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11. Februar 2017 - Alessia: Auf dem Basar – Überzeugungsarbeit
ОглавлениеCarina war froh, den Laden des unangenehmen Inhabers verlassen zu haben. Sie war schon so lange nicht mehr in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen, dass sie vergessen hatte, dass sich der Auftrag der tarmanischen Krieger nicht nur auf den Schutz ihrer Person vor echten Feinden bezog, sondern auch darauf, sie vor Belästigungen oder Beleidigungen jeglicher Art zu bewahren. Es war Rayan wichtig, dass man seine Ehefrau auch dann mit gebührendem Respekt behandelte, wenn er nicht dabei war. Zum Glück war die Situation glimpflich abgelaufen, doch hätte sie schon jetzt jede Wette abgeschlossen, dass Rayan sie heute Abend bezüglich des Vorkommnisses befragen würde. Nach ihrer Rückkehr waren die Tarmanen angehalten, ihrem Herrn Bericht zu erstatten, ob es außergewöhnliche Vorkommnisse gegeben hatte. Dabei würden sie den Mann mit seinen Lampen sicher nicht außen vor lassen. Sie würde sich überlegen müssen, wie weit sie ins Detail ging, sobald Rayan sie ansprach. Ihr war klar, dass ihr Ehemann sich ärgern würde, sobald er die Wahrheit erfuhr. Womöglich käme er auf die Idee, doch noch Jassim oder einen der Männer zu dem Laden zu schicken. Oder – Gott bewahre! – selbst dorthin zu gehen. Normalerweise freute sich Carina, dass Rayan sich für sie einsetzte, aber ihrer Meinung nach übertrieb er es dabei manchmal. Was vermutlich genau der Grund war, warum sich so viele Menschen vor dem Scheich fürchteten. Seine geringe Toleranzschwelle war berüchtigt.
Carina beschloss, diese Sorge auf den Abend zu verschieben und stattdessen wieder das Flair des Basars zu genießen. Doch es war ihr nicht vergönnt, denn auf einmal wurde sie erneut abgelenkt. Denn nun beschlich sie unvermittelt ein eigenartiges Gefühl. Als Reporterin hatte sie immer einen guten Instinkt gehabt für bestimmte Situationen und der sagte ihr nun, dass sie beobachtet wurde. Sie sah sich möglichst unauffällig um. Zu ihrer Überraschung sah sie in nur wenigen Metern Entfernung denselben Mann stehen, der bei ihrer Abfahrt von Rayans Haus hierher dem Haushälter Jamal durch den Garten gefolgt war. Carina überlegte einen Moment lang, ob sie ihre Leibwächter auf den Mann aufmerksam machen sollte, doch sie entschied sich dagegen. Wie aufregend Szenen mit ihren Personenschützern sein konnten, hatte sie gerade erst beim Lampenhändler gemerkt. Und wer wusste schon, ob die Begegnung nicht einfach ein Zufall war? Doch der Instinkt der Reporterin sagte ihr, dass der Mann sie gesucht hatte. Sie war vorhin im Garten von Rayans Haus so aufgeregt am Plaudern mit Fatima gewesen, dass es nicht schwer gewesen war, ihr Ziel herauszufinden. Sicherlich hatte der Fremde beim Vorbeigehen in Rayans Garten gehört, wie sie sich unterhalten hatten. Aber was war dann mit der Audienz bei Rayan gewesen? Oder war er vielleicht doch aus einem anderen Grund dort gewesen? Die Termine mit dem Scheich dauerten bis auf wenige Ausnahmen nur einige Minuten – wenn der Mann ein Fahrzeug besaß, war es eine Leichtigkeit, ihnen anschließend zu folgen und sie hier wieder zu treffen. Vielleicht war die Audienz nicht gut gelaufen und der Fremde wollte sich nun an ihr dafür rächen? Obwohl sie meinte, zu spüren, dass ihr keine Gefahr drohte, konnte sie diese Möglichkeit nicht ganz ausschließen. Vermutlich war es doch besser, mit ihren Leibwächtern zu sprechen? Carina musste nachdenken. Hier in der Sonne vor dem Lampengeschäft konnte sie das nicht.
„Lass‘ uns in ein Café gehen“, sagte sie zu Fatima. In Gedanken fügte sie hinzu: „Ich muss die Aufregung von gerade erst einmal verdauen.“ Doch sie sagte es nicht laut, denn das würde erneut den Leibwächtern vermitteln, dass die Szene gerade sie mehr mitgenommen hatte, als sie zugeben wollte. „Wie macht Rayan das nur die ganze Zeit? Immer äußerlich ruhig zu bleiben ist wirklich anstrengend! Aber er hat ja sein Pokerface – ich aber nicht!“, fluchte sie innerlich. Was für eine bescheuerte Idee auf den Markt zu gehen! Sie könnte jetzt gemütlich im Garten in Rayans Haus an einem der Brunnen sitzen oder in den Pool gehen, sobald die Audienzen dort vorüber waren …
Erleichtert nahm sie wenige Minuten später auf einem schattigen Stuhl im nahegelegenen Café Platz und bestellte sich einen Minze-Tee. In Zarifa trank man eher schwarzen Tee oder starken Kaffee, weshalb sie hier zur Abwechslung das Heißgetränk mit frischen Minzblättern bevorzugte.
Bis sie, Fatima und die Kinder versorgt waren, hatte die Deutsche den Mann fast schon wieder vergessen. Doch einige Minuten später sah sie ihn erneut im Gespräch mit einem ihrer Leibwächter. Da die beiden mehrere Male zu ihr herübersahen, war klar, um was sich die Unterhaltung drehen musste: ob der Tarmane den Mann zu ihr lassen sollte. Somit war ihr zumindest die Entscheidung abgenommen worden, ob sie die Personenschützer auf ihren Verfolger aufmerksam machen sollte.
Jetzt wollte sie aber wissen, was der Fremde wollte! Ihre Neugierde war geweckt und sie winkte dem Leibwächter zu. Die Geste war klar: Sie gab ihre Zustimmung, mit dem Mann zu sprechen. Schon kurz darauf stand der Mann vor der Scheicha. Diesmal hielt der Personenschützer keinen Abstand mehr. Er war dem Fremden dichtauf gefolgt und nahm nun eine wachsame Position direkt neben ihm ein. Verständlicherweise wollte der Tarmane kein Risiko eingehen. Eine derartige Situation gehörte zur höchsten Gefahrenstufe.
„Werte Scheicha – verzeiht mir den Überfall!“, begann der Fremde. „Ihr müsst ja denken, dass ich Euch gefolgt bin. Doch ich kann Euch versichern, dass dies nicht der Fall ist!“, mit einem freundlichen Lächeln verneigte er sich tief, um seinen Respekt auszudrücken. „Mein Name ist Junis Kaya. Ich besitze einen Laden genau gegenüber dem, in dem ihr gerade eingekauft habt. Dass ich Euch zuerst im Haus Eures Gatten gesehen habe und nun direkt hier auf dem Basar kann kein Zufall sein! Das muss Schicksal sein …“, ein wenig außer Puste nach der emotionalen Rede hielt er inne.
Carina merkte, dass sie noch kein Wort gesagt hatte und überlegte, was sie auf die feurige Ansprache entgegnen sollte. Sie glaubte Junis kein Wort. Doch da dieser sofort wieder weitersprach, blieben ihr weitere Überlegungen erspart.
„Ich hatte heute eine Audienz bei Eurem Gatten, dem ehrenwerten Scheich“, sprach der Händler genauso geschraubt wie vorher weiter. „Ich habe ihn um einen Gefallen für meine Ehefrau gebeten … sie ist sehr krank und hat nur noch einige Monate zu leben, müsst Ihr wissen, werte Scheicha!“
Carina schluckte. Auch wenn der Mann sie mit seiner nachdrücklichen und verschnörkelten Art zu sprechen etwas nervte, so spürte sie doch, dass er in Bezug auf seine Frau die Wahrheit sagte.
„Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als noch einmal an ihren Geburtsort Zarifa zurückzukehren, bevor sie von dieser Welt geht“, erklärte Junis weiter. Er gebrauchte dabei erneut die Phrase, mit der er schon bei der Audienz mit Rayan den Tod seiner Gattin beschrieben hatte.
„Nun ja, dann hast du mit einem Gespräch bei meinem Gatten den richtigen Weg eingeschlagen. Was hat mein Gatte dir geantwortet Junis Kaya?“, antwortete Carina vorsichtig. Sie wollte mit der Frage Zeit gewinnen.
„Dass er es sich überlegen wird, Herrin.“ Nun klang sein Tonfall traurig, und die Scheicha erkannte, dass der Händler keinerlei Hoffnung hatte, eine Zusage zu erhalten.
„Ihr glaubt nicht daran, dass mein Mann seine Zustimmung erteilen wird, stimmt’s?“, fragte Carina ruhig. Sie sah nun die Absicht von Junis und ärgerte sich ein wenig: „Und du möchtest, dass ich meinen Mann davon überzeuge, deiner Frau die Erlaubnis zu erteilen?“
Junis Kaya nickte stumm.
„Warum glaubst du, dass er in dieser Sache auf mich hören wird?“, fragte Carina ehrlich erstaunt.
„Weil Ihr einer der Gründe dafür seid, dass der Scheich nein sagen wird“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Es war klar, dass Junis genau diese Frage erwartet hatte.
„Warum das denn?“, fragte Carina perplex.
„Weil meine Elifa die Ex-Geliebte Eures werten Gatten ist!“