Читать книгу Rayan - Der Einsame Falke - Indira Jackson - Страница 15
23. Mai 2016 – Oase von Zarifa – Das Zeichen zum Angriff
ОглавлениеRayan musste Marvins Männern neidlos zugestehen, dass sie es verstanden, sich lautlos zu bewegen. Sie hatten den größten Teil der Söldner, sowie die Wüstenbewohner am Ostrand des Gebirges in vermeintlicher Sicherheit zurückgelassen und waren in einem kleinen Aufklärungstrupp weitergegangen. Dabei hatten sie sich stets dicht an der Felswand gehalten, damit „die Tarmanen sie nicht sehen konnten“, wie Rayan Marvin erklärt hatte. Dass der Amerikaner darauf eingegangen war, zeigte dem Scheich, dass dieser den Braten noch nicht gerochen hatte. Offenbar hielt er Rayan nach wie vor für einen Sklaven, der ihm nur den Weg nach Zarifa zeigte, weil er hoffte, dass Marvin ihm dann die Freiheit schenkte und er sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen konnte. Der Deal war, dass Rayan die fünf Söldner, den Franzosen und Solomon ins Innere des Gebirges schmuggelte und dann als freier Mann gehen durfte, wenn sie heil dort angekommen waren.
Rayan bezweifelte, dass Marvin diesmal sein Wort halten würde, denn er hatte es schon zuvor gebrochen als er versprochen hatte, ihn laufen zu lassen, sobald sie das Gebirge von Zarifa vor sich sehen würden und er ihm alle Besonderheiten erklärt hatte. Das unehrenhafte Verhalten machte die Aufgabe des Scheichs nur leichter, denn er führte die Männer direkt in eine Falle, die nur mit dem Tod der Eindringlinge enden konnte.
Immerhin hatte er am Abend endlich erreicht, was seine eigentliche Motivation für dieses Rollenspiel war: Herauszufinden, was Marvin vorhatte und wer ihn beauftragt hatte. Die Männer hatten halblaut darüber diskutiert, was sie vor Ort im Innern von Zarifa als Erstes tun würden. Im Laufe der Gespräche hatte Rayan herausgehört, dass der Kommandant der amerikanischen Kaserne sie beauftragt hatte, für ihn vor Ort in Zarifa die Lage zu sondieren, weil Sedat diverse Andeutungen über große Goldvorkommen dort gemacht hatte. Der Deal war wohl gewesen, dass Sedat Einzelheiten verraten würde, sobald er in Sicherheit war. Die Tatsache, dass man ihn so offen exekutiert hatte, war Wasser auf die Mühlen des Kommandanten, der vorher noch diverse Zweifel an der Aufrichtigkeit der Aussagen Sedats gehabt hatte. Für ihn stand fest, dass die Tarmanen den Mann hatten zum Schweigen bringen wollen, damit er keine Details mehr verraten konnte.
Es bestätigte sich auch, dass man Jassim in der Tat für Hanif hielt, den man als Druckmittel einzusetzen gedachte, für den Fall, dass man erwischt wurde, oder vor Ort nicht weiterkommen würde. Dass die erste Kugel in Rabea Akbar Rayan getroffen hätte, wenn der echte Hanif sich nicht über ihn geworfen hätte, war purer Zufall gewesen. In Wildwestmanier hatte man Jassims Begleiter ausschalten wollen, die man für wertlosen Ballast hielt. Die Verwechslung der Rolle von Jassim kam in der Tat von der Befragung in der Zelle der Kaserne, als Rayan sich auf seine amerikanische Identität berufen und Jassim zu dessen Schutz unter dem Namen und Titel von Hanif vorgestellt hatte. Keiner der Söldner hatte einen von ihnen jemals zuvor gesehen, allerdings war es bei der auffälligen Statur von Jassim mit seiner Größe und muskulösen Erscheinung ein Leichtes, ihn anhand seiner Beschreibung – die der Kommandant geliefert hatte – zu identifizieren.
Einer der Männer tönte, was für ein Glück dieser Hanif doch gehabt habe, dass der Sklave aufgetaucht sei, weil er sich sonst ihm „gewidmet“ hätte, um ihn „zum Sprechen zu bringen.“ Dann brüstete er sich in allen Details wie viele Männer er bereits erfolgreich „in die Mangel genommen habe.“ Rayan war froh, dass er sich entschieden hatte, sich auf die Rolle als verräterischer Sklave einzulassen, denn Jassim wäre lieber gestorben, als den Fremden etwas über Zarifa zu erzählen. So hatte der Scheich sich selbst zur Informationsquelle gemacht und man hatte Jassim lediglich als wertvolle Geisel mitgenommen, ihn sonst aber in Ruhe gelassen. Es war Glück, dass man sich beim Angriff in Rabea Akbar auf Jassim fokussiert hatte, und sich nicht die Mühe gemacht hatte, die beiden anderen Männer genau in Augenschein zu nehmen. „Was für eine Schlamperei“, dachte sich Rayan im Stillen, doch ihm war es zu Gute gekommen. Denn hätte man ihn als einen der Begleiter von Jassim zum Zeitpunkt des Angriffs erkannt, hätte man ihm seine Rolle als Sklave nicht abgenommen.
Unter anderen Umständen hätte Rayan sich im Laufe der Nacht mit Jassim aus dem Staub gemacht, denn er hatte genug Informationen gesammelt. Aber einerseits hatte man ihn noch fester verschnürt als sonst. Marvin war nicht dumm und sah die vermeintliche Panik des Sklaven als erhöhtes Fluchtrisiko an. Andererseits wollte Rayan nun Blut sehen. Er gierte inzwischen danach, Marvin die rüde Behandlung der letzten Tage heimzuzahlen. Er hasste es, wenn Menschen sich einen Spaß daraus machten, dass sie Macht über andere hatten, und Marvin hatte dies zu genüge an ihm durchexerziert. Nun würde er bald die Quittung kriegen.
Der Scheich war nur froh, dass es ihm gelungen war, die Anzahl an weiteren Opfern auf ein Minimum zu beschränken. Sie waren lediglich zu acht: Marvin und vier seiner Männer, Solomon, der Franzose Mathéo und dazu Rayan. Jassim war als Ass im Ärmel im Lager beim Rest der Söldner zurückgeblieben, die ihn mit Argusaugen bewachten. Schließlich war er ihre „geh aus dem Gefängnis-Karte“, falls man erwischt wurde. Eigentlich kein schlechter Plan, der vermutlich auch funktioniert hätte, denn auch wenn es sich nicht um seinen Bruder Hanif handelte - Rayan würde niemals Jassims Leben gefährden, nur um ein paar Fremde zu bestrafen.
Marvin hatte den Anführer der Tarmanen, sobald sie in die eigentliche Oase von Zarifa eingetreten waren, mit einem Klammergriff von hinten umfasst und drückte ihm sein Messer grob an den Hals. Rayan ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, er hatte keinen Zweifel im richtigen Moment den Griff sprengen zu können. Sein Gehirn arbeitete allerdings fieberhaft an einer überzeugenden Lösung für Solomon und auch der Franzose war ihm ein wenig ans Herz gewachsen, immerhin hatte dieser in der Wüste sein Wasser mit ihm geteilt und ihm auch vorher Essen und eine Decke verschafft.
Als sie den Punkt des anstehenden Angriffs der Tarmanen fast erreicht hatten, beschloss Rayan, das Thema erst einmal zur Seite zur schieben. Er musste sich nun konzentrieren, denn Marvin war durchaus kampferfahren und durfte daher nicht unterschätzt werden. Es war niemandem geholfen, wenn er Rayan bei dessen Befreiungsversuch mit seinem Messer die Kehle aufschlitzte.
Lautlos waren sie über die quer gelegten Stämme einiger Palmen geklettert, die die Oase zur Wüste hin gegen den ewig wandernden Sand abgrenzten und zudem den Tarmanen im Falle von Angreifern als Schutzschild gegen Schüsse dienen sollten. Rayan hatte sich bemühen müssen, dabei nicht etwa hinzufallen und sich selbst versehentlich den Hals an Marvins Messer aufzuschlitzen, denn er konnte dank Marvins Umklammerung nicht richtig gehen. Doch alles war gut gegangen, und jetzt mussten sie nur noch durch den kleinen Palmenhain schleichen, dann wären sie noch zehn Meter von ihrem Ziel entfernt.
Dass der enge Zugang ins Herz von Zarifa gerade einmal so breit war, dass zwei Pferde gleichzeitig hindurch passten und außerdem mit modernster Technik wie Bewegungsmeldern gesichert war, ahnte Marvin nicht. Auch hatten die Tarmanen in einem der Zelte diverse Technik, unter anderem ein Infrarotgerät, mit dem sie sicher jede ihrer Bewegungen genau beobachteten. Doch auch davon ahnte niemand außer Rayan etwas. Da dessen Beschreibungen von Zarifa bisher absolut akkurat gewesen waren, hatte der Amerikaner keinen Grund gefunden, an der Ehrlichkeit seines Gefangenen zu zweifeln. Er glaubte, dass es ihm gelungen war, „Mohammed“ derart einzuschüchtern, dass dieser von Angst getrieben die Wahrheit erzählte. Selbst im Innern der halbmondförmigen Oase, die vor dem Eingang zum Gebirge lag, schien alles genau so zu sein, wie Rayan es dargelegt hatte: Nur etwa zehn Tarmanen saßen zwischen dem Palmenwäldchen und der Felswand an einem behaglich flackernden Feuer und erzählten sich Geschichten. Ab und an konnte man ihr Scherzen und Lachen hören.
Offensichtlich waren sie völlig entspannt und komplett ahnungslos – so glaubte Marvin. Undeutlich konnte der Amerikaner noch einige Zelte ausmachen, die sich an die steilen Felsen schmiegten. Auch in dieser Hinsicht hatte Rayan nicht gelogen. Er hatte sogar preisgegeben, dass in diesen Zelten weitere Tarmanen waren. Doch solange sie sich ruhig verhielten – so hatte er zumindest behauptet – schliefen diese weiteren Krieger und stellten keine Bedrohung dar. Rayan hatte überzeugend argumentiert, dass das Geheimnis zum Einschleichen ins Land der Tarmanen darin bestand, in kleinen Gruppen zu agieren. Niemand außer dem Scheich wusste, dass sie bereits an mindestens achtzig überaus wachsamen Tarmanen vorbeigegangen waren, die sie hatten passieren lassen, um sicherzugehen, dass man von allen Seiten gleichzeitig angreifen konnte. Ein größeres Team sollte separat dafür sorgen, dass die zurück gebliebenen Männer in Marvins Lager am Ostrand des Gebirges keine Gefahr mehr darstellten.
Die Tarmanen in der Oase warteten nur darauf, dass Rayan das Zeichen zum Angriff gab.