Bully in den Süden vorbereitet. Für die Rückfahrt gab es noch keinen Fahrer. Dies war meine Chance. Ich bot mich bei Herrn Reinders für die Fahrt an und er stimmte zu.

Zugegeben, ein bisschen aufgeregt war ich schon, als ich mit Barbara, einer Laborantin aus dem Krankenhaus in Medenin, den Bully mit allerlei Gerät voll stopfte. Barbara war mit der Louage, einem Streckentaxi, nach Tunis gekommen, um neues Gerät abzuholen.

Der beladene Bully stand abfahrt bereit auf dem Hof des Regionalbüros. Die letzten Formalitäten wurden erledigt und dann ging es ab Richtung Süden. Auf dem Rückweg sollte ich in Gafsa ein kleines Paket persönlich abgeben und die Frachtkoffer eines ausscheidenden Helfers nach Tunis bringen. Die Übernachtungsfrage war geklärt. In der Wohnung von Barbara konnte ich ein Notbett benutzen. Wieder mit von der Partie mein Teleobjektiv und die Kameraausrüstung.

„Was willst du denn damit?“ fragte Barbara erstaunt, als sie die Tasche mit dem herausragenden Schulterstativ sah.

„Ach, dass ist für meine Verteidigung. Ist die Kamera angeschraubt, was meinste, wie ich damit zuschlagen kann.“

Barbara navigierte den Bully aus der Stadt und fuhr das erste Stück über Land. Das gab mir Gelegenheit in Ruhe die Landschaft auf mich wirken lassen. Es ging immer wieder vorbei an den Zeugen einer sehr alten Zivilisation, die gelegentlich als Schuppen oder Stall herhalten musste. Ich konnte die Fahrt genießen. Die Unterhaltung drehte sich vor allem um unsere persönlichen Geschichten. Irgendwie waren wir schnell miteinander vertraut geworden.

Der Verkehr auf der Straße Nr. 4 war ruhig. Alte, klapprige Lkw, Pritschenwagen jeden Alters und jeder Marke und Eselskarren, oft so hoch beladen, dass man von hinten den Lenker nicht erkennen konnte. Diese Esel taten mir leid.

In den kleinen Ortschaften ging es vorbei an Märkten, auf denen es von Menschen wimmelte und neben den Märkten, die Plätze der Louage, den Streckentaxis, auf beziehungsweise in denen sich ebenfalls die Menschen drängten. Viele der meist alten Kombis oder Pick-ups waren bereits stark beladen. Barbara erklärte mir, warum die Taxis trotzdem nicht abfuhren. Nur wenn möglichst alle Plätze besetzt sind, wird das Taxi die Fahrt antreten. Mit viel Geld könnte man die Fahrer natürlich auch dazu bringen, sofort ab zufahren. Dann sei aber der Preis für alle noch freien Plätze fällig.

Ein wichtiges arabisches Wort lernte ich, als wir auf einem der Märkte eine Pause einlegten. Der Bully war durch das Kennzeichens, als ein von Ausländern benutztes Fahrzeug zu erkennen. Nicht nur im Land arbeitende Ausländer benutzten Fahrzeuge mit diesen Nummern, auch die Touristen. Die Kinder hatten gelernt, dass man von den Touristen schnell ein Cadeau, ein Geschenk, bekommen konnte und so wurde auch unser Bully von Kindern belagert. Barbara öffnete die Tür und schon schrie die ganze Bande „Cadeau, Cadeau“ und streckte ihr die Hände entgegen. Nach einem scharf gesprochenen “Baraua“ verstummte die Bande, sah Barbara erstaunt an und zog sich zurück. Als die Kinder bemerkten, dass wir den Markt besuchen wollten, unternahmen drei ältere Jungen einen neuen Versuch an etwas Geld zu kommen. Sie boten sich an, auf das Fahrzeug aufzupassen, damit nichts geklaut werde. Barbara erklärte ihnen, dass Tunesien ein ehrliches Land sei und im übrigen würden Diebe nur das eigene Land bestehlen, denn alles was in dem Wagen von Wert sei, gehöre der Regierung.

Wir besuchten den Markt und deckten uns mit frischen Datteln und Obst ein. Als wir zum Auto zurück kamen, stand die Jungentruppe wieder oder noch am Bully und erklärte, sie hätte auf das Auto aufgepasst. Natürlich in der Hoffnung auf ein paar Dinar 4 oder Milim. Barbara bedankte sich nur höflich bei Ihnen und wir setzten die Fahrt fort.

Die Möglichkeit, kreuz und quer durch das Land zu reisen, gefiel mir. So konnte ich das Land in kurzer Zeit kennen lernen. Den Kollegen in den Projekten blieben dazu nur die freien Tage. Es dauerte nicht lange und ich hatte den Job als „Versorger“. Wann immer möglich legte ich die Fahrten auf ein Wochenende, so blieben mir meistens zwei zusätzliche Tage am jeweiligen Ort. Die Kollegen kannten sich aus, und ich kam in Bereiche, die den Touristen verborgen blieben. Natürlich erfuhr ich auf diesen Fahrten auch viel privates, nicht alles zur Verbreitung bestimmt. Dass ich in dieser Hinsicht verlässlich war und vieles für mich behielt, schätzten die Kollegen besonders.

Neben dem Job als „Versorger“ hatte ich auch weiterhin mit Madame Leconte französisch zu lernen und aus dieser Arbeitsgemeinschaft entwickelte sich langsam mehr als eine Lehrer-Schüler-Beziehung.

Ich war weitgehendst mein eigener Herr und niemand redete mir drein. Doch fragte ich mich immer häufiger, wie lange das wohl so weitergehen sollte. Die Verhandlungen über das Projekt schleppten sich hin. Meine Maurerkollegen wurden unruhig und bei ihnen kam Frust auf. Ihnen fehlte eine Aufgabe.

Nach nunmehr über zwei Monaten warten, hatten wir Maurer einen Termin beim Regionaldirektor und erfuhren, dass unser Projekt nicht weitergeführt werde. Wie es für uns drei weitergehen könne, erklärte man uns auch. Der DED würde die Verträge auflösen und die Heimreise buchen. Allerdings gebe es für eine Person die Möglichkeit, ein Projekt beim Aufbau von landwirtschaftlichen Beratungsprojekten im Tschad zu übernehmen. Der Haken dabei, in diesem Land gab es noch keine Organisationsstruktur des DED. Wer dort hinging, wäre der erste DED’ler, der dort dauerhaft eingesetzt wird. Die Entscheidung, das Land zu wechseln, sei freiwillig, niemand würde bei Nichtannahme irgendwelche Nachteile erfahren. Es gebe etwa zwei Wochen Zeit, sich über das Land zu informieren und eine Entscheidung zu treffen. Alle Möglichkeiten des Regionalbüros stünden in vollem Umfang zur Verfügung. Meinem Tagebuch vertraute ich meinen Frust an.

“Heute gab es den großen Knall. Tunesien ist fini !!! Scheiße!!! Nun hocke ich da und muss mich entscheiden, für Tschad oder Heimreise. Was ist die kleinere Scheiße? Blöd, dass ich mit keinem darüber sprechen kann. Gerade heute habe ich einen Brief von Elke erhalten, und sie schreibt, dass sie alles in Bewegung setzen will, um hierher zu kommen. Ich will mal sehen, vielleicht rufe ich in Deutschland an. Das Projekt im Tschad ist schon interessant, es bietet mehr Selbstständigkeit, ich muss alles selbst erledigen.

Ich hatte ja schon daran gedacht, einen Bildband über die Vögel Tunesiens zusammenzustellen. Jetzt bleibt mir wohl nur die Tierwelt des Tschad. Na ja, viel ist darüber auch noch nicht geschrieben worden.

In einigen soll ich Tagen eine Entscheidung treffen. Ab heute hat sich meine Situation total verändert. Mit Besuchen aus Deutschland ist es im Tschad wohl nichts. Schlafen ist im Moment nicht drin. Ich kann einfach nicht. Ist die Aufgabe zu groß für mich? Halte ich das auch durch, ohne durchzudrehen? Zunächst wäre ich zwei, drei Monate mit ein paar GAWI-Leuten im Projektgebiet. Es wird sich wohl nicht alles heute Abend klären lassen. Am liebsten hätte ich Elke angerufen.”

Die Geschichte spielt im Süden, im Bereich Moundo - Lai - Pala und Nord Kamerun.

Diese Nachricht musste erst einmal verarbeitet werden. Jedenfalls war die Situation klar. Mein Vorhaben, Entwicklungshelfer gescheitert? Nicht so ganz. Ein Angebot gab es ja und es lohnte sich, es zu prüfen.

Am nächsten Tag bat mich der stellvertretende Direktor zu einem Einzelgespräch in sein Büro. Auch ihm hatte man eröffnet, dass er nicht in Tunesien bleiben könne, da die Anzahl der Helfer stark reduziert werden sollte. Er hatte ebenfalls das Angebot in den Tschad zu wechseln und dort das Büro als Außenstelle von Kamerun zu leiten, bis eine volle Stelle zur Verfügung stehe.

Von nun an traf ich mich regelmäßig mit Herrn Reinders. Wir besorgten uns alles, was über den Tschad zu bekommen war. Temperaturen von über 40°C am Tage, kaum Regen, Stammesfehden zwischen Nord und Süd, keine Rohstoffe, nur Landwirtschaft und da nur Baumwolle als Exportware. Kurz gesagt: Ein Land in dem man eigentlich nicht leben möchte. Jede auch noch so kleine Information wurde gemeinsam bewertet.

Im Laufe der letzten Tage hatten wir uns gegenseitig besser kennen gelernt und es gab eine Basis des Vertrauens, nicht unbedingt Freundschaft, dazu waren wir zu verschieden. In einem waren wir uns schnell einig. Für eine derartige Aufgabe braucht es gegenseitiges Vertrauen. Wenn einer von uns allein ging, wen bekam er dann später zur Seite? So fiel als erstes die Entscheidung, wir gehen beide oder keiner.

Mit der Zeit trafen weitere spärliche Informationen zu den Projekten ein. Sie wrden bisher von einem Bauingenieur aus Kamerun betreut. Er fuhr einmal im Monat in den Tschad, um den Baufortschritt zu überprüfen. Dieses Vorgehen hatte unsere Zentrale in Bad Godesberg, als wenig effektiv erkannt und daher entschieden, einen Baumenschen als ersten in den Tschad zu entsenden. Erst danach den Regionaldirektor und die für das erste Landwirtschaftsprojekt vorgesehene Gruppe. Die erste Zeit würde meine Unterkunft von einer Landwirtschaftsschule gestellt, deren Abgänger durch die Projekte des DED weiter betreut werden sollten. Diese Schule wurde von der GAWI 5 betrieben und betreut. Sie sollte auch das erste Fahrzeug stellen.

Nun war bekannt, dass es zwischen diesen Organisationen nicht immer ein gutes Nebeneinander gab und von einem Miteinader hatten wir bisher nichts gehört. Die einen waren als Idealisten mit kleinem Gehalt und die anderen als Profis mit dreimal so hohem Gehalt bekannt. Auch das galt es zu bedenken. An Informationen aus und über diese Schulen war in Tunis nicht heranzukommen.

Eins hatte ich aber herausgefunden, Ilses Projekt war gar nicht so weit von entfernt, nur rund 450 Kilometer, nicht einmal eine Tagesreise. Später musste ich feststellen, das ist von der Jahreszeit abhängig.

Nach vielen abendlichen Gesprächen und noch mehr Rotwein hatten wir, Herr Reinders und ich, uns entschlossen, das Wagnis Tschad gemeinsam anzugehen und den Regionaldirektor informiert. In Godesberg war man entweder froh, überhaupt jemanden für den Projektaufbau gefunden zu haben oder man traute mir, trotz der Schwierigkeiten in Berlin, zu, mit den ungewöhnlichen Dingen fertig zu werden.

Nun liefen die Informationen über den Transfer ein. Mir hatte man angeboten, alles was ich nicht in den Tschad mitnehmen wollte, auf Kosten des DED an meine Heimatadresse zu schicken und das war für die kurze Zeit schon einiges. Auf einmal ging alles ganz schnell. So war ich damit beschäftigt, die Dinge zu ordnen, Geld tauschen, Abschied feiern.

Mein Flugticket war angekommen. Die Reise ging von Tunis nach Rom, von dort nach Douala und dann nach einem Zwischenaufenthalt in Yaoundé weiter nach Fort Lamy. In Douala sollte ein Vertreter des DED mit dem Einreisevisum für Kamerun auf mich warten. Nur so war es in der kurzen Zeit möglich, ein Visum für Kamerun zu erhalten, denn dort waren einige Tage in unserem Regionalbüro eingeplant.

An der Zoll- und Passkontrolle hieß es wegen meines Teleobjektives wieder Auspacken und dann saß ich im Flieger nach Rom.

Abelas Amulet

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