Читать книгу Rayan - Der Einsame Falke - Indira Jackson - Страница 17
11. Februar 2017 – Irland: Dublin: Trinity College – Etwas Wichtiges verdrängt
Оглавление„Wie kommst du hierher?“, platzte Megan schließlich heraus. Nicht gerade die geistreichste Bemerkung und vor allem so gar nicht der Wortwechsel, den sie sich in ihren Träumen für ihr Wiedersehen mit Tahsin ausgemalt hatte. Aber dessen plötzliches Auftauchen am Trinity College in Dublin war etwas, das sie erst einmal verarbeiten musste. Insofern war die Engländerin froh, überhaupt etwas gesagt zu haben. „Jetzt sagt er gleich ‚mit dem Flugzeug‘, jede Wette“, schoss es ihr durch den Kopf.
Doch Tahsin war zu taktvoll, um sich über ihre ungeschickte Bemerkung lustig zu machen. „Ich wollte sehen, wie es dir geht …“, gab er zu. Megan glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, als er noch fortfuhr: „Es tut mir leid, wenn ich dich einfach so hier überfalle. Aber ich habe dich vermisst und musste dich unbedingt sehen …“
Täuschte sich Megan oder wurde Tahsin bei diesem Geständnis nun sogar ebenfalls ein wenig rot? Aufgrund seines dunklen Teints war das nicht so leicht zu sagen und sie kam zu dem Schluss, dass sie sich geirrt haben musste. Der junge Scheich, an den sie sich erinnerte, war zu jeder Zeit hundertprozentig Herr der Lage gewesen.
„Was machen die Ausgrabungen?“, fragte Megan, um das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. Sie wusste nicht, was sie auf seine offenen Worte hätte entgegnen sollen: „Ich habe dich auch schrecklich vermisst und zwar jeden einzelnen Tag“? – das war abgedroschen und schien ihr zu gewagt. Andererseits war auch er ehrlich gewesen. Aber ER hatte sich immerhin gedanklich auf ihr Treffen vorbereiten können – sie nicht. Also beschloss die Engländerin, sich lieber bedeckt zu halten und ihre Gefühle nicht preiszugeben. Noch dazu, wo sie sich nicht sicher war, WAS sie eigentlich gerade fühlte. An erster Stelle war da Verwirrung, gemischt mit Freude, aber auch etwas Angst.
„Die Ausgrabungen laufen gut“, antwortete Tahsin höflich. „Laura und das Team kommen prima voran und sind schon in wenigen Wochen fertig: zwei Monate schneller, als geplant“, erläuterte er weiter. Doch sein Tonfall verriet, dass er von dieser Form des Smalltalks nicht viel hielt.
„Ganz der Prinz“, dachte Megan amüsiert und eingeschüchtert zugleich. „Er schafft es spielend, seinen Unmut, dass ich sein Geständnis komplett ignoriert habe, rein durch seine Betonung auszudrücken.“ Die Art, in der Tahsin es verstanden hatte, ihr seine Unzufriedenheit zu kommunizieren, erinnerte die Engländerin überdeutlich an die hierarchische Stellung ihres Gegenübers. Einige Bilder kamen ihr wieder ins Gedächtnis, die sie sich in den letzten Wochen verboten hatte: die Bediensteten, in dem wunderschönen Garten in Alessia, die sich respektvoll vor ihm verneigt hatten und denen ein Blickkontakt genügt hatte, um sich wortlos zurückzuziehen. Die fast schon arrogante Art, auf die sich Tahsin damals bei ihrer ersten Begegnung als Scheich zu erkennen gegeben hatte. Und natürlich die Tatsache, dass ihr Vater, der Professor, auf Befehl dieses Jungen hier aus dem Land hatte ausreisen müssen! Nervös fuhr sie mit ihrer Zunge über ihre Lippen und schluckte. Ein weiterer Blick auf seine Hände verriet ihr, dass er nun keineswegs mehr unsicher war. Offenbar hatte er vor dem Geständnis seiner Gefühle ihr gegenüber Nervosität empfunden, die nun aber überwunden schien.
Das Gleiche galt leider nicht für sie – ihre eigene Verlegenheit schien sich zu steigern, statt zu reduzieren. „Wie geht es Leila?“, fragte Megan, im Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen. Immerhin war die Frage nach einer Freundin, die ihnen beiden sehr viel Ärger erspart hatte, weitaus besser, als über das Wetter zu reden, lobte sich die Engländerin für ihren Einfall.
Doch als sie einen Schatten über Tahsins Gesicht gleiten sah, bereute sie die Frage. Sie ahnte, dass nun schlechte Nachrichten kommen würden.
„Leila ist tot“, antwortete der junge Scheich mit möglichst neutraler Stimme, die aber trotzdem nicht ganz seine Trauer verbergen konnte.
„Oh nein! Das tut mir leid – ehrlich!“, rief Megan erschrocken aus. „Wann? Wie?“, fuhr sie fort. Sie konnte es nicht fassen, dass die temperamentvolle, attraktive Araberin nicht mehr am Leben sein sollte.
„Sie wurde etwa zwei Monate nach deiner Abreise in ihrem Haus ermordet“, informierte sie Tahsin kurz. Erneut schaffte er es spielend, lediglich mit seinem Tonfall klarzustellen, dass das Thema damit beendet war. Megan war geschockt und wollte am liebsten noch viel mehr fragen, doch sie sah ein, dass jegliche weitere Fragen sinnlos wären. „Seine Hoheit“, würde sie ihr nicht beantworten. Sie nahm sich vor, später im Internet nach Leila zu suchen. Sicher würde sie dort mehr herausfinden können. Dieser Beschluss besänftigte die Engländerin, die sich durch den herrischen Tonfall ihres Besuchers herausgefordert gefühlt hatte. Schließlich war sie keine seiner Untertanen!
Tahsin bemerkte ihre Verärgerung und beschloss, dass es das Beste war, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken: „Wie gefällt es dir hier am Trinity College? Und was hältst du von Dublin?“
Megan ließ sich dankbar auf den Themenwechsel ein und begann, von ihrer Entscheidung hierher zu kommen zu berichten. Dann schwärmte sie einige Minuten lang vom Charme der irischen Hauptstadt. „Du solltest die Brauerei von Guinness sehen!“, rief sie begeistert aus. „Und dann Dublin Castle“. „Abends ist es natürlich ein ‚must‘, durch die Kneipen des Temple Bar District zu ziehen. Beim ersten Mal war ich so betrunken, dass …“, erschrocken hielt Megan inne. Sie hatte sich so in Rage geredet, dass sie gar nicht mehr daran gedacht hatte, WEN sie da vor sich hatte – einen waschechten Scheich, der also sehr vermutlich Moslem war. Dem erzählte sie gerade von ihren Alkoholexzessen? Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Es war ein sicheres Zeichen, dass sie knallrot wurde. Schon wieder.
Doch Tahsins Augen funkelten vergnügt. Aufmerksam hatte er jedes von Megans Worten verfolgt und sie dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen. Sein Herz ging auf, sie so voller Begeisterung erzählen zu sehen. Wie gut, dass das erste Eis gebrochen schien! Hätte er noch Zweifel an seiner Reise gehabt, sie wären jetzt zerstreut. Er fand Megan einfach wunderschön: Ihre weiße Haut mit den Sommersprossen war so anders als die Frauen daheim. Und dazu diese hellen Augen! Wie der Himmel über der Wüste. Als sie nun stockte und ihn erschrocken ansah, lachte er amüsiert auf.
„Keine Sorge – ich habe dir doch erzählt, dass ich eine Zeitlang in Eston bei London studiert habe. Dort haben wir uns fast jeden Abend die Kante gegeben.“
Mit offenem Mund starrte Megan ihr gegenüber an. Wieder hatte sie total verdrängt, dass er in England in ein Internat gegangen war. Natürlich! Sie hatten bei ihrem Picknick in der Wüste schon darüber gesprochen, dass er in London den gemeinsamen Feiern mit den anderen Schülern nicht abgeneigt gewesen war. Aber angesichts der Ereignisse, die ihren Ausflug damals beendet hatten, sicherlich ein verzeihlicher Fehler, dass sie diese Erzählungen verdrängt hatte. Außerdem konnte sie sich diesen stets so kontrolliert auftretenden jungen Mann beim besten Willen nicht vorstellen, wie er sich betrank.
„Du scheinst mir das nicht so richtig zu glauben, was?“, brachte Tahsin ihre Zweifel auf den Punkt. Dabei lächelte er allerdings so charmant, dass Megan sich kein bisschen dumm vorkam, angesichts ihrer Falschannahme, ihn könne Alkoholkonsum abschrecken.
„Es gibt so vieles, was du noch nicht von mir weißt“, fuhr der junge Scheich ernster fort. „Aber deshalb bin ich hier. Damit wir uns endlich besser kennenlernen können.“
Tahsin hatte beschlossen, ihr von seinem Entschluss, sie mit nach Hause zu nehmen, nichts zu erzählen, bis sie sich wieder ein wenig an ihn gewöhnt hatte. Er hatte keine Eile. Den Problemen, die ihn aufgrund seiner eigenmächtigen Reise zuhause erwarten würden, würde er sich stellen, wenn es soweit war.
Diesmal war Megan zu ihrer eigenen Überraschung nicht verärgert, dass er diese Feststellung, dass sie sich besser kennenlernen sollten, auf eine Weise traf, die ihre Meinung zu dem Thema völlig außen vorließ. Was wäre, wenn sie ihn nicht mehr in ihrem Leben wollte? Wenn sie kein Interesse daran hatte, ihn näher kennenzulernen? Sie fand es bewundernswert, dass er keinen Zweifel an ihrem Interesse an seiner Person zu haben schien. Doch sie würde sich nur etwas vormachen, wenn sie jetzt auf ihren Stolz pochen würde. Im Grunde hatte er ja Recht – genau davon hatte sie all die Monate geträumt: mehr Zeit mit ihm zu verbringen, um mehr über ihn und das Leben in Zarifa zu erfahren. Ihr Herz schlug ein wenig schneller, als sie voller Erwartung lauschte, was Tahsin nun weiter geplant hatte.
„Ich möchte dich nun nicht länger beim Lernen stören, aber heute Nachmittag, nach deinen Vorlesungen, würde ich mich gerne mit dir treffen, wenn dir das recht ist. Bis wann hast du denn Unterricht?“
Immerhin war Tahsin höflich genug, diesmal zumindest entsprechend rücksichtsvolle Worte zu wählen, auch wenn die Betonung erneut keinerlei Diskussion oder Zweifel an ihrer Zustimmung ließ. Was Megan nicht ahnte: Es war reine Rhetorik, sie nach ihrem Stundenplan zu fragen. Er war klug genug, nicht zu erkennen zu geben, dass er längst über ihren kompletten Vorlesungsplan am College im Bilde war. Ihm war klar, dass er sie damit ängstigen und zu sehr überfahren würde.
„Gerne, ich habe um 16 Uhr Unterrichtsende, dann können wir uns im Café am Park treffen“, stimmte Megan schnell zu – „Zu schnell“, haderte sie innerlich einen Moment lang mit sich selbst. „Da kommt dieser Kerl nach elf Monaten totaler Funkstille daher und geht wie selbstverständlich davon aus, dass du all deine Pläne über den Haufen wirfst“, doch die Engländerin erkannte, dass sie gar keine Wahl hatte. Sie war in diesen Scheich viel zu sehr verschossen, als dass sie sein Angebot hätte ablehnen können. Schon aus Angst, ihn mit falscher Eitelkeit zu kränken. Sie kannte Tahsin immerhin so gut, dass er dann gehen würde und für immer fort wäre. Dass er ihr nachgereist war, bedeutete für ihn ohnehin schon, dass er mehr als nur über seinen Schatten gesprungen war. Mit ausführlichen Gesten erklärte sie ihm, wo das Café zu finden war.
„Prima“, strahlte Tahsin sie an und Megan war froh, dass sie noch saß, weil sie sich sicher war, dass ihre Knie angesichts dieses Lächelns gerade butterweich geworden waren. „So machen wir das“, sagte er vergnügt und stand auf.
„Was macht ihr?“, unterbrach eine rüde Stimme mit misstrauischem Tonfall ihren romantischen Moment.
„Martin!“, entfuhr es Megan entsetzt. Erschrocken stellte sie fest, dass sie vor lauter Wiedersehensfreude etwas Wichtiges komplett verdrängt hatte: Ihren irischen Freund, den sie hier am Trinity College kennengelernt hatte, weil er seinen M.B.A. machte und mit dem sie seit Ende September offiziell liiert war …