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Zurück in Deutschland
ОглавлениеDen Tschad, drei Mal so groß wie Deutschland, das Land aus dem ich vor einigen Monaten zurückgekehrt war, kannte hier in meiner Heimat kaum jemand. Afrika war für viele ein unbekannter, exotischer und von Befreiungskriegen geschwächter Kontinent. In Südafrika herrschte das Apartheidsregime und nicht erst seit ich wieder zurück war, gehörte Miriam Makeba’s Klicksong und das Lied Patapata zu meinen Favoriten. Ein Sprachforscher hatte mir im Tschad die Originalversion von The Leon sleep to night aus dem Jahr 1939 auf mein Tonband gespielt, die Sprache: Zulu. Das dieses Lied so alt war und aus Südafrika stammte, wusste hier niemand.
Die Grenzen des Landes waren von den Kolonialmächten gesteckt, nicht an vorhandenen kulturellen Strukturen ausgerichtet und Ursache für viele kleine und große Konflikte. Die verschiedenen Regionen dieses Landes, von der Zentralsahara im Norden bis kurz vor den tropischen Regenwald, hatte ich natürlich nicht alle kennengelernt, aber das was ich kennenlernen durfte, war beeindruckend. Die Menschen waren trotz ihrer Armut freundlich und fröhlich. Natürlich gab es auch Auseinandersetzungen, aber fast nur mit Firmen.
Dass in der Sahelzone Reis angebaut wird und der Rohstoff für unsere Baumwollhemden möglicher Weise aus dem Tchad stammt, wen interessierte das hier.
Ich steckte noch ganz in den Erinnerungen fest. Fast fünf Jahre hatte ich als Entwicklungshelfer im Tschad gearbeitet, dort meine Frau Abela, eine Tschadderin, kennengelernt und sterben sehen. Nach ihrem gewaltsamen Tod wollte ich etwas Abstand gewinnen von dem, was sich in den letzten Wochen ereignet hatte. Nach den Vorstellungen ihrer Vorfahren, lebte sie jetzt in der Welt der Ahnen, und ich konnte mir ihrer Hilfe in der hiesigen Welt sicher sein. Sie war Christin, die Verbindung zu den Ahnen hatte sie aber nie aufgegeben.
Abela hätte bestimmt gewollt, dass ich meine Arbeit fortsetze und ich hatte mich auch darauf eingestellt, doch zurück konnte ich nicht mehr. Die Regierung der BRD hatte den Neffen, des Bundespräsidenten, der zu den drei Geiseln der Frolinat gehörte, mit 2,2 Millionen DM und mit einem an drei Tagen über die Deutschen Welle ausgestrahlten Manifest der Geiselnehmer, freigekauft. Aus humanitären Gründen, wie man erklärte. Die Ausweisung aller Deutschen aus dem Tschad und der Abbruch der diplomatischen Beziehungen war aus Sicht des Tschad unumgänglich. Die französische Regierung blieb hart und ließ sich auf keinen Handel ein. 1 Dort lagen die Interessen anders. Man brauchte den Tschad als Militärbasis und die dort vermuteten Rohstoffe, Uran und Erdöl. Die beiden französischen Geißeln blieben über Monate als Gefangene im Norden.
Ich fragte mich immer wieder, ob meine Regierung für ‘normale’ Helfer, wie meine Kollegen und mich, auch so gehandelt hätte. Meine Meinung: wohl eher nicht.
Madame Leconte, die Betreuerin meines Projektes bei der UNORD 2 in Paris, hatte für mich einen Einsatz in einem anderen Land ermöglicht, denn mein Vertrag lief ja noch. Ich hatte abgelehnt. Entweder machte ich dort weiter, wo ich aufgehört hatte, und es gab noch reichlich zu tun, oder ich kümmerte mich um meine weitere Berufsausbildung. Mein Berufsziel, Bauingenieur, war durch die eingetretene Änderung der Zugangsvoraussetzungen für Fachhochschulen nur noch über den Umweg der Techniker Ausbildung oder mit dem Abschluss der Fachoberschule zu erreichen. Erst 26 Jahre alt, fühlte ich mich an der Fachoberschule als alter Mann, und so blieb ich in meinem Heimatort und begann die zweijährige Ausbildung zum Bautechniker. Bei den Leuten mit Berufserfahrung fühlte ich mich wohler. Ich hatte eine Lehre als Bauzeichner und Maurer abgeschlossen als ich zum DED kam. Meine Zeit in Afrika hatte man zum Glück als Praxiszeit nach der Ausbildung anerkannt, obwohl die Baumethoden sich doch sehr unterschieden.
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Dass ich mich nach Ablauf meiner regulären Dienstzeit beim DED entschlossen hatte, weiter im Tschad zu bleiben, stand immer noch als stiller Vorwurf meiner Eltern und meiner Freundin Elke im Raum. Sie hatte inzwischen ihren Lehrer geheiratet und von meiner Kollegin Ilse aus Kali in Kamerun hatte ich seit über einem Jahr keine Adresse.
Es fiel mir schwer, mich in Deutschland wieder zurecht zu finden. Die Zeit bis zum Beginn des ersten Semesters war schwierig. Meinem Hobby, die Ornithologie, half mir, mich abzulenken. Was ich erlebt hatte, stieß daheim auf wenig Interesse. Dabei hatte ich so vieles, über dass es sich meiner Meinung lohnte, nach nachzudenken. Manchen Abend saß ich allein in meiner kleinen Wohnung, Kopf und Wohnung voll gestopft mit Erinnerungen. Von Abela waren mir nur Fotos und das Amulett geblieben, das sie mir bei unserem ersten Zusammentreffen geschenkt hatte. Ich hatte ihr damals versprechen müssen, es immer bei mir zu tragen.
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Dieses Amulett, ein kleines, mit schwarzem Leder ummanteltes Kästchen unbestimmten Inhalts, lag auf meinem Schreibtisch. Auf dem Plattenspieler drehte sich mal wieder die LP von Miriam Makeba, und ich fragte mich, ob Abela meine Entscheidung, nicht in ein anderes Land zu gehen, richtig gefunden hätte. Auf dem Tisch lagen die Fotos für einen Vortrag über meine Arbeit, den ich am nächsten Abend vor einer kleinen kirchlichen Gruppe halten sollte. Ich ärgerte mich mal wieder über den Mann, der meine Rückkehr in die Heimat meiner Frau verhindert hatte und darüber, dass der Mord an meiner Frau, einfach als Stammesfehde abgetan wurde. Ich sah da ganz andere Gründe. Bisher wussten nur einige meiner Freunde, meine Eltern und Verwandten, dass ich einmal mit einer Tschadderin verheiratet war. Bei den wenigen Vorträgen hatte ich diese persönlichen Dinge ausgespart. Dazu wollte ich keine Fragen beantworten. Für die meisten Zuhörer waren die bunten Bilder wichtig. Was sich dahinter verbarg, erfassten die meisten Zuhörer nicht. Davon war ich überzeugt. Aber ich wollte nicht nur Anekdoten und Geschichten aus diesem Land berichten, denn damit allein könnte man Bücher füllen. Vom Missionar, der mit seinem 203 unter eine Elefanten fuhr, vom Kollegen, der zwei Stunden auf der Polizeiwache verbrachte, weil er einen Leichenzug überholt hatte, vom Gefangenen, dessen Französisch gerade für „Bon jour“ reichte, der uns aber die Tore zur Sous-préfecture bereitwillig öffnete und uns aufforderte, das zu suchen, weswegen wir gekommen waren, von verschwundenen Geldern und Bocksprüngen des afrikanischen Amtsschimmels. Es konnten auch keine Erfolgsberichte sein, denn im eigentlichen Sinne hatte ich ja kein Projekt. Ich sollte nur Häuser für meine Kollegen bauen. Natürlich, Erfolge gibt es immer, es ist nur eine Frage des Maßstabs. Eine Landwirtschaftsschule bildete pro Jahr etwa 40 Bauern aus. Ist das ein Erfolg? - Ja, könnte man meinen. Aber wenn nach drei Jahren nur noch vier junge Männer nach dem gelernten arbeiteten auch noch? Die Frage nach den Gründen stellte sich. Und die Antwort? Sie war nicht in den Bildern.
Die Probleme die mir begegneten waren vielschichtig verknüpft. Es gibt viele Vorschläge die sich gut anhören, aber oft an Verhältnissen scheitern, die nicht nur in Afrika liegen. Unsere Lebensweise und Lebenseinstellung den Menschen dort nahe zubringen und ihnen wie ein Mantel von der Stange überzustülpen, kann das richtig sein?
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In diesem Vortrag wollte ich zum Abschluss das erste Mal die Entführung ansprechen und dass durch den Rausschmiss der Deutschen die Projekte nicht weitergeführt werden konnten. Ich hoffte, so meinen Ärger über meine Regierung los zu werden.
Die Zuhörer reagierten anders als ich es erhofft hatte. Sie brachten kaum Verständnis für das Verhalten der tschaddischen Seite auf, die die Hilfe aus Deutschland einfach abgewürgt hatte. War es nicht die Pflicht unserer Regierung alles für die Freilassung der Geisel zu tun? Dass sich der Mann selber in eine gefährliche Situation gebracht hatte, konnte kaum jemand nachvollziehen. Er hatte mit den zwei Franzosen und zwei hohen Regierungsbeamten eine Feier besucht. In einem Gebiet in dem Rebellen aktiv sind, eine riskante Sache. Doch so wurde es in Deutschland nicht dargestellt.
Nach dem Vortrag, sprach mich eine Frau, um die vierzig, an. Sie hatte geduldig gewartet, bis alle Fragen zu den Pisten und den Schwierigkeiten mit der Bauweise beantwortet waren und ich meine Utensilien zusammenpackte. Sie fragte, ob ich nicht Lust hätte, wieder nach Afrika zugehen. Ich unterbrach das Aufwickeln der Verlängerungskabel und sah sie erstaunt an. In der Stimme dieser Frau lag etwas ernsthaftes. Etwas verlegen antwortete ich: „Ja, vielleicht, wenn sich was ergibt.“
„Ich kann sie verstehen. Ich weiß wie es ist, wenn man ein Projekt aufgeben muss. Was machen sie eigentlich jetzt beruflich?“ wollte sie wissen.
„Ich mache eine Ausbildung zum Bautechniker hier in Osnabrück.“ legte ein Kabel in den Koffer und fragte: „Sie waren auch als Entwicklungshelferin tätig?“
„Nein, nicht so wie sie. Ich arbeite hier bei ‘Kinder der Welt’ und komme nur selten raus. Glauben sie mir, ein Projekt aufzugeben, fällt auch uns hier schwer. Wir wissen, wie viel Energie die Leute vor Ort da reingesteckt haben. - Wo kommt die Leinwand hin?“
„Die kann stehen bleiben.“
„Ich würde sie gern noch auf ein Bier einladen. Wie wär’s, dann könnten wir uns noch gemütlich unterhalten.“
Der Verantwortliche des Abends, ein älterer Herr, hatte seine Gäste vor der Tür verabschiedet und war wieder in die kleine Aula der Grundschule gekommen. „Na Marion, habe ich dir zu viel versprochen?“
„Nein. Es war sehr interessant was Herr Winter über seine Arbeit erzählt hat. Ich weiß nur nicht, ob die Leute morgen auch noch daran denken. Ich habe Herrn Winter noch zu einem Bier eingeladen, kommst du noch mit?“
„Ja, hat Herr Winter denn schon zugesagt, oder will er jetzt lieber nach Hause?“
„Sie haben meine Neugier geweckt, ich komme mit.“ sagte ich.
An diesem Abend bot Marion mir an, in den Sommerferien für vier Wochen beim Aufbau eines Waisenheims in der Hauptstadt Kameruns zu helfen. Dort würde dringend jemand gebraucht, der sich mit Bauen auskennt. Ich musste zugeben, es reizte mich schon. An diesem Abend erhielt Marion nur die Zusage zu einem weiteren Treffen.
Die Aussicht wieder nach Afrika zu kommen, war verlockend. Ich stimmte schließlich zu. Das Projekt in dem ich helfen sollte, die Gebäude fertig zu stellen, nahm Straßenkinder auf. Kinder, die von ihren Eltern an große Plantagen verkauft worden waren, weil sie sonst keine Möglichkeit sahen, die Kinder durchzubringen. Einige der Kinder hatten sich dann in die große Stadt davon gestohlen, und hofften dort auf ein besseres Leben. Bevor sie in dem Heim aufgenommen wurden, bestritten sie ihren Lebensunterhalt mit dem Durchsuchen von Abfällen und Diebstählen.
Es war bestimmt im Sinn von Abela, denn Kinder waren für sie das Größte. Nur in meinem Umfeld stieß ich mit meiner Entscheidung wieder auf wenig Verständnis. War man doch gerade dabei, mich von einem Broussard, jemandem der im Busch lebt wieder zu einem ordentlichen jungen Mann zu machen.