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1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 1.3.1 ,Law in Literature‘ als methodologische Herausforderung

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Die mit Das Recht in der Dichtung ([1931]) betitelte Studie des Rechtshistorikers Hans Fehr, in der auch die Kerntexte analysiert werden, ist der zweite Band einer Trilogie zu Kunst und Recht, deren erster Band Das Recht im Bilde (1923) sich auf Visualisierungen konzentriert, während der dritte Band Die Dichtung im Recht (1936) ,Poetisches‘ in Rechtstexten aufzufinden sucht bzw. Kleinformen (wie Sprichwörter) behandelt, in denen Rechtswissen gespeichert ist.1 Insbesondere, was diesen letzten Band angeht, steht Fehr in der Tradition der eng mit dem Œuvre Jacob Grimms verknüpften ,Germanistik‘ des 19. Jahrhunderts, die Recht und Literatur ihrem Ursprung nach eng verbunden sah.2 Zugleich sind in den beiden Bänden Fehrs zum Verhältnis von Recht und ,Dichtung‘ bereits zwei Betrachtungsweisen angelegt, die für die derzeitige Forschung zum Verhältnis von Recht und Literatur relevant sind: zum einen die Untersuchung von Rechtsmotiven in literarischen Texten, zum anderen das Aufspüren von ,poetischen‘ Elementen in Rechtstexten bzw. deren Analyse mit literaturwissenschaftlichen Methoden.

In der vielstimmigen Forschungsliteratur aus der ,Law and Literature‘-Bewegung,3 die sich seit den 1970er Jahren von den USA aus gebildet hat, lassen sich zwei entsprechende Hauptströmungen herauskristallisieren, für die sich die Bezeichnungen ,Law in Literature‘ und ,Law as Literature‘ etabliert haben.4 Bei ,Law in Literature‘ geht es – wie schon bei Fehrs Buch Das Recht in der Dichtung – um die Analyse der Repräsentation von Recht in der Literatur;5 daneben wird aber, insbesondere in der US-amerikanischen Juristenausbildung, noch ein anderes Ziel verfolgt: Die Studierenden sollen durch die Lektüre literarisch gestalteter Rechtsfälle Menschenkenntnis erwerben.6 Wird hier eine stark identifikatorische Lektüre gefordert und Literatur sozusagen als bessere Realität betrachtet,7 arbeitet die Forschungsrichtung ,Law as Literature‘8 mit einem grundsätzlich anderen Literaturbegriff: Dort wird betont, dass eine kategorische Unterscheidung der beiden Bereiche nicht möglich sei, weil sich beide des Mediums Sprache bedienten.9 Folgerichtig wurden auch Rechtstexte dekonstruktivistischen Lektüren unterzogen.10 Dadurch wurden zugleich die für das Forschungsfeld ,Law and Literature‘ konstitutiven Dichotomien unterminiert.11 Auch vonseiten der Narratologie ist die einfache Gegenüberstellung von ,Law‘ und ,Literature‘ aufgebrochen worden, indem das Augenmerk auf Phänomene der Narrativierung gerichtet wurde, die sich in beiden Bereichen nachweisen lassen.12 Es dürfte kein Zufall sein, dass das Feld ,Law and Literature‘ inzwischen institutionell unter dem Dach der Forschungen zu ,Law, Culture and the Humanities‘ verortet wird,13 wobei das genaue Verhältnis der beiden Forschungsfelder unklar ist.14

Als programmatisches Argument dafür, weshalb die Formel ,Law and Literature‘ durch andere ,Law and …‘-Verbindungen zu ersetzen sei – nicht zuletzt ,Law and the Humanities‘ –, wird angeführt, dass nur dann historische Perspektiven angemessen berücksichtigt werden könnten. Schließlich habe es eine Zeit gegeben, da ,Law‘ und ,Literature‘ noch nicht systematisch zu trennen gewesen seien.15 Dieses Argument ist für die germanistische Mediävistik, in der die Rezeption der ,Law and Literature‘-Bewegung erst beginnt,16 von hoher Relevanz, da der juristische und der literarische Diskurs im Untersuchungszeitraum nicht streng separiert sind, sondern ,Literatur‘ und ,Recht‘ auf der Ebene der Performanz und der Symbolsysteme eng verflochten erscheinen.17 Zu berücksichtigen wären außerdem der weite Literaturbegriff der Mediävistik, der ,literarische‘ und ,pragmatische‘, also auch juristische, Texte mit umfasst,18 und die Diskussion darüber, ob man es nicht überhaupt mit ,Texten vor der Literatur‘ zu tun habe.19 Bei einer Inbezugsetzung von ,Recht‘ und ,Literatur‘ muss deshalb reflektiert werden, was jeweils damit gemeint ist.20 Eine verallgemeinernde Terminologie erscheint jedoch als zu einfache Lösung, da sie vorhandene Differenzierungen einebnet. Dass es trotz der Schwierigkeiten, ,Literatur‘ und ,Recht‘ kategorial voneinander zu scheiden, auch für deutsche Texte des Mittelalters weiterführend sein kann, heuristisch zunächst eine Differenz von ,Literatur‘ und ,Recht‘ anzusetzen, belegen die Beiträge im mediävistischen Sonderheft Recht und Literatur der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik.21

Wie die Skizze der bisherigen Diskussion erkennen lässt, hat sich im Forschungsfeld ,Literatur und Recht‘ keine allgemein anerkannte Methodik herausgebildet.22 Einen bedenkenswerten Versuch zur Systematisierung stellt der diskursanalytische Ansatz Bernhard Greiners (2010) dar:

Recht und Literatur lassen sich im Horizont Foucaultscher Diskurstheorie im Lichte eines gemeinsamen Dritten aufeinander beziehen, des Diskurses und der diskursiven Praxis, ihrer Regeln, Institutionen, Verfahren der Versprachlichung wie der Wissensproduktion.23

Im Folgenden geht es Greiner weniger um das ,gemeinsame Dritte‘ als vielmehr um die gegenseitige Bezugnahme der beiden Spezialdiskurse ,Recht‘ und ‚Literatur‘. Zwar wäre der verwendete Diskursbegriff zu schärfen,24 doch kann Greiner auf dieser Grundlage eine Systematik entwickeln, die verschiedene Bezugsmöglichkeiten differenziert. Mit der Kategorie „Literatur in der Perspektive des Rechts“ erfasst er zum Beispiel Formen des Rechtsdenkens oder juristisch geprägter Urteilsverfahren in der Literatur, während er unter „Recht in der Perspektive der Literatur“ die Verhandlung rechtlicher Fragen mit den Möglichkeiten der Literatur verstanden wissen will.25 Sein Augenmerk will Greiner ausdrücklich nicht auf das „große Feld der Behandlung von Rechtsthemen in der Literatur“ richten, weil eine Diskursverschränkung nicht gegeben26 und die Hinwendung der Literatur zum Recht, das zum menschlichen Leben gehöre, ,akzidentiell‘ sei.27 Gerade der Aspekt der Referenz auf das ,menschliche Leben‘ müsste jedoch ebenfalls einer methodologischen Reflexion unterzogen werden,28 auch wenn er nicht exklusiv auf den Bereich ,Recht und Literatur‘ beschränkt ist.

Dass das Verhältnis von Recht und Literatur auch unter der übergreifenden Fragestellung des Verhältnisses von Text und Kontext betrachtet werden sollte, klingt in der Einleitung zu einem 2012 anlässlich der Eröffnung eines Law-and-Literature-Studienganges in Hongkong erschienenen Band an:

Recent interdisciplinary work often focuses on the ways in which law can learn from literature or the humanities more broadly, but what intellectual gain can be made from a legal reading of literature or other texts from the humanities? This question often becomes elided perhaps because the act of contextualising literary, philosophical or film texts in legal history is in itself not new. However, further theorisation could shed light on the exact nature of the relationship between the two domains. […] Or perhaps re-contextualisation could shed light on the wider question of the methods and practice of interdisciplinarity, so that the focus is not a re-evaluation of literature or law per se, but on achieving a new understanding of what it means to stage an encounter between them? Would the encounter problematise the difference between literary ‘text’ and legal ‘context’?29

Für den Teilbereich der Untersuchung von rechtlichen Motiven und Rechtskonzepten führen die Überlegungen in der Forschung zu ,Law in Literature‘ also letztlich zur vieldiskutierten Text-Kontext-Problematik.30 Auch unter diesem Blickwinkel sind ,Literatur‘ und ,Recht‘ aber nicht einfach dichotomisch gegenüberzustellen. Vor allem in der kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft ist betont worden, dass ,Literatur‘ sich nicht darauf beschränkt, kulturelle Phänomene aufzunehmen und zu diskutieren, sondern dass literarische Texte Teil der Kultur sind und sie mit prägen.31 Insofern wären literarische Texte, die sich mit dem Recht befassen, als Teil der Rechtskultur zu begreifen. Angesichts einer insgesamt als Zeichensystem verstandenen Kultur wäre die Unterscheidung von Text und Kontext hinfällig, sondern es könnten allenfalls gleichgeordnete textuelle Identitäten miteinander in einen Dialog gebracht werden.32 Auch wenn man literarische Texte nicht aus der Kultur aussondert, ist aber zu fragen, wie sich das Einzelwerk zum ,Kulturganzen‘ verhält; für den analytischen Zugriff ist also trotzdem zwischen einem ,Text‘ als Beobachtungsobjekt und Kontexten als ,Bezugshorizonten‘ zu trennen.33 Eine Differenzierung zwischen einem rechtsbezogenen literarischen Text und dem ,Recht‘ außerhalb dieses Textes scheint ebenfalls weiterhin sinnvoll, denn es haben sich in literarischen Texten spezifische Muster der Sinnbildung nachweisen lassen.34

Doch wie kann der spezifische Zugriff literarischer Texte auf die ,Kultur‘ differenziert beschrieben werden? Als einflussreich in der germanistischen Mediävistik haben sich in den letzten Jahren insbesondere zwei grundlegende Entwürfe zum Text-Kontext-Problem erwiesen: Christian Kiening (2007) und Jan-Dirk Müller (2007) haben jeweils die These aufgestellt, dass bei der Analyse kultureller Logiken, die (narrativen) literarischen Texten inhärent seien, ,Kulturmuster‘ eine zu allgemeine Bezugsgröße seien.35 Müller richtet sein Interesse deshalb auf in bestimmten Zeiträumen wiederkehrende „Erzählkerne und Problemkonstellationen“,36 wobei es ihm vor allem um die narrative Produktivität solcher Erzählkerne geht.37 Die Verbindung zwischen Text und Kultur sieht Müller – unter Bezug auf Cornelius Castoriadis – im Bereich des Imaginären: Das literarisch Imaginäre fasst er „als integralen Teil des gesellschaftlich Imaginären“ (S. 17) auf, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, doch begrenzt Müller seine Ergebnisse zur Anthropologie in der höfischen EpikHöfischer Roman um 1200 ausdrücklich auf das literarisch Imaginäre.38 Das mag auch mit dem gewählten Untersuchungsansatz zusammenhängen, der sich dezidiert auf fiktionale Texte richtet und aus ihnen Problemkonstellationen ableitet, einen Abgleich mit der Verarbeitung dieser Problemkonstellationen in anderen Textsorten aber nicht vornimmt.39 Versucht man, Müllers methodologische Überlegungen für die Analyse von ,Literatur‘ und ,Recht‘ fruchtbar zu machen, ergeben sich an diesem Punkt Probleme, denn eine Differenzierung zwischen dem literarisch und dem gesellschaftlich Imaginären scheint für den gesellschaftlich zentralen Bereich des Rechts besonders schwierig.

Kiening verfolgt in seinen Erwägungen, deren Ausgangspunkt das Aufgreifen bekannter Stoffe in Erzählungen ist, eine stärker rezeptionsorientierte Herangehensweise: Er setzt narrative Muster als syntagmatische Grundelemente, die den Bezug zu vorhandenen Texten konstituierten, von kulturellen Konfigurationen ab, die auf paradigmatischer Ebene den Anschluss an zeitgenössische Diskurse ermöglichten und „[b]ezogen auf die Dreiheit von Motiv, Stoff und Thema […] am ehesten auf der Ebene der Themen zu verorten“ wären.40 Mit dem Bezug auf Diskurse ist ein grundsätzlich anderer Theorierahmen gesetzt als bei Müller: Auch Kiening warnt zwar davor, ,kulturelle Konfigurationen‘ direkt auf historische Tatsachen zu beziehen,41 aber über die Diskurse ist die Untersuchungsperspektive zu nicht-literarischen Texten geöffnet und auch – so von Kiening nicht ausbuchstabiert – zu nicht-diskursiven Praktiken, auf die Diskurse rekurrieren. Kiening selbst betont, dass die „kulturelle Konfiguration […] nicht einfach vom narrativen Muster ablösbar“ sei: „Sie ist nicht ein allgemein verfügbares Thema, das einmal literarisch, ein ander Mal historisch, philosophisch oder theologisch abgehandelt würde.“42 Kienings Modell, das für die von ihm vorgenommene Analyse ,typologisch verwandter Texte‘43 außerordentlich leistungsfähig ist, lässt sich also nicht bruchlos auf die Analyse von ,Literatur‘ und ,Recht‘ übertragen, da in diesem Bereich allgemeine Problemkonstellationen existieren (z.B. die Spannung zwischen allgemeinem Recht und der Billigkeit im Einzelfall), die tatsächlich außerliterarisch wie literarisch diskutiert werden könnten. Insofern wäre für den Bereich ,Literatur und Recht‘ ein Analysemodell nötig, das literarische Texte doch im Hinblick auf übergreifende, aber nicht notwendig überzeitliche kulturelle Muster erfassbar machte.

Anschlussfähig ist jedoch Kienings Forderung, bei der Textanalyse zwischen verschiedenen Bezugshorizonten zu differenzieren, die im literarischen Werk spannungsvoll interagieren können: dem Bezug auf andere Erzähltexte, der zugleich eine diachrone Dimension hat, und dem Bezug auf zeitgenössische Diskurse.44 Aufgerufen ist damit letztlich die Frage nach der Referenz, die ihrerseits komplex ist. Guido Naschert (2003) unterscheidet in seinem Handbuchartikel im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft drei Referenztypen: Referenzen des Textes auf die nichtsprachliche ,Welt‘, Referenzen des Textes auf andere Texte, Referenzen des auszulegenden Textes auf sich selbst.45 Diese Systematik bedürfte einer eigenen Diskussion, vor allem weil fraglich ist, ob sich die nicht-sprachliche sauber von der sprachlichen Welt trennen lässt.46 Für den Bereich des Rechts kann man aber auf jeden Fall festhalten, dass bei Rechtsmotiven oder der Verhandlung von Rechtsthemen in der Literatur erst einmal zu klären ist, inwiefern als Bezugshorizont Praktiken, Diskurse oder andere literarische Texte anzunehmen sind. Diese Frage stellt sich nicht erst aus der Perspektive der heutigen Literaturwissenschaft; vielmehr dürfte die Art der referentiellen Verankerung auch für die historische Rezeption literarischer Texte bestimmend gewesen sein. Wenn im Folgenden dieser Aspekt weiterverfolgt wird, dann ist das ein Weg, sich Rechtsmotiven und -themen als einem Teilbereich von ,Law in Literature‘ methodologisch reflektiert anzunähern. Aufgelöst sind die aufgezeigten Aporien damit nicht.

Im Bereich der mediävistischen Forschung zum Verhältnis von ,Recht‘ und ,Literatur‘ ist die Frage nach Bezugshorizonten nicht systematisch erörtert worden, klingt aber in verschiedenen Arbeiten an. So hat Rüdiger Schnell (2011) den Bezug von Rechtsmotiven in höfischer LiteraturHöfischer Roman zur Rechtspraxis ausgelotet und hat die These aufgestellt, dass Diskrepanzen, aber auch Korrespondenzen als Fiktionssignal fungiert haben könnten: So sei der erzählerische Spielraum bei der Darstellung gottesgerichtlicher Zweikämpfe gewachsen, als deren Praxis zurückging; er sei als Fiktionalisierung zu deuten, nicht als Stellungnahme zur Rechtspraxis; der ,Realitätsbezug‘ sei verloren gegangen.47 Ebenfalls als Fiktionalitätsmerkmal sei die Verrechtlichung von Liebe in literarischen Texten zu verstehen, denn dadurch, „dass das Recht (Rechtsverfahren, Strafbestimmungen, Tatbestände u.a.) ausgerechnet auf eine rechtsfremde und rechtsferne Materie angewendet wurde, erschien das Produkt dieser Transformation umso fiktiver“.48 Schnells Untersuchung lässt erkennen, wie eine kontextorientierte Untersuchung von ,Law in Literature‘ auch poetologisch ausgewertet werden kann. Seinem Erkenntnisinteresse (der Transformation von Rechtsfiktionen in der Literatur)49 gemäß ist Schnell an den in den literarischen Texten in ihrer Gesamtheit entfalteten Konzepten interessiert und thematisiert die zu vermutenden Rezeptionsprozesse im Einzelnen nur am Rande.50 Eine Deutung der Verrechtlichung als Fiktionalitätssignal durch einen historischen Rezipienten setzt jedoch voraus, dass von ihm zunächst die Rechtspraxis (oder Wissen darüber aus anderen Texten) aufgerufen wird.

Das kontextuelle Wissen ist schon allein deshalb unabdingbar, da rechtliche Verfahrensweisen in Erzähltexten selten vollständig repräsentiert sind, wie Ruth Schmidt-Wiegand (1986) für die Darstellung gottesgerichtlicher Zweikämpfe ausgeführt hat.51 Am Beispiel des RolandsliedesPfaffe KonradRolandslied legt sie weiterhin das Problem der Koexistenz zeitgenössischer und archaischer Rechtselemente dar.52 Auch wenn eine solche Verbindung nicht ungewöhnlich, sondern bei heldenepischen TextenHeldenepik mit älterer mündlicher Tradition verbreitet sei, müsse geklärt werden, wie die Rezipienten damit umgegangen seien:

Denn das Publikum, der Hörer oder Leser, mußte diese Verbindung akzeptieren können, sollte das Rechtliche seine funktionale Bedeutung behalten, die nicht allein darin bestand, den Handlungsverlauf zu strukturieren, sondern die sich auch auf die Personen und ihr Handeln erstreckte, indem auf diese Weise Motivationen geschaffen wurden, die dem Hörer oder Leser verständlich waren.53

Schmidt-Wiegand erklärt die zu vermutende Akzeptanz durch das Publikum – unter Verweis auf Arbeiten Adalbert Erlers (1954; 1969) – damit, dass es wegen der Diskrepanz zwischen ,Zeitstil‘ und ,Rechtsstil‘ auf Unstimmigkeiten vorbereitet gewesen sei. Aber diese Hypothese kann nicht ganz befriedigen, denn Erlers allgemein gehaltene Überlegungen betreffen eventuelle Phasenverschiebungen in den Ausdrucksformen im rechtlichen Bereich gegenüber der allgemeinen Stilentwicklung, nicht das Nebeneinander verschiedener ,Zeitstufen‘ im Recht selbst.54

Es wäre deshalb vielmehr zu fragen, ob man nicht grundsätzlichere Mechanismen bei der Rezeption von Erzähltexten anzunehmen hat, deren Sinn sich einerseits durch Bezüge auf die Kultur der Entstehungszeit konstituiert, die andererseits aber die Welt nicht einfach widerspiegeln, sondern zum Beispiel auch gattungstypischen Erzähllogiken folgen.55Nibelungenlied Solche Rezeptionsvorgänge sind nicht auf Phänomene von ,Law in Literature‘ beschränkt, bedürfen aber gerade für diesen Bereich einer genaueren Betrachtung, weil das Recht im menschlichen Zusammenleben eine so zentrale Rolle spielt, dass ein Bezug zur ,realen Welt‘ immer zu prüfen ist. Erst wenn die Sinnkonstitution in den Texten auch anhand ihrer Bezüge zur außertextuellen Wirklichkeit in den Blick genommen ist, lässt sich aufdecken, wie narrative und juristische Muster interagieren und wie sich Texte zu Rechtsfragen in einer Kultur positionieren.

Jesus und das Landrecht

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