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11. Februar 2017 - Alessia: Rayans Haus: Ein grausamer Meister

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Rayan ließ sich Zeit, die Information zu verkraften, dass vor ihm der Ehemann von Elifa kniete – seiner Elifa! Schöne, wilde und aufregende Elifa, die Rayan in die ersten Geheimnisse der Liebe eingeweiht hatte. So etwas wie Badefrauen hatte es beim alten Scheich Sedat nie gegeben. Im Normalfall war es in Zarifa damals üblich gewesen, dass die Mütter den Söhnen erste Informationen rund um das Thema Sex, Kinder und Schwangerschaft gegeben hatten. Natürlich in der Regel entsprechend unromantisch und mit eher pragmatischen Informationen. Ganz wie es sich geziemte! Über Verhütung sprach niemand, denn sexuelle Aktivitäten nur zum Lustgewinn waren verpönt. Sex außerhalb der Ehe? Unmöglich! Uneheliche Kinder? Absolut tabu!

Während Männer immerhin öffentlich gerügt wurden, wurden nicht verheiratete schwangere Frauen ohne einen sich zu ihnen bekennenden Mann als unzüchtig verbannt, in der Wüste ausgesetzt oder zu Tode gesteinigt. So war sichergestellt, dass weder sie noch das Kind überlebten. Uneheliche Kinder waren eine Komplikation, die keiner wollte. Ironischerweise konnte Rayan, der diese barbarische Regel längst abgeschafft hatte, aus eigener Erfahrung bestätigen, dass nicht anerkannte Kinder Unfrieden brachten. Immerhin war sein Halb-Onkel Yuemnue eines dieser Kinder gewesen und hatte aus Rache diverse Stämme gegen Zarifa aufgebracht. Es war Rayans klugem Agieren zu verdanken, dass der Angriff für die Tarmanen relativ glimpflich ausgegangen war. Trotzdem war diese Denkweise natürlich völlig absurd, eine Frau und erst recht das ungeborene Kind für ihren Fehltritt zu bestrafen und er war froh, dass die Aufklärung und ein viel offener Umgang mit dem Thema Sexualität nach und nach Einzug in Zarifa nahm.

Rayans Gedankten richteten sich wieder auf seine Beziehung zu Elifa. Seine Mutter war bei der Geburt seines Bruders Daoud gestorben als Rayan gerade einmal sieben Jahre alt war. Somit fiel für ihn diese „Informationsquelle“ im Hinblick auf seine Aufklärung aus. Sein Vater hatte sich anscheinend nie Gedanken darüber gemacht, wer seinem Sohn die Sexualität erschließen sollte. Vermutlich hätte er ihm eines Tages eine standesgemäße Ehefrau nach seinen Vorstellungen präsentiert, die Rayan zu heiraten hatte, alles andere würde sich dann von selbst finden. Wiederspruch zwecklos. Liebe? Unsinn. Das Pflichtgefühl hatte für seinen Erben an erster Stelle zu stehen. Diese Vorgehensweise hätte genau zum Sedat der damaligen Zeit gepasst.

Um ihm größere Peinlichkeiten in der Hochzeitsnacht zu ersparen, hätte sich vermutlich vorher noch Großmutter Eleonora seiner erbarmt und ihn zu einem Aufklärungsgespräch genötigt. Großartige Granny Eleonora! Was hätte er ohne sie nur gemacht? Sie war schon immer seine Stütze gewesen, nur mit ihr hatte er über alles reden können. In vielerlei Hinsicht hatte sie seine Mutter ersetzt. Leider wohnte sie aufgrund ihres angespannten Verhältnisses zu ihrem Schwiegersohn Sedat zu weit weg, um einfach schnell einmal bei ihr vorbeizugehen, und Telefone gab es damals noch nicht in Zarifa. Also beschränkten sich ihre Gespräche auf die viel zu kurze Zeit, die er immer wieder einmal bei Besuchen mit ihr verbringen durfte.

Mit dreizehn war Rayan von Zuhause fortgelaufen – damals war er noch zu jung, um sich über Frauen Gedanken zu machen. Außerdem hatte der Ehrgeiz seines Vaters von vorne herein jeglichen Flirt mit Mädchen zunichtegemacht. Nach seiner Flucht hatte er seinen vierzehnten Geburtstag alleine für sich in der Bergwelt von Zarifa gefeiert, bei den Rebellen gab es wichtigere Themen als Geburtstagsfeiern. Selten hatte Rayan sich so alleine gefühlt, wie an diesem Tag. In der Wüste war es ohnehin nicht üblich, Geburtstage überhaupt zu feiern, das ging so weit, dass Rayan bis zuletzt nie hatte sagen können, wie alt sein Vater war, oder in welchem Monat er geboren worden war. Rayan kannte diesen Ritus ebenfalls nur von Eleonora, die ihn aus Deutschland mitgebracht hatte.

Schon wenige Wochen nachdem Rayan sich den Rebellen angeschlossen hatte, lernte er Elifa kennen. Er war sofort fasziniert von ihr! Allerdings zunächst nicht in sexueller Hinsicht, sondern aufgrund ihres widerspenstigen Charakters. Einer der jungen Männer, der einige Jahre älter war als sie, hatte versucht, ihr etwas zu verbieten. Rayan konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es gewesen war, nur, dass es im Grunde um eine Lappalie ging.

Nicht so für Elifa. Sie hatte den Jüngling mit einem Faustschlag zu Boden gebracht und sich dann auf ihn gesetzt, um weiter auf ihn einzuprügeln. Dafür hatte sie beim Anführer antreten müssen, doch hatte sie die Zurechtweisung locker über sich ergehen lassen. Sie hatte ihren Punkt klar gemacht, denn ihr hatte kein Mann etwas zu verbieten – nur das zählte für sie. Und ihr Gegner hatte mehrere Tage lang die Spuren ihrer Attacke deutlich sichtbar im Gesicht getragen. Elifa war schon immer extrem gewesen, in allen Dingen, die sie tat. Es war also kein Wunder, dass sie bei den Rebellen gelandet war. Nach dem Ereignis beschloss Rayan, dass er dieses ungewöhnliche Mädchen unbedingt kennenlernen wollte. Doch sie war etwa drei Jahre älter und interessierte sich daher nicht für ihn. Er musste sich schon etwas einfallen lassen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Einige Tage später bot sich für Rayan eine Gelegenheit. Während des Trainings stand sie auf einmal wenige Meter von ihm entfernt. Sollte er sie einfach ansprechen? Rayan war nicht etwa schüchtern, doch wie er Elifa einschätzte, würde sie ihn einfach verächtlich ansehen und stehen lassen. Bei ihr mussten drastischere Maßnahmen herhalten, wenn er einen bleibenden Eindruck hinterlassen wollte. Also machte er auf ihre Kosten einen lockeren Spruch, der die umstehenden Krieger zum Lachen brachte. Wie zu erwarten war, warf sie sich mit der gleichen ungebremsten Wut auf ihn, wie zuvor auf den anderen Jungen. Wie ein Vulkan explodierte sie und hätte Rayan noch an der gleichen Stelle gestanden, so hätte ihr Schlag auch ihn niedergestreckt. Doch auch wenn sie schnell war, Rayan war seit Jahren unbarmherzig in diversen Kampfarten trainiert worden und war somit noch schneller. Außerdem hatte er ihre Reaktion vorhergesehen, während der andere Junge von ihr überrumpelt worden war. Geschickt war er ausgewichen und hatte ihren Arm festgehalten. „Hallo Wildfang. Ich bin Rayan“, hatte er sich grinsend vorgestellt. Erst nach einigen Sekunden verbissenen Gerangels, in der Rayan ihren Arm eisern weiter festhielt, hatte Elifa schließlich auch gegrinst. Daraufhin hatte er sie losgelassen. Sie waren auseinandergegangen, ohne dass es einen Sieger oder Verlierer gegeben hätte. Es war von Anfang an nicht sein Ziel gewesen, sie zu besiegen, das hätte sie als Demütigung empfunden. Aber Rayan hatte erreicht, was er wollte: dass sie ihn von nun an wahrnahm. Es war zudem der Beginn einer Freundschaft, die ein gutes Jahr anhielt.

Dann verwandelte sich die Kameradschaft unvermittelt in eine sexuelle Beziehung. Da es unter den Rebellen niemanden gab, der auf die Sitten pochte, hatten sich schon einige Paare gefunden, die nicht im Sinne des Gesetzes verbunden waren. Wenn man als Gesetzloser lebt, ergibt das wenig Sinn, pflegte ihr damaliger Anführer immer zu sagen.

Rayan war dank seines Vaters und Großvaters sehr groß für sein Alter, sodass man ihm nicht ansah, dass er erst fünfzehn war und er somit noch nicht als Mann zählte. Bei den Rebellen ging es häufig ums nackte Überleben, wen interessierten da Riten? Wichtiger war es, seinen Beitrag zur Gemeinschaft zu leisten und in dieser Hinsicht hatte sich Rayan schon nach wenigen Wochen unentbehrlich gemacht. Außerdem würde er in diesem Jahr sechzehn werden – wen interessierten ein paar Monate?

Der Scheich erinnerte sich noch gut daran, als er zum ersten Mal mit ungeschickten Händen Elifas nackte Brüste berührte, sie streichelte und fasziniert beobachtete, wie ihre Knospen unter seinen Berührungen hart wurden. Sie flüsterte ihre Wünsche in sein Ohr und er war ein gelehriger Schüler. Was für ein erstaunliches Gefühl zum ersten Mal mit seinem harten Penis in sie einzudringen! Viel Erfahrung hatte Elifa auch nicht, doch sie erforschten sich gegenseitig und gestanden sich offen ein, was ihnen gefiel und was nicht.

Leider dauerte der Zauber nur etwa drei weitere Monate. Dann kam der verhängnisvolle Tag, an dem er und seine Gruppe gefangen wurden und man sich entschied, an Rayan ein Exempel zu statuieren. In der Zeit, als Rayan mit seinen schweren Verletzungen rang, wurde er von seiner Großmutter vor seinem Vater versteckt. Dann täuschte Eleonora seinen Tod vor, um ihn vor Sedats vermeintlicher Rache zu schützen, und er floh nach seiner Genesung alleine, als Ausgestoßener, in die Fremde. So kam es, dass er Elifa nie wiedergesehen hatte.

Eigenartigerweise hatte er sich auch nie nach ihr erkundigt. Selbst als er zwölf Jahre später ins Große Tal zurückgekehrt war, war sie ihm nie in den Sinn gekommen. Zwar hatte er Elifa für ihren starken Charakter und ihre kantige Art bewundert, sie auch durchaus gemocht, aber im Grunde waren sie eine Zweckgemeinschaft gewesen. Sie erkundeten ihre Körper mit dem heißen Hunger der ersten Lust, ihre Vereinigung war daher keine emotionale Bindung, die der echten Liebe entsprang. Sie brachten sich gegenseitig Dinge bei, die sie noch nicht kannten. Nicht mehr und nicht weniger. Danach war in Rayans Leben so viel passiert, dass er Elifa darüber komplett vergessen hatte: die unerträglichen Schmerzen über Wochen hinweg, die langsame Genesung, seine Flucht, die Gewissheit ein Mann ohne Heimat und Zukunft zu sein, seine erste echte Liebe zu Clara, dank der er zum ersten Mal wieder Hoffnung in die Zukunft verspürte, Claras tragischer Tod in seinen Armen, seine daraus resultierende Verbindung zu den Tanners, die ihn adoptierten, die Arbeit in der Spezialeinheit, seine Hochzeit mit Amina, Tahsins Geburt, Aminas Selbstmord – und so vieles mehr.

Dank seines guten Aussehens hatte er keine Probleme gehabt, seine Erfahrungen mit Frauen zu erweitern. Mit den meisten hatte er zur Lustbefriedigung geschlafen, weil sie ihn sexuell erregt hatten. Mit anderen, weil er sie brauchte, um Informationen zu erhalten. Einen bestimmten Typ Frau sah er als Projekt an, an denen er seine Verführungskünste austeste. Einige wenige nahm er sich sogar aus Langeweile heraus. Weil er es konnte. Was waren gegen diese erregenden, vielseitigen Erfahrungen die paar tastenden, verlegenen Versuche, die er mit Elifa geteilt hatte? Vermutlich hatte er sie auch verdrängt, weil er sich an einige ungeschickte Szenen dieser Zusammenkünfte nicht mehr erinnern wollte.

Dass sie nun so unvermittelt und auf diese Weise in sein Leben zurückkehren sollte, musste er erst verdauen. Krebs im Endstadium? Elifa war etwa drei Jahre älter als Rayan – sie musste also 47 Jahre alt sein. Kein Alter, um zu sterben! Offenbar hatte die Kämpferin Elifa ihren grausamen Meister gefunden, der sie langsam niederrang. Was für eine Tragik. Wie er sich an sie erinnerte, war er sich sicher, dass sie ein schnelles Ende in einem echten Kampf bevorzugen würde.

Rayan kehrte ins Hier und Jetzt zurück. Er befand sich in seinem Haus in Alessia, neben ihm glitzerte friedlich das Wasser des Pools in der Sonne und vor ihm kniete Junis Kaya und wartete auf seine Entscheidung. Doch der Scheich war nicht bereit, diese sofort zu treffen. Zu viel ging ihm in diesem Moment durch den Kopf.

„Geh‘ jetzt. Jamal wird dich über meine Entscheidung unterrichten“, befahl er mit neutraler Stimme, die über sein aufgewühltes Inneres hinwegtäuschte.

Junis Kayas Gesicht zeigte seine Enttäuschung deutlich, aber er war klug genug, nichts zu sagen, sondern sich lediglich zu erheben und noch einmal vor dem Scheich zu verbeugen, dann wurde er von Jamal zum Ausgang des Grundstücks begleitet.

Rayan - Der Einsame Falke

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