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Die Baustelle Torrok
ОглавлениеAuf meinen Tisch lagen einige Briefe. Meine Eltern hatten geschrieben, meine Freundin Elke und Uwe Reinders. Ich öffnete zuerst den Brief meiner Eltern. Mein Vater teilte mir mit, dass er den VW-Käfer, den ich zurück gelassen hatte, nun doch nicht verkauft hatte. Er hatte mit über 50 Jahren noch einen Führerschein gemacht. Wie oft hatte ich ihn früher gedrängt, den Führerschein zu machen. Ich freute mich, denn jetzt mussten meine Eltern nicht mehr die vier Kilometer zu ihrem Kleingarten mit dem Rad fahren. Die Kriegsverletzung behinderte meinen Vater zunehmend.
Meine Freundin Elke berichtete die neuesten Nachrichten aus meinem Bekanntenkreis. Johann hatte ein Lehrerstudium begonnen, Andreas hatte sich für mehrere Wochen als Vogelwart verpflichtet und sie selbst habe einen Jungen kennen gelernt, der absolut nichts mit der Ornithologie am Hut hat. Diese Mitteilung kam etwas überraschend, aber hatte ich nicht damit rechnen müssen? Vielleicht wäre es ja mehr geworden als Freundschaft, wenn ich mich nicht für den Tschad entschieden hätte.
Damit war ich privat auf dem Laufenden. Uwe berichtete zwar auch einige persönliche Dinge, wichtig war jedoch, dass der DED in Deutschland bereits die Gruppe für das nächste Projekt ausgesucht und für den nächsten Ausbildungskurs in Berlin eingeladen hatte. Godesberg wollte wissen, wie es bei uns weiter gehen wird.
Gerd Baumann hatte mit beiden Projekten begonnen, doch Torrok hatte ich sehr vernachlässigt. Dafür hatte ich gute Gründe. Zwischen den beiden Projekten gab es einen wesentlichen Unterschied. Pont Carol war direkt am Rande eines Dorfes gelegen, nur zwei-, dreihundert Meter von der Hauptpiste entfernt, Torrok sollte auf dem freien Feld entstehen und lag zu dem an einer Nebenstrecke.
Es gab inzwischen ausreichend Steine für einen Baubeginn. Nur mein Maurer war noch in Pont Carol für längere Zeit beschäftigt. Ich suchte nach einer Lösung. Auf die Schnelle fiel mir hierzu nichts ein. Für heute hatte ich genug von Neuigkeiten. Eine Lösung würde sich noch in den nächsten Tagen finden. Aktionismus war nicht angebracht, das hatte ich in diesem Land schon gelernt.
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Am nächsten Tag sprach ich mit Werner Weber, dem Außenberater der Schule, über mein Problem. Zwischen uns hatte sich eine Freundschaft entwickelt. Werner war der Meinung, dass die Schule in Fianga einen Maurer beschäftigt. Max sollte mehr darüber wissen, und Max wusste mehr. Es gab in Fianga einen Maurer, ob der jedoch für das DED-Projekt freigestellt werden konnte, wusste er auch nicht. Es koste aber nichts, den Kollegen in Fianga zu fragen. Ein weitere Möglichkeit wäre, Pje Noire von der Mission Fianga zu fragen.
Den Spitznamen Pje Noire, Schwarzfuß, hatte der Pater von den Weißen der Gegend erhalten, weil er fast immer ohne Socken und in Sandalen unterwegs war. Pje Noire war ein etwa 50 Jahre alter, deutscher Franziskaner Pater, der schon längere Jahre in der Missionsstation lebte. Er kannte sich in der Gegend gut aus und hatte beste Kontakte zu den Einheimischen. Am Sonntag morgen war er mit Sicherheit in Fianga, um die Messe zu lesen. Ich entschloss mich Pje Noire am Sonntag zu besuchen. Bis dahin musste Uwe auf eine Antwort warten.
Früh am Morgen machte ich mich auf den Weg. Ich hatte mich für den kurzen Weg durch den Busch entschieden und rechnete mit etwa einer Stunde Fahrzeit. Die Strecke über Pala war fast doppelt so lang. Der Weg, von einer Piste konnte man nicht wirklich reden, war wegen der Trockenzeit gut befahrbar. Selbst die Bachdurchfahrt in der Nähe der Schule Karoual war problemlos. 20 Meter die steile Böschung runter, durch den Bach, auf der anderen Seite kurz die Böschung hoch und dann 90 Grad nach links, um einen dicken Baumstubben herum und den Rest der Böschung wieder hinauf. Danach war es mehr oder weniger eben. Ich erreichte die Straße Pala – Bongor und bog in Richtung Fianga ein. Die Missionsstation, das DED Projekt und die Landwirtschaftsschule lagen nur wenige Kilometer auseinander vor dem Ort Fianga. Da ich nicht unbedingt in die Messe hineinplatzen wollte, fuhr ich zunächst zur Baustelle und musste feststellen, dass sich nicht viel getan hatte. Die Steine waren aufgestapelt und die Fundamentringe standen noch so, wie ich sie bei meinem letzten Besuch vorgefunden hatte. Wie Pont Carol vor einigen Wochen. In vier Monaten sollte auch hier alles so weit sein, dass die DED’ler wohnen konnten. Das war mit meinen Leuten nicht einmal mit Glück zu schaffen.
Ich fuhr weiter zur Missionsstation. Es war gegen elf als ich ankam. Den Wagen parkte ich vor einem großen Haus mit mehreren Eingängen. Als ich ausstieg, war ich umringt von einer Schar Kinder, die mir alle die Hand geben wollten. Aus dem vorderen Eingang kam mir eine Frau entgegen. An ihrer Kleidung war sie als Ordensschwester zu erkennen. Sie begrüßte mich in deutsch mit schweizerischem Akzent. „Ich bin Schwester Hildegard, sie müssen der Deutsche aus Pont Carol sein. Ich freue mich, dass sie uns einmal besuchen. Wie kann ich ihnen helfen.“
„Schwester Hildegard, ich möchte gern zu“ ich machte eine Pause, ich hatte den richtigen Namen vergessen und Pater Schwarzfuß wollte ich nicht sagen. „zum Pater. Ist er da?“
„Ja, Pater Robert ist vielleicht noch in der Sakristei, da drüben, die kleine Tür. Sonst ist er in seinem Büro hier hinten, die letzte Tür.“
„Schwester Hildegard, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Herbert Winter.“
„Ich weiß junger Mann. Bevor sie gehen, kommen sie doch bitte noch zu mir rein.“
„Pater Robert, Pater Robert“ riefen die Kinder und rannten alle in eine Richtung. Pater Robert kam, in buntem Hemd, kurzer Hose und ohne Socken, aus der Sakristei zu mir herüber.
„Monsieur Winter. Ich bin Pater Robert. Wir haben schon von Ihnen gehört. Kommen sie doch bitte mit in mein Büro.“ Er war kein ‘heiliger Mann’ im Ornat mit dem Kreuz auf der Brust. Ein ganz normaler Mann. Seinem Spitznamen machte er allerdings alle Ehre, denn er hatte nur Sandalen an den Füßen.
„Wir haben uns schon einige Male auf der Schule in Karoual gesehen. Sie haben da einige Schüler besucht. Mit einander gesprochen haben wir aber noch nicht.“ sagte ich.
„Nein, leider nicht. Als ich vor kurzem durch Pont Carol kam, waren sie nicht da. Man sagte mir, sie seien zum Einkaufen in Garoua.“
„Das stimmt, in Pala bekommt man ja nicht alles oder muss lange Lieferzeiten einrechnen und dann fehlt trotzdem oft noch die Hälfte.“
„Ja, das kenn ich. Wir versorgen uns meistens direkt. Das Bistum hat ein großes Lager und Werkstätten in Moundou.“
Wir hatten das Büro erreicht. Ich nahm in einen der Sessel platz und Pater Robert begann. „Erzählen sie mal, wie geht es in Torrok weiter. In Pont Carol sind sie ja schon recht weit.“
„Ja, Pater, deswegen bin ich eigentlich hier. In Torrok sollen in etwa vier Monaten unsere Leute einziehen. Ich weiß, dieser Termin ist fast nicht zu schaffen. Ich möchte sie daher fragen, ob sie mir bei der Auswahl von Personal behilflich sein können. Ich brauche einen erfahrenen Maurer und einige geschickte Helfer. In der Schule in Fianga werde ich heute Nachmittag auch noch nachfragen.“
„Monsieur Winter, sie haben in der kurzen Zeit schon viel geschafft. Natürlich werde ich ihnen helfen. Ihre Vorhaben in Pont Carol und Torrok finden wir alle gut. Die Nachbetreuung durch die Schulen ist längst nicht ausreichend. Wie haben sie sich denn die Arbeit vorgestellt?“
„Oh, ich bin kein Landwirt, Pater, ich bin nur für die bauliche Seite der Projekte verantwortlich. Die eigentliche Arbeit wird von meinen Kollegen, einem Landwirt und einem Mechaniker, übernommen. Die kommen in etwa zwei Wochen nach Pont Carol.“
„Und was machen sie, wenn Torrok fertig gebaut ist?“
„Der DED will noch weitere Projekte aufbauen, und soweit ich weiß, gibt es auch dort keine Häuser.“
„Dann wirst du“ er machte eine kleine Pause „Ich darf ihnen das Du anbieten Herbert? Wir werden sicher öfter miteinander zu tun haben.“
„Ja sicher, Pater.“
„Herbert, du wirst also Pont Carol wieder verlassen?“
„Nein, Pont Carol wird wohl bis auf weiteres mein festes Quartier. So ist es zumindest geplant.“
„Also, Du brauchst einen Maurer, dass ist kein Problem. Die Schule in Fianga hat einen guten Maurer und so weit ich weiß, ist der im Moment nicht mit Bauarbeiten beschäftigt. Man wollte ihn in Fianga nicht entlassen, weil gute Maurer nicht ständig frei sind. Was die Helfer angeht, werde ich in den Dörfern gute Leute finden. Was hältst Du davon, wenn Du zum Essen bleibst. Schwester Hildegard und die Anderen würden sich freuen. Die können dann ihre Neugierde direkt befriedigen. Sonst fragen die mir doch nur noch ein Loch in den Bauch.“
„Wenn ich nicht störe, gern.“
„Hier stört keiner. Unsere Mission ist offen für jeden. Wer kommt ist da.“ Wir unterhielten uns noch weiter über die Schulen und die Zukunft der Projekte. Als eine Glocke ertönte, unterbrach der Pater mitten im Satz und sagte: „Komm wir gehen rüber. Hildegard ruft zum Essen.“
Das Mittagessen wurde an einem langen Tisch serviert. Pater Robert stellte die versammelten Personen vor. Schwester Hildegard kennst du ja schon. Die junge Dame in Schwarz, er meinte das in einem doppelten Sinne, ist unsere Schwester Veronik, eine junge Ordensschwester aus Moundou, Bruder Bernard und unsere Diakone Julbert und Eduard.“
Bei Tisch hatte man sich schnell auf ein allgemeines du geeinigt. Während des Essens musste ich von mir erzählen und viele Fragen beantworten. Besonders Schwester Hildegard wollte einiges wissen. Die offene Art, ihr ganzes Verhalten, erinnerte mich an Ilse, obwohl Schwester Hildegard wohl zwanzig Jahre älter war. Nach und nach verabschiedeten sich die Angehörigen der Mission. Als nur noch der Pater und Schwester Hildegard am Tisch saßen, fragte Hildegard unvermittelt: „Hast du eigentlich eine Freundin?“ Was sie eigentlich wissen wollte war klar, bist du fest mit einer Frau zusammen. Ja, darüber war ich mir sich selbst nicht im klaren. Was war das mit Ilse? Immer wenn wir zusammen waren, kam es mir vor, als könnte es gar nicht anders sein. Geredet hatten wir aber nie darüber. Wir genossen es einfach, wenn wir zusammen waren. Das war schon in Berlin so, Ilse und Herbert. Schwester Hildegard bemerkte meine Verlegenheit und beeilte sich hinzuzufügen „Entschuldige, das war etwas indiskret. Da ist die Neugierde mit mir durchgegangen.“
„Schwester Hildegard ist in persönlichen Dingen immer gerne gut informiert. Sie kann aber auch Dinge gut für sich behalten.“ Damit war mein Seelenfrieden wieder hergestellt und Pater Robert fügte schnell hinzu: „Wie seit ihr eigentlich auf den Bauplatz gekommen?“ Ich wusste nur, dass der von Gerd Baumann zusammen mit jemandem von der Schule festgelegt worden war. Die Mission lag etwa in der Mitte zwischen der Schule und meinem Projekt. „Das kann ich nicht sagen. Wieso, is was mit dem Bauplatz?“
„Der Platz ist zwar trocken, doch denkbar schlecht für die Wasserversorgung? Wenn man da einen Brunnen bauen will, stößt man sehr schnell auf Felsen. Deshalb gibt es in dem Bereich auch keine Siedlung.“ bemerkte Schwester Hildegard. Das war keine gute Nachricht. Es bedeutete wohl möglich das Aus für dieses Projekt.
„Wir sind hier am nächsten dran. Die Baustelle könntest du von hier mit 200-ltr-Fässern versorgen und dann müssen wir mal sehen.“ beruhigte Pater Robert.
„Robert wird Dir mit der Wünschelrute schon zeigen wo Du Wasser findest. Das hat bisher immer hingehauen.“
„Hildegard, versprich nicht zu viel. Ich bin selbst nicht ganz überzeugst, dass es wirklich immer mit dem suchen klappt. Ich kann in den nächsten Tagen die Baustelle ja mal abgehen. An der Stelle wo ich meine, schlage ich dir einen Stock mit einem roten Band in die Erde.“
Schwester Hildegard hatte ihre Frage von vorhin noch nicht ganz vergessen und setzte noch einmal nach. „Die haben dich doch nicht ganz allein hergeschickt. Da waren doch noch mehr Leute in der Vorbereitung.“
„Die mit mir in Berlin waren sind alle in anderen Ländern. Die nächsten sind Ilse und Ingrid in Kamerun, südlich von Garoua.“
„Die kannst du doch sicherlich zwischendurch besuchen?“
„Hildegard frag nicht, Herbert wird schon wissen, wann er wohin fährt.“ blockte der Pater etwas barsch.
Die Zeit nach dem Essen war wie im Flug vergangen. Wenn ich noch in der Landwirtschaftsschule Fianga etwas erreichen wollte, musst ich mich jetzt auf den Weg machen. Zur Abendbrotzeit dort anzukommen, empfand ich als unhöflich.
So verabschiedete ich mich von Schwester Hildegard und Pater Robert. Diese Schule war komplett neu errichtet. Ich kannte sie von meinen spärlichen früheren Besuchen und fuhr direkt zur Wohnung des Mechanikers. Dessen Boy erklärte mir, dass sein Monsieur am Schwimmbecken sei. Ich ließ mir erklären, wo das war, denn von einem Schwimmbecken hatte ich bisher noch nichts gehört.
Das Schwimmbecken, ein ca. 5 mal 10 m großes und 1,60 bis 2 Meter tiefes Becken, lag etwas abseits hinter einer Halle. Zwischen Becken und Halle gab es einen Rasenersatz aus niedrigen, widerstandsfähigen Bewuchs und eine komplette Terrassen Einrichtung. Der Mechaniker saß in einem Liegestuhl und blätterte in einer Autozeitschrift. Wir begrüßten uns und ich begann die Unterhaltung mit meinem Erstaunen über das Schwimmbad. „Ich wusste gar nicht, dass ihr hier ein Schwimmbecken habt.“
„Haben wir auch nicht. Das ist unsere Wasserreserve für die Ochsen. Hier kann das Wasser schon mal knapp werden. Ein Schwimmbecken hätte ich dichter an den Häusern gebaut.“
„Gemütlich ist es hier aber trotzdem.“
„Was führt dich her, den Weg machst du doch nicht ohne Grund an einem Sonntag.“
„Ich hatte gerade nichts besseres zu tun und wollte mal wieder deinen 280er Mercedes bewundern. Im ernst, ich habe ein Problem mit meinem Projekt in Torrok.“
„Und was habe ich damit zu tun?“
„Du, ich brauche einen Maurer. Pje Noire hat mir gesagt, ihr hättet einen Maurer, aber keine Mauerarbeiten für ihn.“
„Du willst ihn dir ausleihen?“
„Ja, das wäre toll, dann hätte ich jemanden auf den ich mich verlassen kann und muss nicht lange nach einem guten Mann suchen, den ich nach drei Monaten wieder entlassen muss.“
„Aus meiner Sicht kannst du ihn für die nächsten Monate ausleihen. Entscheiden muss aber der Chef. Der ist über das Wochenende mit seiner Frau nach Waza 14 gefahren, Löwen bekucken. Ich kann ihn fragen, wenn er zurück ist. Bleibst du noch zum essen?“
Ich nahm die Einladung an und suchte mir im Dunkeln den Weg durch den Busch Richtung Karoual.