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1.3.2 Realitätsreferenz aus der Sicht rezeptionsorientierter Forschung

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Dass manche Sinndimensionen von Texten erst auf der Grundlage bestimmten kulturellen Wissens erschlossen werden können, zeigt sich besonders deutlich, wenn sie in einer zeitlich oder räumlich entfernten Kultur rezipiert werden.1 Ausgehend von der Übersetzungsproblematik hat Jean Fourquet (1973) für die kulturelle Verankerung von Texten die griffige Metapher des ,Hinterlandes‘ geprägt:

Die Menge der außertextlichen Elemente, deren Kenntnis – ob erfahrungsmäßig, ob buchmäßig – zum Verständnis eines Textes beiträgt, nennen wir kurz das Hinterland des Texts. Zum Begriff “Hinterland” gehört eben eine unbestimmte Ausdehnung vom betreffenden Territorium aus.2

Inwiefern Texte auf das – prinzipiell unbegrenzte – ,Hinterland‘ so direkt referieren, dass der Rezipient auf die Aktivierung entsprechender Kenntnisse angewiesen ist, und welche Prozesse der Sinnkonstitution zu erschließen sind, wird seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter verschiedenen Vorzeichen (Textlinguistik,3 Wirkungsästhetik,4 Narratologie,5 Fiktionalitätstheorie6) verstärkt diskutiert. Alle diese Ansätze zeichnet eine übereinstimmende Herangehensweise aus: die Untersuchung des Weltbezugs von Texten unter kommunikativer Perspektive.7 Für diesen Weltbezug von Texten hat Jan-Dirk Müller (2004) tentativ den „altmodischen Begriff der ,Welthaltigkeit‘ “ reaktiviert, mit dem er neben dem ,Faktischen‘ „gedachte Ordnungen wirklicher Welten“ umfasst wissen wollte.8 Um den auch von Müller hervorgehobenen Referenzcharakter dieser ,Welthaltigkeit‘ zu betonen und eine Brücke zur pragmatisch ausgerichteten Fiktionalitätstheorie zu schlagen,9 wird im Folgenden der Terminus ,Realitätsreferenz‘ verwendet, trotz der Risiken, die damit wegen der potenziell philosophischen Bedeutungsdimensionen von ,Realität‘ verbunden sind.10 Im Hinblick auf die kommunikative Funktion von Texten kann die Frage nach dem ontologischen Status von ,Realität‘ (auch in ihrer historischen Dimension)11,Probate spiritus‘-Kompilation jedoch ausgeklammert werden.12 Grundlegend ist vielmehr die Produzent und Rezipienten gemeinsame Erfahrungswirklichkeit, zu der die Wahrnehmung der materiellen Welt, aber auch darüber gebildete Annahmen und die durch die Rezeption anderer Texte gewonnenen Erkenntnisse gehören.13 So verstanden schließt ,Realitätsreferenz‘ auch den Bezug auf mentale Modelle und Vorstellungsbilder ein.14 Eine Differenzierung zwischen ,Realität‘ und ,Wirklichkeit‘15 ist bei einem solchen Sprachgebrauch ebenso wenig gegeben wie die Berücksichtigung historisch variierender Realitätsauffassungen und Wirklichkeitskonzeptionen.16

Zwar ist auch das Konzept einer gemeinsamen Erfahrungswirklichkeit als Rezeptionsgrundlage mit Problemen behaftet, weil einerseits die intersubjektiven Schnittmengen nicht genau zu bestimmen sind17 und andererseits die Gefahr besteht, dass die Möglichkeit subjektiv unterschiedlicher sinnstiftender Lektüren nicht genügend gewichtet wird.18 Doch lässt sich mithilfe des Konzepts der Erfahrungswirklichkeit der Weltbezug von Texten auch nach der „Relativierung von Realität“19 analysieren.20 Darío Villanueva (1997 [1992]) hat auf der Grundlage rezeptionsästhetischer Überlegungen sogar ein Konzept eines ,pragmatischen Realismus‘ entwickelt, nach dem Texte den Leser zu einer realistischen Lektüre anleiten. Während Villanueva die Notwendigkeit von ,Stimuli‘ in den Texten als Voraussetzung für eine solche Lektüre betont,21 definiert Monika Fludernik (1996) ,Realismus‘ primär als Interpretationsstrategie, bei der aus der eigenen Erfahrungswirklichkeit gewonnene Maßstäbe an die in Texten entworfenen Welten angelegt würden.22 Dass die eigene Lebenserfahrung beim Verstehensprozess automatisch aktiviert wird, ist gerade auch bei der Interpretation kulturell fremder oder fremd gewordener Texte durch moderne Interpreten zu berücksichtigen.23 Jedoch kann die Annahme einer solchen allgemeinen Rezeptionsvoraussetzung nicht ausreichen, um die kommunikative Funktion von Realitätsreferenz im Text zu bestimmen, sondern die Voraussetzung dafür ist tatsächlich die Fassbarkeit bestimmter Textsignale.

Auch David Herman (2002) nimmt an, dass Erzähltexte selbst Indizien für die Relevanz zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit enthalten, und bezeichnet das als kontextuelle Verankerung („contextual anchoring“):

Just as narratives cue interpreters to build temporal and spatial relationships between items and events in the storyworld, and just as they constrain readers, viewers, and listeners to take up perspectives on the items and events at issue, stories trigger recipients to establish a more or less direct or oblique relationship between the stories they are interpreting and the contexts in which they are interpreting them. Or rather, the format of a story can sometimes prompt interpreters to reassess the relation between the two types of mental models involved in narrative understanding. On the one hand, interpreters build models as part of the process of representing the space-time-profile, participant roles, and overall configuration of storyworlds. On the other hand, interpreters rely on analogous, modelbased representations of the world(s) in which they are trying to make sense of a given narrative. Contextual anchoring is my name for the process whereby a narrative, in a more or less explicit and reflexive way, asks interpreters to search for analogies between the representations contained within these two classes of mental models!24

Bevor die von Herman angesprochenen Interaktionen zwischen den von ihm als ,mental models‘ bezeichneten Ebenen genauer betrachtet werden, sollen diese zunächst näher charakterisiert werden.

Zurückgegriffen sei dabei auf das anscheinend wenig rezipierte Modell Benjamin Harshaws (1984),25 weil es in seiner Abstraktheit eine große Anwendungsbreite hat.26 Nach Harshaw lassen sich interne und externe Bezugsfelder (,internal‘ und ,external fields of reference‘) unterscheiden.27 Literarische Texte konstruierten interne Bezugsfelder, auf die sie zugleich referierten.28 Letztlich ist damit so etwas wie eine Textwelt gemeint, doch wählt Harshaw die Bezeichnung ,Bezugsfeld‘, um mit den Konzepten der ,fiktiven‘ oder ,möglichen Welten‘ verbundene Vorannahmen zu vermeiden und auch die sprachliche Verfasstheit des Textes mit einbeziehen zu können:29

An IFR [sc. Internal Field of Reference] is a multidimensional semiotic object rather than a linear message. In other words, it does not present one linear unfolding of language or narrative or one logical argument, but a bundle of heterogeneous patterns: events, characters, settings, ideas, time and space, social and political situations, etc., interacting with each other as well as with other, non-semantic text-patterns (of style, parallelism, segmentation, sound-patterns, etc.).30

Typisch für solche internen Bezugsfelder ist es nach Harshaw, dass sie für jeden Text einzigartig sind.31 Externe Bezugsfelder definiert Harshaw folgendermaßen:

External Fields of Reference (ExFR) are any FRs [sc. Fields of Reference] outside of a given text: the real world in time and space, history, a philosophy, ideologies, views of human nature, other texts.32

Die Zweipoligkeit dieses Modells, das Gegenstände, Praktiken, Vorstellungen oder Texte unterschiedslos als externe Bezugsfelder nebeneinanderstellt, mag befremdlich erscheinen, vor allem angesichts von Versuchen in Referenztheorien und der Text-Kontext-Forschung, mehrere Ebenen zu differenzieren.33 In der Tat bietet Harshaws Modell keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie sich diese externen Bezugsfelder zueinander verhalten. Im Hinblick auf eine rezeptionsorientierte Analyse birgt die Entdifferenzierung jedoch gewisse Chancen, da relevante Bezugspunkte auf den verschiedensten Ebenen liegen können und so nicht von vornherein entschieden werden muss, ob etwa kulturelles Wissen vertextet vorliegt oder aus Praktiken abgeleitet werden kann. Dass im Einzelfall eine Binnendifferenzierung nötig ist, steht außer Frage.

Die Ebenen des internen Bezugsfeldes und der externen Bezugsfelder existieren nach Harshaws Modell im Prinzip parallel zueinander und berühren sich nicht, interagieren aber: Die internen Bezugsfelder seien zumindest teilweise nach der ,realen‘ Welt modelliert, selbst wenn sie selektiv seien oder einen Gegenentwurf böten. Sie integrierten also Elemente der ,realen‘ Welt – von Objekten bis hin zu Interaktionsmustern und Vorstellungen –, die auch in den externen Bezugsfeldern referentialisierbar seien.34 Diese Überlappungen ermöglichten es, dass sich bei der Rezeption semantisches Material aus der einen Ebene an der anderen anlagerte, wobei sowohl mit der Ergänzung des internen Bezugsfeldes aus dem Reservoir der externen Bezugsfelder zu rechnen sei als auch mit Rückprojektionen aus dem internen Bezugsfeld auf externe Bezugsfelder.35 Die strenge Zweistufigkeit in Harshaws Modell schließt also nicht aus, dass es kulturelle Konstellationen gibt, die beide Ebenen durchdringen. Er impliziert hier für den Rezeptionsvorgang eine Ebene des kulturellen Wissens, die sich mit dem Imaginären einer Kultur in Verbindung bringen ließe.36

Harshaw deutet an, dass die Überlappungen von internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern im konzeptuellen Bereich liegen könnten, er erläutert die Interaktion der Bezugsfelder jedoch an ,handfesten‘ Beispielen wie Namen von Orten (Paris) oder historischen Personen (Napoleon), wie sie bis heute in der Fiktionalitätstheorie immer wieder herangezogen werden, um zu demonstrieren, dass ,reale Entitäten‘ in fiktiven Welten37 ihren Charakter verändern.38 Zwar fordere im Falle von ,Paris‘ und ,Napoleon‘ allein deren Bekanntheitsgrad den Rezipienten dazu auf, außertextuelles Wissen zu aktivieren, zumal die Darstellung in Texten immer ausschnitthaft sei, doch seien diese Konzepte dann anhand der Informationen im Text gegebenenfalls zu modifizieren. Harshaw setzt dabei voraus, dass bei eventuellen Divergenzen zwischen internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern das interne Bezugsfeld als maßgeblich angenommen wird.39

Wolfgang Iser (zuerst 1976) hatte die Transformation ,realweltlicher‘ Elemente in fiktionalen Texten grundsätzlicher beschrieben:

Die Art, in der Konventionen, Normen und Traditionen im Repertoire fiktionaler Texte auftauchen, kann sehr verschieden sein. Pauschal wird man sagen können, daß solche Repertoire-Elemente immer im Zustand der Reduktion erscheinen. Selbst Texte, die mit Konventionen vorangegangener Literatur oder mit einer entsprechenden Dichte sozialer und historischer Normen der Lebenswelt überfrachtet sind, lassen sich schon deshalb nicht als bloße Reproduktionen solcher Bestände qualifizieren, weil diese in eine andere Umgebung eingerückt sind. […] So sind die Repertoire-Elemente im Text verschiedenes zugleich. Sie halten den Hintergrund parat, dem sie entnommen worden sind. Gleichzeitig aber setzt die neue Umgebung die Beziehungsfähigkeit der wiederkehrenden Normen bzw. der Konventionsbestände frei, die im alten Kontext durch ihre Funktion gebunden waren. Das Repertoire-Element ist daher weder mit seiner Herkunft noch mit seiner Verwendung ausschließlich identisch, […].40

In einer späteren Arbeit hat Iser (1991) noch deutlicher hervorgehoben, dass allein schon die in literarischen Texten vorgenommene Auswahl bestimmter außertextueller Bezugsfelder diese dem Rezipienten ins Bewusstsein rückt, da sie aus den gewohnten Systemen isoliert würden. Die anzitierten Bezugsfelder seien wiederum in den Texten nur unvollständig repräsentiert und regten so zum Abgleich mit dem Abwesenden an.41

Dass die dargestellte (fiktive) Welt grundsätzlich unvollständig ist, wird auch in Überlegungen zum sogenannten ,Realitätsprinzip‘ betont, wonach die Verknüpfung des internen Bezugsfelds mit externen Bezugsfeldern durch den Rezipienten so beschrieben werden kann, dass dieser annimmt, die dargestellte Welt funktioniere nach den Prinzipien der eigenen Erfahrungswirklichkeit (dass eine Kutsche also von Pferden gezogen werden dürfte, auch wenn sie nicht explizit genannt sind), es sei denn, es gibt textinterne Signale für Abweichungen.42 Wie beim oben genannten Konzept des ,Hinterlandes‘ stellt sich jedoch das Problem, wo die Grenzen für die Ergänzung der fiktiven Welt nach Maßgabe des Realitätsprinzips liegen.43 Die Erklärung, dass eine „Art stillschweigender Relevanzprüfung“44 erfolge, die von der Thematik eines Textes geleitet sei, kann wegen ihres intuitiven Charakters nicht ganz befriedigen. Letztlich ist für die Eingrenzung des ,Hinterlandes‘ aber Ähnliches anzunehmen, wobei die im Text partiell aufgerufenen Bezugsfelder Indizien dafür bieten, welche Kontexte sinnvollerweise herangezogen werden sollten.

Die Diskussionen über das ,Realitätsprinzip‘ sind nicht zuletzt deshalb von heuristischem Wert, weil in ihnen Textsignale thematisiert worden sind, die anzeigen, dass in der Textwelt mit Abweichungen von der ,realen Welt‘ zu rechnen ist, z.B. sprechende Tiere, die – verbunden mit einer entsprechenden Textstruktur – das Genre der Fabel als externes Bezugsfeld aktivieren. Mit dem ,Prinzip der Genrekonvention‘45 sind Konsequenzen für den Rezeptionsvorgang benannt, die sich daraus ergeben, dass externe Bezugsfelder auch andere Texte sein können.46 In der kognitiven Erzähltheorie wird dementsprechend angenommen, dass im Rezeptionsvorgang neben ,real world frames‘ auch auf ,literary frames‘ zugegriffen werde.47 Gemeint sind damit literarische Konventionen, aber auch Stofftraditionen wären hier zu nennen. Die Differenzierung zwischen „Echtwelterfahrungen“48 und Leseerfahrungen hat den Preis, dass die Erfahrungswirklichkeit doch wieder in verschiedene Segmente untergliedert werden muss, deren Abgrenzung nicht ganz klar ist (gehören Texte nicht zur ,Echtwelt‘?),49 bietet aber ein Erklärungsmodell dafür, wie Rezipienten mit hybriden Textwelten umgehen.

Die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit des Rezipienten als Bezugsrahmen wird nach fiktionalitätstheoretischen Modellen auch dann modifiziert, wenn Texte aus vergangenen Epochen rezipiert werden, in denen andere kollektive Annahmen über die Welt galten. In diesen Fällen werde bei der Rezeption das ,Prinzip der allgemeinen Überzeugung‘ wirksam, d.h., der historische Bezugsrahmen werde (soweit bekannt) aktiviert.50 Je nach Erzählhaltung könnte ein solcher historischer Bezugsrahmen aber auch bei Erzählungen über vergangene Epochen, wie zum Beispiel dem historischen Roman, heranzuziehen sein, die in anderen Aspekten jedoch wieder den Rückgriff auf das Realitätsprinzip erfordern könnten.51 Entsprechende Mischverhältnisse können sich auch dann ergeben, wenn frühere literarische Normen in späteren Texten präsent sind.52 Auch wenn alle diese Schematisierungen von externen Bezugsfeldern einen stark modellhaften Charakter haben,53 können sie verdeutlichen, dass die Berücksichtigung von Bezügen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit (im Sinne von ,real world frames‘) für die Sinnerschließung unabdingbar, aber keineswegs ausreichend ist.

Versucht man aus den vorgetragenen allgemeinen Überlegungen eine Vorgehensweise für die Interpretation von ,Law in Literature‘ zu entwickeln, so ist dem komplexen Wechselverhältnis von internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern Rechnung zu tragen. Um zu ermitteln, inwiefern ein literarischer Text auf ,Law‘ – in weitestem Sinne vom praktizierten Rechtsleben bis zu rechtsphilosophischen Fragestellungen – als externes Bezugsfeld verweist, ist zunächst die Analyse des internen Bezugsfeldes des Textes nötig, aus dem auch korrespondierende Größen in externen Bezugsfeldern abgeleitet werden können. Da das interne Bezugsfeld häufig nach dem externen modelliert ist, es aber unvollständig repräsentiert, ist eine Analyse des internen Bezugsfelds jedoch nicht ohne zumindest punktuelles Heranziehen des externen Bezugsfeldes ,Law‘ möglich. Eventuelle Uminterpretationen des externen Bezugsfelds im literarischen Text, die sinnstiftend sein können, sind wiederum erst nach einer ausführlichen Erkundung des externen Bezugsfeldes ,Law‘ zu erkennen. Für ihre Funktionalisierung im neuen Kontext des literarischen Textes sind weiterhin auch andere Bezugsfelder (z.B. Genrekonventionen, Erzähltraditionen) zu berücksichtigen. Im Prinzip ergibt sich eine – für den Bereich des Rechts nicht spezifische – zirkuläre Bewegung des Verstehens, die aber nicht auf ein hypothetisches Sinnganzes eines Textes abzielt.54

Vor dem Hintergrund des allgemeinen Modells ließe sich der oben für das RolandsliedPfaffe KonradRolandslied genannte Befund so interpretieren, dass der Text auf mehrere externe Bezugsfelder verweist: das zeitgenössische Recht auf der einen und Erzähltraditionen auf der anderen Seite, d.h., man wäre gerade nicht darauf angewiesen, entsprechende Unstimmigkeiten in der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit nachzuweisen. Die Frage, wie ein zeitgenössisches Publikum mit dem Textbefund umgegangen sein mag, lässt sich nur hypothetisch beantworten,55Der StrickerKarl vor allem da auch Wahrnehmungsformen kulturell spezifisch sind56 und mit einer historischen Varianz von Kohärenzerwartungen zu rechnen ist.57 Allein das Nebeneinander verschiedener Gattungen – man denke nur an schwankhafte Mären und den höfischen RomanHöfischer Roman – deutet aber darauf hin, dass Rezipienten im Mittelalter in der Lage gewesen sein müssen, ,real world frames‘ und ,literary frames‘ in unterschiedlichster Weise aufeinander zu beziehen.

Für die literaturwissenschaftliche Arbeit an mittelalterlichen Texten stellt sich das spezielle Problem, dass die genannten Rezeptionsmodelle größtenteils für fiktionale Texte entwickelt worden sind. Zwar hat die Textlinguistik gezeigt, dass bei jedem Text Ergänzungsmechanismen im Kopf des Rezipienten anzunehmen sind,58 doch scheint die Akzeptanz von Textwelten, die von der eigenen Erfahrungswirklichkeit abweichen, primär an das Kriterium der Fiktionalität gebunden zu sein, dessen Übertragbarkeit auf mittelalterliche Texte strittig ist.59 Eine entsprechende Fremdheit der im Text entworfenen Welt kann allerdings auch dadurch entstehen, dass von etwas Vergangenem erzählt wird, sodass man das Fiktionalitätskriterium vielleicht nicht überbewerten sollte. Das Problem kann hier nicht grundsätzlich ausdiskutiert werden; für die Untersuchung ist vielmehr zu zeigen, inwiefern ,real world frames‘ auch bei bibelepischen Texten des Mittelalters relevant sind.

Jesus und das Landrecht

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