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21. Mai 2016 – Offene Wüste – Drangsalierung und Genugtuung

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Irgendwie schaffte es Rayan durch den Nachmittag. Doch langsam merkte er, dass auch ihm das Erklimmen der Sandberge inzwischen nicht mehr so leichtfiel. Sein Oberschenkel mit seiner alten Schusswunde begann wieder zu schmerzen und so hinkte er immer stärker. Marvin interessierte dies nicht sonderlich. Wenn überhaupt, dann freute er sich darüber, weil es ihn zuvor geärgert hatte, dass der „Sklave“ um so vieles leichter auf dem beschwerlichen Untergrund vorankam, als er.

Als die Sonne schon tief stand, geriet Rayan schließlich aus dem Gleichgewicht und stürzte in den Sand. Er rutschte ein Stück die Düne hinunter, die sie gerade erklommen, und riss Marvin, der die Kette dummerweise nicht losließ, mit sich. Die anderen Söldner wieherten vor Lachen, was ihrem Anführer die Zornesröte ins Gesicht trieb. Marvin war so schnell wieder auf den Beinen, dass er Rayan, der gerade erst dabei war, sich wieder aufzurappeln, überraschte, indem er sich auf ihn stürzte. Er stieß ihn zurück in den Sand, zog ihm das Gewand, das ohnehin hochgerutscht war, noch vollends nach oben und begann, mit seinem Kamelstock auf Rayans bloßen Rücken einzuprügeln.

Mathéo war beim Anblick der Narben auf dem Rücken des Tarmanen erbleicht, sodass er einen Moment brauchte, bevor er die ganze Tragweite der Situation erfasste. „Mon Dieu!“, entfuhr es ihm auf Französisch, ansonsten konnte er im Moment nur starren.

Jassim, der nur wenige Meter dahinter war, musste all seine Beherrschung aufwenden, um sich nicht auf Marvin zu stürzen. Sein ganzes Leben war auf den Schutz seines Herrn ausgerichtet – nun ansehen zu müssen, wie jemand unkontrolliert auf diesen einschlug, war fast zu viel für seine Beherrschung. Dann tat er das Einzige, das ihm einfiel, was seinem Herrn helfen könnte: „Ja – Zeig‘ es dem dreckigen Burschen. Das hat ihm doch die ganze Zeit schon gefehlt!“, rief er lautstark, als wolle er Marvin anfeuern. Er erreichte, was er bezweckt hatte: sofort wurde Solomon aufmerksam und reagierte unmittelbar. Da er zu weit zurück war, um direkt einzugreifen, griff er zu seinem Gewehr, legte in Richtung Marvins an und feuerte ohne zu zögern einen Schuss ab.

Er traf sein Ziel: Marvins Stock. Ein meisterlicher Schuss der selbst Hanif zu Ehren gereicht hätte. Jassim konnte die Aktion genau beobachten und fragte sich hinterher, ob der Treffer ein Glücksfall gewesen war, oder ob Solomon in der Tat ein derart herausragender Schütze war.

Die anderen Wüstenkrieger reagierten nicht minder heftig und hatten auch blitzartig ihre Waffen in der Hand, um ihrem Anführer gegebenenfalls beistehen zu können. Doch die Situation war schnell wieder unter Kontrolle, weil die Söldner zu sehr mit sich selbst und dem Sand beschäftigt waren, als dass sie mit Solomons Leuten hätten mithalten können.

„Es reicht jetzt mit dem Drangsalieren dieses Mannes!“, rief Solomon schneidend. „Es ist mir egal, wie niedrig er bei den Tarmanen gewesen sein mag, hier hat er sich bisher als Mann der Wüste ausgezeichnet. Das zählt mehr als irgendwelche anderen Hierarchien. Du wirst ihn von nun an in Ruhe lassen.“ Der letzte Satz war eine eindeutige Drohung.

Marvin war nicht dumm und erkannte, dass er es sich nicht leisten konnte, es sich mit seinen Verbündeten zu verscherzen. Also mimte er den Zerknirschten und gab zu, dass er die Beherrschung verloren hatte. Er gab der Hitze die Schuld daran und „dem blöden Sand und dieser ganzen furchtbaren Umgebung“. Dass er mit dieser Ausrede die Situation eher verschlimmerte, weil er Solomons Heimat und somit auch ihn persönlich beleidigte, bemerkte er nicht.

Entsprechend hatte Rayan trotz seiner heißen Wut aufgrund dieser erneuten Demütigung durch Marvin zumindest die Genugtuung, dass die Wüstenmänner inzwischen voll auf seiner Seite waren. Während er sich etwas mühsam wieder aufrappelte, beschloss er, bei der nächsten Gelegenheit eine Möglichkeit zu finden, Solomon zu warnen, dass er sie in eine Falle führte, weil die Tarmanen bereits auf sie warteten.

Dies barg allerdings das Risiko, dass Solomon Rayan verraten würde, weil er sich Marvin verpflichtet fühlte. Außerdem konnte der Anführer der Tarmanen nicht einfach zu Solomon gehen und ihn um ein Gespräch bitten, wenn er seine Rolle offiziell beibehalten wollte. Er würde auf eine passende Gelegenheit warten müssen, um von allen anderen unbemerkt mit Solomon alleine zu sprechen. Da er permanent bewacht wurde, würde dies kein leichtes Unterfangen werden!

Rayan - Der Einsame Falke

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